Jørn Nielsen
Big Run
mein Leben als Hell’s Angel
SAGA Egmont
Big Run - mein Leben als Hell’s Angel
Aus dem Dänischem von Gabriele Haefs nach
Copyright © 2003, 2018 Jørn Nielsen und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S
All rights reserved
ISBN: 9788711524251
1. Ebook-Auflage, 2018
Format: EPUB 3.0
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Absprache mit Lindhardt og Ringhof gestattet.
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Der Mann hatte die Bewegungen der Frau genau im Blick. Er sah, wie sie das Gartentor öffnete und den Garten betrat. Er spürte, wie das Adrenalin in sein Blut strömte und die Spannung seinen Körper erfaßte. Er war nicht nervös. Nur konzentriert. Nervosität ist etwas für Menschen, die nicht wissen, was sie tun. Er dagegen hatte keinerlei Zweifel daran, warum er hier saß.
Er hatte sich gerade geduckt, als die Frau zu ihm herüberschaute. Oder, genauer gesagt: zu dem Wagen, in dem er saß. Einem zweifarbigen Lieferwagen mit einer Hecktür und einer Schiebetür an der Seite. Mit Fenstern in der Hecktür und zwischen Ladefläche und Fahrersitz. Und durch dieses letzte Fenster behielt er die Frau im Auge. Sie verschwand im Wohnhaus.
Er war nicht ihretwegen gekommen, aber sie gehörte mit dazu, denn er war hier, um ihren Mann zu töten. Die Frau tat ihm nicht leid. Sie mußte wissen – und wußte es vielleicht auch –, daß ihr Mann alle Chancen aufgebraucht hatte, die das »Schicksal« für ihn bereithielt.
Der Mann schaute aus dem Fenster. Die ruhige Wohnstraße lag wie ausgestorben da. In der Ferne entdeckte er eine Frau, die ihren Hund ausführte. Eine bleiche Sonne hing am Himmel. Es war noch so früh, daß sie nicht wirklich wärmen konnte. Im Lieferwagen war alles totenstill – abgesehen von den Pfefferminzdragees, die der Mann unablässig zerkaute.
Er kratzte sich am Hals und zupfte an seinem dunkelblauen Sweatshirt. Es wurde jetzt doch ein wenig wärmer. Er schaute auf die Uhr. »Oha«, flüsterte er vor sich hin. Er wartete schon seit über einer Stunde, aber er würde auch den ganzen Tag hier ausharren, sollte sich das als notwendig erweisen.
Er betrachtete den orangen VW, der vor dem Gartentor stand und ihm die Front zukehrte. An die zehn Meter trennten ihn von diesem Wagen. Er wußte, daß der dem Opfer gehörte, und er war sich fast zu hundert Prozent sicher, daß der andere mit seinem VW losfahren würde. Und wenn er erst hinter dem Lenkrad saß – dann wäre er ein toter Mann.
Ein älterer Mann, der auf einem Fahrrad vorüberschepperte, lenkte für einen Moment seine Aufmerksamkeit auf sich. Er zog den Kopf ein, aber das wäre nicht nötig gewesen. Niemand würde auf die Idee kommen, zu ihm hereinzuschauen. Wer konnte denn auch damit rechnen, daß der Lieferwagen den Tod geladen hatte?
Im Haus hatten Makrele und seine Frau soeben ihr Frühstück beendet und machten sich zum Aufbruch bereit. Makrele war der Präsident des Motorradclubs Bullshit . Obwohl er schon einige Mordanschläge überstanden hatte, hatte er deshalb seinen Lebensstil nicht geändert. Im vergangenen Jahr hatte er angedeutet, daß es vielleicht jetzt zu spät sein könnte, aber daß er keinen anderen Ausweg sehe, als weiterzumachen und aufs Beste zu hoffen. Und er ging davon aus, daß alles gutgehen würde, denn das Glück war ihm immer hold gewesen. Er hatte immer ein Einkronenstück bei sich, das einst seine Bewegungsfähigkeit und deshalb sein Leben gerettet hatte. Er dachte oft daran – und er hatte es sogar vergolden lassen. Er wußte es nicht, aber an diesem Morgen würde sein Kleingeld nicht ausreichen.
Er fragte die Frau weithin hörbar, ob sie noch nicht fertig sei. Das war sie, und die beiden gingen zur Tür. Ihr Hund sprang glücklich an dem Mann hoch, als ihm aufging, daß er mitkommen durfte. Sie öffneten die Tür zum Sonnentag. Der Hund lief vor ihnen her zum Gartentor. Makrele und seine Frau holten ihn ein und traten auf den Bürgersteig hinaus. Makrele öffnete die Tür zum Fahrersitz, stieg aber nicht sofort ein. Sie hatten es nicht eilig, und es war ein schöner Morgen. Die Frau brachte den Hund in einem Käfig hinter dem Fahrersitz unter. Sie knallte die Tür zu. Dann stieg sie ein. Makrele setzte sich neben sie und zog dann ebenfalls seine Tür zu. Es wurde jetzt heiß draußen – er kurbelte das Fenster nach unten.
