Einige Vertreter der Literatur gingen auch von dem Tag nach dem Beginn der Maßnahme aus (Voß und Pick 2009, S. 196). Grundlage für diese Interpretation ist der Wortlaut der Norm: »am Tag nach der Festnahme«.
Noch extensiver war das OLG Bamberg, welches einen Antrag nur als notwendig ansah, wenn voraussichtlich eine Gesamtdauer von mehr als drei Tagen zu erwarten sei (Urt. v. 05.12.2011, Az.: 4 U 72/11).
Mit der Grundsatzescheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urt. v. 24.07.2018 – 2 BvR 309/15, 2 BvR 502/16, NJW 2018, 2619) gibt es nun Klarheit (Mazur GuP 2019, 212). Das Bundesverfassungsgericht hat strenge Regeln aufgestellt. Demnach ist nach einer halben Stunde der Fixierung intern das Betreuungsverfahren zu starten. Der Antrag muss am nächsten Morgen bei Gericht eingehen. Erfolgt nach dem Einleiten des Verfahrens das Ende der Maßnahme, kann dies dem Gericht angezeigt werden, sodass das gerichtliche Verfahren beendet werden kann.
Wenn eine Zwangsmaßnahme vorhersehbar ist, muss der Antrag vorher gestellt werden. Dies gilt auch, wenn mehrere kleine, vorhersehbare Zwangsmaßnahmen intendiert sind. Dies ist beispielweise der Fall, wenn der Betroffene regelmäßig zur Zwangsmedikation kurzzeitig fixiert wird.
Es ist zu begrüßen, dass die unsichere Rechtslage vom Bundesverfassungsgericht behoben wurde. Das Gericht hat zudem den Ländern die Aufgabe auferlegt, entsprechende gerichtliche Bereitschaftsdienste zu schaffen. Dies ist aus Sicht der Einrichtungen ebenfalls zu begrüßen, da zu erwarten ist, dass Ansprechpartner besser zu erreichen sein werden. Die engen Antragsfristen bedeuten zwar einerseits Mehrarbeit, führen für die fixierenden Mitarbeiter andererseits zugleich zu Rechtssicherheit. Letzteres kann als argumentative Grundlage genutzt werden, wenn entsprechende Verfahren in Einrichtungen konkretisiert oder professionalisiert werden.
Prüfen Sie Ihre derzeitigen Handlungsanweisungen und Arbeitsabläufe, ob selbige die aktuelle Rechtsprechung berücksichtigt oder noch längere Zeiten bis zur Antragsstellung vorsehen.
3.6.6 Schuldlosigkeit bei Verbotsirrtum
Laut § 17 S. 1 StGB handelt ohne Schuld, wer als Täter bei der Begehung der Tat die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun. Dieser Irrtum muss zudem unvermeidbar gewesen sein. Die Schwelle, bei welcher Unvermeidbarkeit vorliegt, ist sehr hoch. Bei Zweifelsfällen werden höhere Anforderungen gestellt. Unvermeidbarkeit wird angenommen, wenn eine behördliche Bescheinigung vorliegt, welche das Tun bewertet (Schönke u. a. 2019, § 17 StGB, Rn. 18). Selbiges ist anzunehmen, wenn eine Auskunft eines hinreichend spezialisierten Rechtsanwalts vorliegt (BGH, Urteil vom 16. 8. 2007 – 4 StR 62/07, NJW 2007, 3078, Rn. 16; Schönke u. a. 2019, § 17 StGB, Rn. 18).
Deshalb sollte man als Einrichtung bei Zweifelsfällen seine Rechtsabteilung hinzuziehen oder sich extern beraten lassen. Selbiges gilt für die Musterformulare in diesem Buch. Sie dienen als Handreichung und müssen auf die konkrete Situation vor Ort angepasst werden. Ob dieser Schritt rechtskonform vorgenommen wurde, sollte juristisch überprüft werden. Damit schafft man für alle Beteiligten Sicherheit.
Binden Sie bei der Ausgestaltung der Handlungsanweisung Ihre Compliance- oder Rechtsabteilung mit ein oder lassen Sie sich von einem Fachanwalt in diesem Gebiet beraten. Dies sichert nicht nur die juristische Korrektheit des Ergebnisses, sondern enthaftet alle am Prozess beteiligten und jene, welche später auf Grundlage der Handlungsanweisung arbeiten.
