• sind in Einrichtungen häufig Gewalterfahrungen ausgesetzt.
• bilden eine heterogene Gruppe mit gleichen Exklusionserfahrungen“ (Fornefeld 2008, 58).
Zusammenfassung
Zusammenfassend kann gesagt werden: Menschen mit schwersten Behinderungen unterscheiden sich von Menschen mit geistiger Behinderung dadurch, dass sie – neben der geistigen Beeinträchtigung – weitere Beeinträchtigungen in Bereichen wie Motorik, Kommunikation etc. aufweisen. Diese Komplexität der Beeinträchtigung lässt langfristige umfassende Begleitung und Unterstützung notwendig werden und erschwert die gesellschaftliche Partizipation erheblich.
3.2.2 Aktuelle Förderkonzepte
In Tabelle 8werden aktuelle Förderkonzepte für Menschen mit schwersten Behinderungen vorgestellt. Dabei werden jeweils die von den Autoren genannte Zielgruppe, die Ziele (falls spezifisch genannt), die theoretische Grundlagen und die praktische Anwendung skizziert.
Tab. 8: Förderkonzepte für Menschen mit schwersten Behinderungen
Basale Stimulation |
Entstehung: |
Andreas Fröhlich (1977) / Sonderpädagoge; erstes Konzept zur Arbeit im Unterricht mit schwersten Behinderungen |
Zielgruppe: |
ursprünglich: SchülerInnen mit schwersten Behinderungenheute: Personen, die in den Bereichen Eigenerfahrung, Eigenbewegung und Auseinandersetzung mit der Umwelt auf Hilfe angewiesen sind; wird in Frühförderung, Schulen, Altenund Krankenpflege eingesetzt(Burkhart 2004, 121) |
Ziele: |
Vermittlung primärer Körper-, Bewegungs- und Alltagserfahrungen; Aufbau von sozialen Beziehungen; Förderung der Kommunikation in Alltagssituationen |
Theoretische Grundlagen: |
3 P-Modell: Neurophysiologie Pechstein; Physiotherapie nach Bobath; Piagets Entwicklungstheorie(Fröhlich 2004, 149) |
Praktische Anwendung: |
Stimulation als Aktivität des / der PädagogIn / TherapeutIn, die dem Kind Anreize geben soll, sich mit sich und der Umwelt zu beschäftigen(Fröhlich 2004, 149);Anwendung zunächst in drei Grundbereichen, die an pränatale Erfahrungen anknüpft: somatische Stimulation: Wahrnehmung der Haut als Begrenzung des Körpers zur Umwelt vibratorische Stimulation: Wahrnehmung von Schwingungen vestibuläre Stimulation: Wahrnehmung von Gleichgewichtdarauf aufbauend: visuelle Stimulation auditive Stimulation gustatorische Stimulation olfaktorische Stimulation Kommunikation und Selbstorganisation – mimisch-stimmliche Zuwendung, Lautimitation etc. |
Basale Kommunikation |
Entstehung: |
Winfried Mall (1978) / Heilpädagoge |
Zielgruppe: |
Menschen mit schwersten Behinderungen, autistischem Verhalten, Demenz, Wachkoma |
Ziele: |
Herstellung einer kommunikativen Situation bei Personen mit eingeschränkter Kommunikation |
Theoretische Grundlagen: |
Kommunikationstheorie Watzlawick; Funktionelle Entspannung nach Fuchs; Integrative Gestalttherapie nach van Vugt / Beesens |
Praktische Anwendung: |
Aufbau eines gemeinsamen Atemrhythmus, indem PädagogIn hinter dem Kind sitzt, sich in Atemrhythmus einfühlt, nachahmt und variiert (Mall 2008) |
Basale Aktivierung |
Entstehung: |
Manfred Breitinger / Dieter Fischer (1980) / Pädagogen |
Zielgruppe: |
SchülerInnen mit schwersten Behinderungen, die sich „noch in einem Vorfeld, sowohl zur funktionalen Ertüchtigung als auch zur Umwelterschließung“ befinden(Breitinger / Fischer 1993, 285) |
Ziele: |
