Das fehlt mir noch.
Meine Erleichterung darüber, dass Umi mich nicht entkleidet hatte, empfand ich als unbeschreiblich, und ich würde hier nicht damit anfangen. Niemals würde ich freiwillig meine Narben zeigen.
Seinem Gesichtsausdruck war das Missfallen deutlich anzusehen, dennoch schnitt er schweigend den Ärmel ein wenig auf. Als er meine Schulter erblickte, fluchte er.
»Ich weiß sehr wohl, wann sie ausgekugelt ist«, entgegnete ich schlicht. »Bekommst du sie wieder eingerenkt?« Misstrauisch musterte ich ihn.
Er tauschte einen Blick mit Kiljan und nickte schließlich. »Leif hat dich an dieser Hand hier hereingezogen.« Er wirkte fassungslos und sah die Szene anscheinend noch einmal im Geiste vor sich.
»Er konnte es nicht wissen«, antwortete ich nur.
»Warum hast du nichts gesagt. Das müssen unglaubliche Schmerzen sein«, erwiderte er vorwurfsvoll.
»Wann denn? Ich war kaum aufgewacht, da packte man mich und schleppte mich zum Verhör«, stieß ich verärgert hervor, auch wenn ich wusste, dass diese Aussage nicht ganz fair war. Zwar hatte mich niemand gefragt, doch wenn ich etwas gesagt hätte, wären sie hilfsbereit gewesen, das war mir klar. Aber es brachte mich in eine bessere Position und die brauchte ich dringend.
Anklagend blickte der Heiler die beiden an der Wand stehenden an. »Wie ist das geschehen?«, fragte er nun freundlicher.
»Nachdem ich ins Wasser gesprungen und losgeschwommen bin, riss mich plötzlich die Strömung ein Stück mit. Ich prallte an einen Felsen, bevor es mir gelang, mich aus dem Strom zu befreien.« Ich zuckte mit den Schultern und spürte augenblicklich den stechenden Schmerz, fluchte innerlich über meine eigene Dummheit. Erneut kämpfte ich gegen die nahende Ohnmacht.
»Mir wurde berichtet, du hättest euch über einen Ast aus dem Wasser gezogen. Da warst du die ganze Zeit schon verletzt?«, fragte Kiljan von hinten und ich wandte mich ihm ein wenig zu.
»Ja.« Kiljan runzelte die Stirn.
»Das kann ich kaum glauben«, warf der Heiler ein und betrachtete mich skeptisch.
Ich lachte bitter. »Dann lasst es, alle, oder glaubt ihr ernsthaft, es interessiert mich, was ihr denkt?! Richte die Schulter und fertig«, stieß ich wütend hervor. »Vom Reden jedenfalls wird es nicht besser. Und du willst Jul doch die Injektion geben, oder etwa nicht?« Argwöhnisch nickte er und zog ein Medikament auf eine Spritze. »Nein, die brauche ich nicht.« Mein Blick fixierte ihn. »Keine Heilmittel. Es geht auch so.« Mein Ton sollte eigentlich jeglichen Widerspruch im Keim ersticken.
»Das kann unmöglich dein Ernst sein«, entgegnete er dennoch entsetzt.
Ich seufzte. »Ebenso wie ich in dem Moment des Aufpralls wusste, dass sie ausgekugelt ist, weiß ich, dass es ohne gehen wird. Also mach jetzt endlich.« Ich wandte mich Jul zu. »Du musst gut festhalten, ja?«, wiederholte ich sanft. Mit großen Augen nickte er. Weil Nevan sich noch immer nicht rührte, streckte ich ihm ungeduldig meinen Arm entgegen. Erneut holte er geräuschvoll Atem, denn nichts in meinen Zügen ließ irgendetwas von meinem Schmerz erkennen.
Er benötigte drei Versuche, und ich hätte ihm am liebsten den Hals umgedreht, ihn erdolcht oder mehrfach den Kopf eingeschlagen. Ich bin nicht unempfindlich gegen Schmerz, ich verarbeite ihn nur anders, dennoch besaß selbst ich Grenzen und die hatte er deutlich überschritten.
Beim dritten Versuch jedoch glitt das Gelenk schließlich zurück an den richtigen Platz. Erleichtert atmete ich auf. Schweiß bedeckte meinen Körper, aber mir war trotzdem kein Laut über die Lippen gekommen. »Ist mit deiner Hand alles in Ordnung?«, fragte ich Jul. Zögernd nickte er. »Habe ich nicht zu fest gedrückt?«, hakte ich besorgt nach, weil er ein wenig blass wirkte, doch er schüttelte den Kopf.
»Du hast gar nicht geschrien«, erklang es ehrfürchtig.
