Zu einem bedeutenden Einflußfaktor wurde dabei das neue, säkularisierte Naturrecht des 17. und 18. Jahrhunderts. Nachdem → Hugo Grotius Grotius, Hugo (Huig de Groot) (1583–1645) im „Ius belli ac pacis“ den Entwurf eines weltlichen Universalrechts vorgelegt und ausgesprochen hatte, daß sich das Naturrecht auch ohne Gott denken lasse, entwickelten in England → Hobbes Hobbes, Thomas (1588–1679) ein radikal absolutistisches und → Locke Locke, John (1632–1704) bereits ein bürgerlich-liberales Naturrecht. Liberale und altständische Züge zugleich trägt in Frankreich → Montesquieus Montesquieu, Charles de Secondat, Baron de la Brède et de M. (1689–1755) „Esprit des lois“. In Deutschland halten sich die |5|Naturrechtslehren → Pufendorfs Pufendorf, Samuel (1632–1694), → Thomasius Thomasius, Jakob (1622–1684); dt. Philosoph ’ , → Wolffs Wolff, Christian (1679–1754) und Achenwalls politisch noch im Rahmen des Ständestaates oder bestenfalls eines aufgeklärten Absolutismus. Sie legen aber den Grund für ein liberales Privatrecht, das z.B. durch → Samuel Stryk Stryk, Samuel (1640–1710), → Justus Henning Böhmer Böhmer, Justus Henning (1674–1749) und → Thomasius Thomasius, Jakob (1622–1684); dt. Philosoph auch Eingang in die Rechtspraxis findet. Versuche mit naturrechtlich inspirierten Systemen des positiven Rechts findet man nun vielerorts in Europa, etwa in Frankreich bei → Domat Domat, Jean (1625–1696) (noch auf der Basis eines christlichen Naturrechts), in England bei → Blackstone Blackstone, Sir William (1723–1780).
Freilich mußte die Ungewißheit über das im einzelnen geltende Recht letztlich den Gesetzgeber auf den Plan rufen. Seitdem in Deutschland der Westfälische Frieden die weitgehende Unabhängigkeit der Territorien vom Reich bestätigt hatte, wurde allenthalben der schon nach dem Augsburger Religionsfrieden auf der Grundlage des Religionsbestimmungsrechtes und des landesherrlichen Kirchenregiments einsetzende Ausbau des Absolutismus in den Territorien verstärkt fortgesetzt. Wollte sich die landesherrliche Macht unter Ausschaltung der ständischen und patrimonialen Zwischengewalten voll zur Geltung bringen, so verlangte dies in erster Linie eine Vereinheitlichung der Rechtsordnung und die strikte Bindung der Gerichte und sonstiger Behörden an die Gesetze. Die daher nun verstärkt einsetzende territoriale Gesetzgebung zeigt seit dem 18. Jahrhundert, daß die bisherige sakrale Basis der Rechtsordnung unter dem Einfluß des Religionszwiespalts, insbesondere aber der Entwicklung der Naturwissenschaften brüchig geworden ist. Die Säkularisierung der Rechtsordnung unter dem Einfluß der profan-naturrechtlichen Systeme schreitet zunächst auf dem Wege der Einzelgesetzgebung voran, während die großen Justizreformer der Jahrhundertmitte, → Samuel Cocceji Cocceji, Samuel v. (1679–1755) in Preußen und → Wiguläus Xaverius Aloysius v. Kreittmayr Kreittmayr, Wiguläus Xaverius Aloysius v. (1705–1790) in Bayern, ihre Kodifikationen noch überwiegend am gemeinen Recht orientieren. Die großen Kodifikationen am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts jedoch zeigen sich – unter dem Einfluß von → Martini Martini, Karl Anton Frhr. v. (1726–1800), → Sonnenfels Sonnenfels, Josef v. (1733–1817) und → Zeiller Zeiller, Franz v. (1751–1828) in Österreich, von → Svarez Svarez, Carl Gottlieb (1746–1798) in Preußen, → Feuerbach Feuerbach, Paul Johann Anselm (1775–1833) in Bayern und → Pothier Pothier, Robert-Joseph (1699–1772) und → Portalis Portalis, Jean-Etienne-Marie (1746–1807) in Frankreich, deutlich naturrechtlich und aufklärerisch-liberal geprägt. Wie stark sich dieses Denken auch ohne gesetzgeberische Vermittlung durchzusetzen vermochte, zeigte das Wirken → Hommels Hommel, Karl Ferdinand (1722–1781) in Sachsen.
Nach dem Zusammenbruch des ancien regime und des Heiligen Römischen Reiches unter den Schlägen der französischen Revolutionsheere verbindet sich der Neuaufbau in Preußen mit dem Namen des |6|Freiherrn → Karl vom Stein Stein, Karl Frhr. v.m (1757–1831), in Bayern dem des Grafen → von Montgelas Montgelas, Maximilian Josef Graf (1759–1838). Diese beiden Reformer, deren Wirken teilweise noch heute spürbar ist und damit jenseits der politischen auch ihre juristische Bedeutung bestätigt, werden hier als Repräsentanten unterschiedlicher Prinzipien staatlichen Neuaufbaus vorgestellt, wie sie den Frühkonstitutionalismus in Deutschland geprägt haben.