Dann schrie seine Frau auf.
Der Mann in dem zweifarbenen Lieferwagen kratzte sich unter seiner Maske am Kopf. Die Maske saß so fest wie eine zweite Haut und nervte ihn. Er hatte sie schon einmal über sein Gesicht gezogen – als die Frau allein aus dem Haus gekommen war, danach hatte er sie wieder in seine Stirn geschoben.
Abgesehen von der roten Maske war er schwarz gekleidet. Mit Ausnahme seiner hellen Turnschuhe. Außer ihm enthielt der Lieferwagen nur zwei Dinge: Ein blaues Rennrad – seine Rückfahrkarte. Und eine mattschwarze Stengun-Maschinenpistole, geladen und entsichert. Das war sie, seit er hier saß. Er schaute kurz zu ihr hinüber und dachte: Ob das Opfer wohl zur Feier des Tages dreißig Kronenstücke in der Tasche hat?
Er schaute wieder aus dem hinteren Fenster. Das machte er häufig. Er wollte nicht gesehen werden, ohne das selber zu wissen. Es wäre doch ärgerlich, wenn ihm fünf oder sechs Jahre einfach wegen Mordversuchs aufgebrummt würden. Es wäre zweifellos – falls er in dieser Situation erwischt würde – schwer, den Richtern klarzumachen, daß er einen Waldspaziergang gemacht hatte oder nur mit dem Opfer plaudern wollte.
Es war ihm nur recht, daß der andere Wagen ihm die Front zukehrte. Das bedeutete, daß er und das Opfer einander in die Augen schauen würden. Er ging davon aus, daß sein Ziel hinter dem Lenkrad sitzen würde, ob die Frau nun dabei wäre oder nicht.
Sie war wirklich sein einziges Problem. Er wollte sie fast um jeden Preis schonen. Nur, wenn sie ihn selber in Lebensgefahr brächte, würde er sie liquidieren. Trotz der vielen Kugeln, die seine Stengun in die Luft abgeben würde, hatte er keine Angst, sie zu treffen. Er war ein trainierter Maschinenpistolenschütze, und er wußte, daß eine Stengun leicht zu beherrschen ist.
Er schaute auf die Uhr. 10.24 Uhr. Der letzte zerkaute Rest eines Dragees verschwand in seiner Kehle. Wieder kratzte er sich am Kopf.
Im Garten tauchte ein Hund auf. Und danach das Ziel und dessen Frau. Sofort zog er sich die Maske vor das Gesicht. Vorsichtig hob er mit der rechten Hand die Stengun vom Boden auf, während er Makrele und die Frau beobachtete, die jetzt den Garten verließen.
Die Frau ging auf die Straße hinaus und trat neben den Wagen. Sie öffnete die Schiebetür und verstaute den Hund auf der Ladefläche. Dann knallte sie die Tür zu, ging nach vorn und stieg ein.
Dasselbe machte auf der anderen Seite Makrele.
In dem Moment, in dem die Frau die Tür zuknallte, öffnete der Mann im Lieferwagen seine Schiebetür vorsichtig einige Zentimeter.
Jetzt fehlte nur noch eine Bewegung.
Makrele zog die Wagentür zu und kurbelte sein Fenster herunter, aber sein Mörder sah das nicht, denn in dieser Sekunde riß er die Tür des Lieferwagens zur Seite und sprang auf die Straße, wie ein Exhibitionist, der in einem Park hinter einem Baum auftaucht.
Er sah, daß die Frau ihn entdeckt hatte.
Sie schrie los.
Makrele schaute auf, als seine Frau zu schreien begann. Sie hatte bereits ihre Tür geöffnet und wollte den Wagen verlassen. Makrele sah, wie der schwarzgekleidete Mann angelaufen kam.
Die Maschinenpistole in seiner Hand war kein Scherz. Sie starrte ihn mit ihrem einen Auge an. Er mußte fort von hier. Er entschied sich für die Tür, die seine Frau eben geöffnet hatte. Sie war bereits aus dem Auto gesprungen und rannte am Auto entlang. Makrele robbte vorsichtig zur offenen Tür, während er zugleich aus weit aufgerissenen Augen den Mann mit der Maschinenpistole beobachtete.
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