Ich lächelte. »Du schaffst das auch, wenn du meine Hand nur doll genug drückst.«
»Ich fixiere deinen Arm am Oberkörper, damit du ihn schonst«, erklärte der Heiler stockend.
»Nein«, entgegnete ich bestimmend. »Eine Schlinge wird ausreichen.« Stumm fochten wir ein Duell, bis er schließlich widerwillig zustimmte.
»Du musst den Arm ruhig halten, keine Bewegungen.«
Ich nickte, denn ich wusste, dass er recht hatte, doch sollte ich hier in Schwierigkeiten geraten, wollte ich in der Lage sein, schnell zu reagieren. Das aber wäre kaum möglich, sollte er den Arm an meinem Körper festbinden.
Der Heiler zog eine Injektion auf und sah Jul liebevoll an. Plötzlich schien es, als stünde ein ganz anderes Geschöpf vor mir. Während er sich setzte, verschwand jegliche Härte aus seinen Zügen und nun saß dort nur noch der fürsorgliche Heiler eines kleinen Dunkelelben.
Jul drückte meine Hand. Ich war dankbar dafür, würde so hoffentlich niemand mein eigenes Zittern bemerken. »Ich bin bereit«, sagte er tapfer, doch seine Angst war noch immer deutlich zu sehen.
»Du musst richtig kräftig drücken, ich spüre deine Hand ja kaum«, spornte ich ihn an und hoffte, dass er sich so mehr auf seine Kraft konzentrierte, statt auf die Nadel. Aufmunternd lächelnd sah ich ihm in die Augen. Während des Einstichs zuckte er ganz kurz zusammen, weiter geschah jedoch nichts.
»Fertig.« Der Heiler schmunzelte.
Jul erstrahlte. »Ich habe gar nicht geschrien«, freute er sich. »Kiljan, hast du gesehen?! Ich gab keinen Laut von mir. Keinen einzigen«, rief er begeistert.
Lächelnd trat er auf ihn zu und strich ihm liebevoll über den Kopf. »Du bist sehr tapfer«, entgegnete er ernst. Ich warf ihm einen Blick zu, wandte mich jedoch schnell wieder ab, denn bei seinem Lächeln drohten mich die Erinnerungen plötzlich zu überschwemmen. Langsam erhob ich mich und spürte meine eigene Schwäche immer deutlicher.
»Du wirst mindestens drei Tage im Bett bleiben«, befahl der Heiler unvermittelt. Stirnrunzelnd drehte ich mich zu ihm um. Dieser aber sah nicht mich, sondern Kiljan an. »Ich lasse nicht mit mir verhandeln. Sie gehört ins Bett, und zwar sofort. Ich sehe mir später die Wunde auf ihrem Rücken noch einmal an. Was auch immer ihr zu klären habt, kann warten.«
Irritiert blickte ich zwischen den beiden hin und her. Kiljan nickte schließlich und betrachtete mich. »Ich begleite dich auf dein Zimmer«, sagte er und öffnete die Tür.
»Sie muss sich ausruhen«, rief Nevan warnend hinterher.
Ich sah Kiljans Ärger deutlich. »Ja, Heiler«, stieß er hervor.
»Ich komme dich nachher noch einmal besuchen«, rief Jul hastig, während sich die Tür bereits schloss.
Kiljan führte mich in mein Zimmer und nun standen sie wieder zu viert vor mir. Kiljan und sein stummer Begleiter, ebenso wie Dave und Cadan. »Was willst du hier?«, erkundigte Kiljan sich plötzlich.
Scheinbar irritiert von dieser Frage runzelte ich die Stirn. »Wieso hier?«
»Warum warst du im Wald, ganz allein?«
»Ich war wandern. Das bin ich ständig. Ich meide die Städte, solange und sooft es möglich ist. Ich mag keine Menschenmassen und verbringe meine Zeit lieber in der Natur. Ich war schon an vielen Orten. Ich wollte zum Fluss, da meine Wasservorräte fast aufgebraucht waren, als ich plötzlich den Schrei hörte. Wäre hier nicht ein wenig Dankbarkeit angebracht, statt mich andauernd zu verhören? Wir gehören demselben Volk an, also was soll das alles?«, entgegnete ich verärgert und funkelte ihn an.
»Ich bin das Oberhaupt vom Clan der Idun und für den Schutz aller verantwortlich. Niemand kennt dich oder hat dich je gesehen. Es gab Übergriffe, zwei in naher Vergangenheit«, antwortete er nachdenklich, doch ich spürte seine Anspannung.
»Was für Übergriffe?«, fragte ich irritiert. Cadan trat auf ihn zu und ergriff seinen Arm.
Interessant. Haben sie sich etwa zusammengeschlossen?
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