II. 19. und beginnendes 20. Jahrhundert
Zu Anfang des 19. Jahrhunderts wandelte sich auch, mindestens im „Selbstverständnis“ der Juristen, die Rolle der Rechtswissenschaft. In deutlicher Reaktion gegen den etatistischen Rechtsbegriff der französischen Revolution, der der Jurisprudenz nur eine bescheidene Aufgabe zuwies, entwickelte sich nun die Vorstellung von der schöpferischen Funktion der Rechtswissenschaft. Eindringlichster Theoretiker dieser Richtung war → Savigny Savigny, Friedrich Carl v. (1779–1861). Seine Gedanken von der gegenüber staatlicher Rechtssetzung selbständigen Bedeutung der Rechtswissenschaft sind über die sie begünstigende politische Zeitströmung (Restauration) und die mit ihr verbundene Rechtsquellenlehre hinaus bis in die Gegenwart wirksam geblieben, wie überhaupt die Wissenschafts- und Bildungsgläubigkeit des frühen 19. Jahrhunderts (Humboldt, Fichte, Schleiermacher) . So erscheinen von nun an Wissenschafts-, Rechts- und politische Geschichte stärker als vorher gegeneinander verselbständigt; die Geschichte der Rechtswissenschaft seit Beginn des 19. Jahrhunderts läßt sich daher weitgehend in den auch für die anderen „Geisteswissenschaften“ geltenden Kategorien beschreiben. Sie bilden auch den gemeinsamen Bezugspunkt für die Rechtswissenschaft in den verschiedenen europäischen Ländern, deren gemeinsame Quellenbasis mit der Zurückdrängung des Naturrechts und der Ersetzung des römischen „ius commune“ durch die einzelstaatlichen Kodifikationen nun verloren gegangen war.
Für die deutsche Privatrechtswissenschaft im 19. Jahrhundert wurden die von → Savigny Savigny, Friedrich Carl v. (1779–1861) aufgestellten Grundsätze der „historischen Schule“ maßgebend, nach denen das Recht historisch-systematisch, ohne Beimischung philosophischer, „naturrechtlicher“ Prinzipien bearbeitet werden sollte. Bei → Savignys Savigny, Friedrich Carl v. (1779–1861) Nachfolgern verdrängte dann allmählich |7|das systematische Element ganz das historische, so schon bei → Puchta Puchta, Wolfgang Heinrich (1769–1845); Justizamtmann, später Landrichter, noch entschiedener bei → Jhering Jhering, Rudolf von (1818–1892) (in seiner ersten Periode) und bei → Windscheid Windscheid, Bernhard (1817–1892), der diese Epoche abschließt und dessen Pandektenlehrbuch von großem Einfluß auf das deutsche BGB von 1896 war. Die historische Schule ist früher dem „Rechtspositivismus“ zugeordnet worden, aber zu Unrecht. Mit ihrer Vorstellung, daß das Recht ein organisches, vernünftiges und aus sich selbst heraus ergänzbares Ganzes ist, trägt sie idealistische Züge, die allerdings eine „formalistische“ Abschließung gegenüber Politik, Wirtschaft und Gesellschaft begünstigten. – Wie die Bearbeiter des römischen Rechts standen auch die meisten Germanisten – entsprechend den verschiedenen Quellen des Zivilrechts blieb diese Unterscheidung bis zum BGB, das beide Rechtskreise verschmolz, bestehen – unter dem Einfluß → Savignys Savigny, Friedrich Carl v. (1779–1861). Das gilt vor allem für dessen Zeitgenossen → Eichhorn Eichhorn, Karl Friedrich (1781–1854), aber auch für jüngere Deutschrechtler wie Albrecht und Homeyer . Etwa von der Mitte der dreißiger Jahre an setzte sich aber eine starke Gruppe gemäßigt (→ Beseler Beseler, Georg (1809–1888)) bis radikal (Reyscher) liberaler Germanisten von den Romanisten, die theoretisch und praktisch das nationalpolitische Anliegen nicht genügend zu vertreten schienen, ab. Ihre Bewegung mündete nach den Germanistenversammlungen von 1846 (Frankfurt) und 1847 (Lübeck) ziemlich gradlinig in der Paulskirchenversammlung, der u.a. → Beseler Beseler, Georg (1809–1888) (sehr einflußreich), → Jacob Grimm Grimm, Jacob (1785–1863) und → Mittermaier Mittermaier, Karl Josef Anton (1787–1867) angehörten. Zu einer wirklich neuen Rechtstheorie führten die Arbeiten dieser jüngeren Germanisten aber nicht, so daß sich auch noch ihr letzter bedeutender Vertreter, der 1841 geborene → Otto v. Gierke Otto (1815–1867); bayer. Prinz, König v. Griechenland, der Rechtslehre → Savignys Savigny, Friedrich Carl v. (1779–1861) verbunden fühlen konnte.
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