Herstellung einer Basis, von der aus für jede / n SchülerIn individuelle, weiterführende Ziele umgesetzt werden können(Breitinger / Fischer 1993, 160f.);Verbesserung der individuellen Lebenssituation und Identitätsstiftung durch Aktivierung |
Theoretische Grundlagen: |
Lerntheorie: Aktivität als Voraussetzung für Lernen |
Praktische Anwendung: |
Orientierung des Unterrichtsgeschehens an lebensbedeutsamen Inhalten und Zielen; Berücksichtigung der Prinzipien: Komplexität und Mehrschichtigkeit der Ziele, Wiederholung und Stetigkeit des Lernangebots, Offenheit der Lernwege, Vielfalt der Interaktionsmöglichkeiten |
Sensorische Integration |
Entstehung: |
Jean Ayres (1972), Ergotherapeutin / Psychologin (USA) |
Zielgruppe: |
ursprünglich: Kinder und Jugendliche mit Entwicklungsverzögerungen und Lernstörungen, mit Lese- und Rechtschreibschwäche, Aufmerksamkeitsstörungen, Teilleistungs-, Lern- und Verhaltensstörungen;heute auch: Kinder und Jugendliche mit geistiger und mehrfacher Behinderung |
Ziele: |
Modifizierung von neurologischen Dysfunktionen; Entwicklung von Bewegungskompetenz; Förderung der Freude an Bewegung |
Theoretische Grundlagen: |
sensomotorische Entwicklung nach Piaget; psychologische Lerntheorien |
Praktische Anwendung: |
Schaffen und Dosieren von Sinnesreizen, um spontane Anpassungsreaktionen des Kindes zu erlangen; Basistherapie: Vestibuläre Wahrnehmung, Propriozeptive Wahrnehmung, Taktile Wahrnehmung Individualtherapie: Ansetzen an entwicklungsmäßig frühester Störung |
Sensorische Kooperation |
Entstehung: |
Wolfgang Praschak (1975) / Sonderpädagoge |
Zielgruppe: |
SchülerInnen mit schwersten Behinderungen |
Ziele: |
Optimierung der sensomotorischen Handlungsfähigkeit; Finden von Handlungsmöglichkeiten, um SchülerInnen ein Leben in eigener Verantwortung und sozialer Wertschätzung zu ermöglichen |
Theoretische Grundlagen: |
sensomotorische Entwicklung nach Piaget; kooperative Pädagogik |
Praktische Anwendung: |
Anleitung der / des Schülers / in zur Eigenaktivität, z. B. bei Beteiligung an Schulritualen, Essen, Trinken, Ankleiden |
Förderpflege |
Entstehung: |
Uta und Jürgen Trogisch (1971), KinderärztInnen (DDR) |
Zielgruppe: |
nichtschulpflichtige, sogenannte förderungsunfähige Kinder in der ehemaligen DDR |
Ziele: |
Erreichung der Förderungs(schul)fähigkeit; selbstständiges Essen und Trinken; Körperhygiene; soziale Regeln; Herstellen emotionaler Kontakte; Beziehungsaufbau |
Theoretische Grundlagen: |
Säuglings- und Kleinkindpädagogik; Deprivationsforschung |
Praktische Anwendung: |
Ermöglichung der aktiven Mitarbeit der / des Schülers / in bei Alltagsaktivitäten, z. B. Toilettengang, Ernährung, An- und Ausziehen |
Bobath-Konzept |
Entstehung: |
Berta und Karel Bobath (1940) / Physiotherapeuten |
Zielgruppe: |
ursprünglich: PatientenInnen mit cerebralen Bewegungsstörungen;heute auch: PatientenInnen mit neurologischen Störungen, Schlaganfall, neurologischen Erkrankungen, sensomotorischen Entwicklungsverzögerungen, kognitiven Beeinträchtigungen |
Ziele: |
Normalisierung von Haltungs- und Bewegungsmustern; Vermitteln normaler Tonusverhältnisse zur Erweiterung funktioneller Fähigkeiten und Selbstständigkeit |
Theoretische Grundlagen: |
neurophysiologische Bewegungstherapie |
Praktische Anwendung: |