3.7 Die Einwilligung des Betroffenen in eine Zwangsmaßnahme
Wenn der Betroffene in den Eingriff einwilligt, hat er zugleich in den Eingriff in seine persönliche Integrität eingewilligt. Damit ist das verfassungsrechtliche Schutzbedürfnis nicht mehr gegeben. Deshalb ist diese Maßnahme auch nicht strafbar (Fischer 2014 § 32 Rn. 3b). Details zur Einwilligung sind auch zivilrechtlich ausgestaltet. Hintergrund hierfür ist, dass es bei einer fehlenden Einwilligung Schadensersatzansprüche bestehen und das BGB die Einwilligung ausdrücklich regelt.
Der Begriff der Einwilligungsfähigkeit im Strafrecht entspricht dem im Zivilrecht: Eine Person ist einwilligungsfähig, wenn sie eine natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit hinsichtlich der Art, Notwendigkeit, Bedeutung, den Folgen und Risiken der medizinischen Maßnahme hat (Palandt 2020, § 630d Rn. 2). Da die strafrechtliche und zivilrechtliche Einwilligung Hand in Hand gehen, werden Details in diesem Kapitel separat besprochen.
Der Betroffene wird gefragt, ob ein Bettgitter angebracht werden darf. Er stimmt dem zu. Er hat damit in den Umstand, dass zu der Ruhezeit Gitter an sein Bett angebracht werden, um einem möglichen Sturz vorzubeugen, obwohl ihn dies am Verlassen des Bettes hindern wird, eingewilligt.
Die Einwilligung ist formfrei (Palandt 2020, § 630d Rn. 2). Auch die mündliche Einwilligung ist ausreichend. Wenn der Betroffene aus vorstehendem Beispiel einwilligungsfähig ist, die Pflegekraft ihm mitteilt, dass sie das Bettgitter zum Schutz vor Herausfallen anbringt und er dies billigt, so ist dies als Einwilligung ausreichend. Es bietet sich zum Nachweis der Einwilligung an, dass nicht nur das Anbringen des Bettgitters, sondern auch die Einwilligung in der Patientendokumentation notiert wird.
§ 630d Abs. 1 S. 1 BGB lautet:
»Vor der Durchführung einer medizinischen Maßnahme ist der behandelnde Arzt verpflichtet, die Einwilligung des Patienten einzuholen.«
Selbiges gilt für den Widerruf. Dieser sollte ebenfalls notiert werden, da dies ein wesentlicher Vorgang ist und diese Information zudem für alle an der Betreuung des Betroffenen Personen wichtig ist. Er ist jederzeit ohne Angaben von Gründen möglich. Im Falle eines Rechtstreits trägt derjenige, der die Zwangsmaßnahme erbringt die Beweislast dafür, dass eine wirksame Einwilligung vorliegt. Der Betroffene kann dann anschließend den Widerruf behaupten, welchen er auch beweisen muss.
Die Einwilligung sollte als Alternative zum gerichtlichen Beschluss bei der Ausgestaltung der Handlungsanweisungen berücksichtigt werden. In Fällen, bei welchen Zwangsmaßnahmen zu erwarten sind (z. B. postoperatives Delir), kann zum Zeitpunkt der noch bestehenden Einwilligungsfähigkeit eine Einwilligung für den möglichen Fall einer späteren Zwangsmaßnahme eingeholt werden. Die Aufklärung und Einwilligung kann Bestandteil der Aufklärung bei elektiven Eingriffen sein, bei welchen mit postoperativem Delir zu rechnen ist.
3.7.1 Voraussetzungen einer wirksamen Einwilligung
Die Einwilligung muss vor der Zwangsmaßnahme vorliegen. Sie kann auch zu einem früheren Zeitpunkt abgegeben werden, wenn für den Betroffenen die Umstände, die er für die Einwilligung abzuwägen hat, bekannt sind. Wann die Umstände bekannt sind, ist eine Frage der richtigen Aufklärung.
Damit die Einwilligung wirksam ist, muss gewährleistet sein, dass der Patient über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufgeklärt wurde. Zudem muss der Patient vollumfänglich und nicht nur in einen Teil der Maßnahmen in die geplanten Maßnahmen einwilligen. Wenn er nur in einen Teil einwilligt, ist nur der Teil umsetzbar, in welchen eingewilligt wurde.
Damit der Betroffene einwilligen kann, muss er einwilligungsfähig sein. Einwilligungsfähigkeit bedeutet, dass der Betroffene die Art, Bedeutung und Risiken der (ärztlichen) Maßnahme erfassen kann (Palandt 2020, § 630d Rn. 2; kann (BGH, Urt. v. 28.11.1957 – 4 Str 525/57; NJW 1972, 335). Der Patient muss nach seiner geistigen und sittlichen Reife imstande sein, Wesen, Bedeutung und Tragweite des fraglichen Eingriffs zu erkennen und sachgerecht zu beurteilen (Rengier 2013 § 23 Rn. 15; Wessels u. a. 2013, Rn. 374).
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