2.3.2 Kernprinzipien der Umsetzung der sozialen Sicherung
Umsetzung durch den Staat durch Prinzipien
Somit verpflichtet das Grundgesetz den Staat zur Herstellung und zum Erhalt sozialer Sicherheit (soziale Sicherung). Die Umsetzung der sozialen Sicherung durch den Staat folgt wiederum bestimmten Prinzipien:
Vorsorge/Versicherungsprinzip: Die Verwirklichung eines Risikos wird durch die Verteilung der Folgen auf die Gesellschaft für den Einzelnen beherrschbar, z. B. gesetzliche Krankenversicherung (SGB V), gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI), soziale Pflegeversicherung (SGB XI) oder Arbeitsförderung (SGB III).
Versorgungsprinzip/Entschädigung: Für Sonderopfer erfolgt ein voller Ausgleich (kein bloßer Gegenwert von Beitragszahlungen), wenn besondere Leistungen, insbesondere für den Staat erbracht wurden, z. B. Beamte (Treupflicht), Opferentschädigungsgesetz, Kriegsopferentschädigungsgesetz.
Förderungsprinzip: Soziale Ungleichheiten und Gegensätze werden ausgeglichen. Dies ist eine Folge des Gebots der sozialen Gerechtigkeit und Chancengleichheit, z. B. Wohngeld, Ausbildungsförderung, Kindergeld.
Hilfsprinzip: Bei Bedürftigkeit werden öffentliche Sach- oder/und Geldleistungen unabhängig davon gewährt, ob Beiträge gezahlt wurden oder nicht, z. B. Recht der Jugendhilfe, Sozialhilfe.
2.4 Rechtsstaat (Art. 20 Abs. 3GG)
Deutschland ist ein Rechtsstaat (Maurer 2014). Art. 20 Abs. 3GG beschreibt das Rechtsstaatsprinzip:
Art. 20 Abs. 3GG
„Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.“
Alles staatliche Handeln ist danach an Gesetz und Recht gebunden. Struktur und Zuständigkeit folgen diesem Grundsatz (Katz 2010).
2.4.1 Materieller und formeller Rechtsstaat
Rechtsstaatsbegriffe
Man unterscheidet zwischen materiellem und formellem Rechtsstaatsbegriff. Der materielle Rechtsstaatsbegriff beschreibt einen Staat, dessen Ziel die Freiheit und Gerechtigkeit im staatlichen bzw. staatlich beeinflussbaren Bereich ist. Demgegenüber meint der formelle Rechtsstaatsbegriff, dass die Machtausübung des Staates durch Gesetz und Recht geregelt und begrenzt ist (Maurer 2014).
2.4.2 Wichtige Einzelausprägungen des Rechtsstaatsprinzips
Der Rechtsstaat basiert auf verschiedenen Grundsätzen, deren wichtigste nachfolgend genannt seien:
Verteilung der Macht im Staat: Der Grundsatz der Gewaltenteilung regelt die Verteilung der Macht im Staat (Degenhart 2014) und bildet damit das tragende Organisationsprinzip des Rechtsstaates der Neuzeit für die Ausübung der Macht im Inneren (Bethge/von Coelln 2011; Badura 2015).
Art. 20 Abs. 2GG beinhaltet die Prinzipien der Volkssouveränität und der Gewaltenteilung:
Art. 20 Abs. 2GG
„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“
einzelne Gewalten
Danach sind drei Gewalten zu unterscheiden, die untereinander weisungsunabhängig sind (Maurer 2014; Schmidt 2015a):
gesetzgebende Gewalt (Legislative): Organe, die Gesetze verabschieden können, wie zum Beispiel der Bundestag (zum Teil im Zusammenwirken mit dem Bundesrat als Ländervertretung) und die Landtage,
vollziehende Gewalt (Exekutive): verwaltende Organe, wie zum Beispiel Bundesregierung, die Ministerien, die Bundesverwaltung und damit alle Bundesanstalten, aber auch Landesregierungen, Landes-, Kreis- und Gemeindeverwaltungen und
rechtsprechende Gewalt (Judikative) (ausführlich dazu Badura 2015): Gerichte, insbesondere die obersten Gerichte mit ihren Unterbauten (Instanzenzug), wie zum Beispiel:
Gerichtsinstanzen
Bundesverfassungsgericht (Bundesebene), Verfassungsgerichtshöfe der Länder (Länderebene),
Bundesgerichtshof, Oberlandesgerichte, Landgerichte, Amtsgerichte (Zivil- und Strafrecht = sog. ordentliche Gerichte),
Bundessozialgericht, Landessozialgerichte, Sozialgerichte,
Bundesverwaltungsgericht, Verwaltungsgerichtshöfe/Oberverwaltungsgerichte, Verwaltungs gericht sowie
Bundesarbeitsgericht, Landesarbeitsgerichte, Arbeitsgerichte.
Bindung an Recht und Gesetz: Alle staatlichen Maßnahmen müssen mit dem höherrangigen Gesetz vereinbar sein. Die öffentliche Verwaltung darf bei ihrem Handeln nicht gegen geltendes Recht, insbesondere gegen die Verfassung und die Gesetze verstoßen (Ipsen 2014a). Funktion und Rolle des Gesetzes kommen in zwei wichtigen Grundsätzen zum Ausdruck, die für den Rechtsstaat prägend sind (Badura 2015):
Vorrang/Vorbehalt des Gesetzes
Gesetzesvorrang: Kein Handeln gegen Gesetz! Das Handeln aller drei Staatsgewalten (Gesetzgebung, Verwaltung, Rechtsprechung) ist an das vorrangige Recht gebunden (Degenhart 2014; Schmidt 2015a).
Gesetzesvorbehalt (Art. 103 Abs. 2GG): Kein Handeln ohne Gesetz (Maurer 2014). Die Ausübung von staatlicher Macht (Zwang) darf nur auf Grundlage eines Gesetzes erfolgen (Degenhart 2014).
Berechenbarkeit staatlichen Handelns: Der Rechtsstaat fordert Rechtssicherheit und Vertrauensschutz für die BürgerInnen (Maurer 2014). Er muss berechenbar sein und darf nicht willkürlich handeln. Die Adressaten von Normen oder staatlichen Vorgaben müssen die Rechtslage erkennen und sich auf sie verlassen können. Um dies zu erreichen, haben sich Prinzipien herausgebildet, die bei der Anwendung des Rechts zu beachten sind:
Maßstäbe staatlichen Handelns
Bestimmtheitsgebot: BürgerInnen müssen die Rechtslage klar erkennen können und die ausführende Gewalt muss daraus Handlungsmaßstäbe herleiten und diese steuern und begrenzen (Manssen 2015). So müssen z. B. Verwaltungsakte gem. § 33 Abs. 1SGB X inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Das Erfordernis der Bestimmtheit dient vor allem der Rechtsklarheit und -sicherheit (Schmidt 2015a). Betroffene müssen klar, vollständig und eindeutig wissen, was von ihnen verlangt wird (welche Behörde, wer, von wem, was, wann, woraus = Rechtsgrundlage).
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