Aktivierung von Wachheit und Aufmerksamkeit; Wahrnehmungsübungen in funktionellen Situationen |
Vojta-Konzept |
Entstehung: |
Vaclav Vojta (1950) / Neurologe |
Zielgruppe: |
ursprünglich: Kinder mit Cerebralparese; heute auch: Störungen der Koordination, Haltung und Bewegung |
Ziele: |
Behandlung von Spastiken als funktionelle Blockaden; Beeinflussung von motorischen Abläufen |
Theoretische Grundlagen: |
physiotherapeutische Behandlung auf neurophysiologischer Grundlage |
Praktische Anwendung: |
Auslösung von Bewegungsmustern an Zonen am Körper, Armen und Beinen durch Druckausübung auf diese Körperstellen; Reizungen führen zu Bewegungskomplexen |
Snoezelen |
Entstehung: |
Jan Hulsegge / Ad Verheul (1970), Zivildienstleistende (Niederlande)Begriff: Kombination aus „snuffelen“ und „doezelen“ (dösen / schlummern) |
Zielgruppe: |
ursprünglich: Menschen mit schwersten Behinderungen, insbesondere HeimbewohnerInnen; heute auch: Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen |
Ziele: |
Schaffung eines Freizeitangebotes; Erleben anderer Räumlichkeiten; Sammeln von Erfahrungen |
Theoretische Grundlagen: |
zweckfreie/ungebundene Freizeitgestaltung ohne grundlegende Theorie |
Praktische Anwendung: |
Einrichtung eines Snoezelen-Raumes Materialien: Wasserbett, Bällchenbad, Tastobjekte, Vibrationseinrichtungen, Riechobjekte, Klang- und Geräuschobjekte etc. |
Geführte Interaktion |
Entstehung: |
Félice Affolter (1980) / Psychologin |
Zielgruppe: |
ursprünglich: Menschen mit schwersten Behinderungen;heute: Menschen mit taktil-kinästhetischen Wahrnehmungsstörungen; Kinder mit Lern- und Verhaltensstörungen sowie Schwierigkeiten im Lesen und Rechnen |
Ziele: |
Vermittlung und Verinnerlichung von Spürerfahrungen im Umgang mit realen Gegenständen; Einüben und Erlernen von Bewegungsabläufen |
Theoretische Grundlagen: |
Entwicklungspsychologie Piagets |
Praktische Anwendung: |
Führen von Händen und Körperteilen in Alltagssituationen |
Taktile Gebärden |
Entstehung: |
Blinden- und Taubblindenpädagogik (Pittroff 2005) |
Zielgruppe: |
Menschen mit Taubblindheit, Menschen mit komplexer Behinderung |
Ziele: |
Aufbau von gemeinsamen Vokabular von fühlbaren Symbolen zur Ermöglichung von Kommunikation |
Theoretische Grundlagen: |
keine |
Praktische Anwendung: |
Beobachten des schwerbehinderten Kindes zur Feststellung von Reaktionen auf bestimmte Situationen; Zurückspiegelung der Bewegung durch gemeinsame Bewegungen; Suchen von Bewegungen, die als Aufforderung, z. B. nach Essen, Trinken verstanden werden können, Bewegung wird zum Symbol |
Der „Kleine Raum“ |
Entstehung: |
Lilli Nielsen (2001) |
Zielgruppe: |
Kinder mit komplexer Behinderung |
Ziele: |
Erfahrbarmachung von Selbstwirksamkeit |
Theoretische Grundlagen: |
keine |
Praktische Anwendung: |
Kinder werden für ca. 15 Minuten in eine Holzkiste gelegt; diese ist so konstruiert, dass an deren Decke Gegenstände befestigt werden, die das Kind heranziehen kann, z. B. angenehme, interessante, essbare Objekte. Da sie immer an der gleichen Stelle zu finden sind, wird gelernt, sie willkürlich zu berühren, zu bewegen, zu vergleichen etc. |
Bernasconi, T., Böing, U. (2015): Pädagogik bei schwerer und mehrfacher Behinderung. Kohlhammer, Stuttgart
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