Sobald den anrückenden Verstärkungen der Übergang durch den Riss gelang, hatten die aufständischen Sklaven keine Chance mehr. Der Krieg war für sie verloren. Sie wussten es nur noch nicht. Alles, was noch fehlte, war Zeit. Die Flotte war noch weit vom Riss entfernt. Er musste offen gehalten werden, bis die Hinrady hindurchstoßen konnten.
Ein Hologramm materialisierte sich vor der Plattform, auf der Sturm residierte. Die Entität des Schwarmschiffes Icki’tari erschien in Form einer Echse, wie sie auf einigen Welten jenseits des Risses existierte.
Nicht zum ersten Mal fragte sich Sturm, warum sein Schwarmschiff ausgerechnet dieses Erscheinungsbild wählte, um vor sein Antlitz zu treten.
Die Echse öffnete das Maul und entblößte mehrere Reihen dreieckiger, messerscharfer Zähne. Diese Tiere waren beileibe keine Vegetarier. Kein Laut drang aus der Kehle des Hologramms. Das war auch gar nicht nötig. Schwarmschiff und Nefraltiri waren telepathisch verbunden.
Sie kommen , informierte Icki’tari. Menschen und Drizil haben eine gewaltige Streitmacht formiert. Die Analysen errechnen eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass es ihnen gelingt, unsere Linien zu durchbrechen. Icki’tari zögerte, bevor es fortfuhr. Und den Verlust eines hohen Anteils noch lebender Nefraltiri.
Sturm dachte über den Bericht seines Schwarmschiffes nach. Vor allem der letzte Teil störte ihn ungemein. Doch er hatte bereits eine Idee, wie sich die Chancen zumindest neu verteilen ließen. Ruf die Hinradygeneräle zu mir , forderte Sturm. Wenn die Sklaven der Meinung sind, sie könnten uns endgültig schlagen, dann geben wir ihnen eben etwas anderes, über das sie nachdenken sollten.
Teil II. Offensive gegen den Riss
Hauptkampflinien – Frontgebiet
Operation Grabstein
02. April 2899
»Noch einmal stürmt, noch einmal, liebe Freunde …«
William Shakespeare, Heinrich V., 3. Akt, 1. Szene
Auf dem Marsch Richtung Norden verlor Sorokin mehr als sechzig weitere seiner Leute an Eis und Kälte. Beinahe die ganze Zeit über stapften sie durch einen mörderischen Schneesturm. Wind und Eiskristalle bissen allen schmerzhaft ins Gesicht, die nicht über eine Rüstung verfügten.
Sie folgten unablässig dem Signal, das ihnen den Weg wies, ohne zu wissen, was am Ende auf sie warten mochte. Die fünf Marines, die die Spitze bildeten, hielten schlagartig an. Der Sergeant, der den Spähtrupp kommandierte, hob die geballte Faust.
Die Kolonne kam schwerfällig zum Halten. Man konnte kaum drei Meter weit sehen. Alle, die es bis hierhin geschafft hatten, waren durch Seile verbunden, die sich alle um die Hüfte gebunden hatten. Fast ein Drittel der Besatzungsmitglieder war im Sturm verloren gegangen. Sie hatten sich verirrt und waren in dieser lediglich aus Weißtönen bestehenden Einöde verschwunden. Als hätte sich die Eiswüste aufgetan, um wie ein lebendiges Monster die Menschen zu verschlucken.
Sorokin bewegte die Gliedmaßen seiner Rüstung und marschierte schwerfällig an die Spitze. Selbst mit der mechanischen Verstärkung seines Panzers war es mühsam, gegen die Gewalt anzukämpfen, die diese Welt gegen sie entfesselte.
Schlimmer noch, die Gelenke der Rüstungen begannen einzufrieren, wenn sie auch nur ein paar Minuten still standen. Ständige Bewegung war das einzige Rezept dagegen. Doch die nicht armierten Männer und Frauen der Kolonne hielten ein solches Maß an Belastung nicht unbegrenzt durch. Sie standen am Rande der Erschöpfung. Das traf auf sie alle zu.
Sorokin öffnete einen Kanal zum Marine-Sergeant. »Sarge? Was gibt es?«
Der Mann zögerte, ehe er sich seinem Kommandanten zuwandte. »Wir sind da.«
Sorokin sah sich nach allen Seiten um. Aber außer der allgegenwärtigen dicken Schicht aus Eis und Schnee war nichts zu sehen.
»Wie meinen Sie das?«, hakte er nach.
»Das Signal«, gab der Sergeant zur Auskunft. »Es kommt von hier.«
»Aber hier ist doch rein gar nichts.« Sorokin hatte Probleme, seine Verzweiflung nicht in seine Stimme einfließen zu lassen.
»Das müssen Sie mir nicht sagen, Commodore«, erwiderte der Mann, ohne sich provozieren zu lassen. »Aber es kommt definitiv von hier.«
Sorokin löste das Seil von seiner Hüfte und machte ein paar vorsichtige Schritte. Das Gelände war leicht abschüssig. Sie befanden sich auf einer Schneedüne.
»Das würde ich nicht tun, Sir«, warnte der Marine-Sergeant. »Falls Sie verloren gehen, finden wir Sie nie wieder.« Statt einer Antwort aktivierte Sorokin das Peilsignal seiner Rüstung. »Das nutzt auch nicht viel«, gab der Sergeant über Funk durch. »In dieser Suppe verzerrt sich das Signal nach wenigen Metern und scheint von überallher zu kommen.«
Das Argument des Marines war nicht von der Hand zu weisen. Das brachte Sorokin zum Nachdenken. Sie hatten in diesem Sturm eine Menge Leute verloren. Auch solche, die eine Rüstung getragen hatten. Dennoch hatte dieses Signal die Überlebenden hierher geführt. Was also konnte ein Signal von solcher Stärke ausstrahlen, das diesen Sturm und auch die Metallablagerungen in der planetaren Kruste von Tau’irin überwand?
Sorokin machte einige weitere Schritte und wäre beinahe gestürzt, als er über etwas stolperte.
»Sir?«, rief der Marine-Sergeant aufgeregt über Funk. Sorokin wurde sich bewusst, dass er sich außer Sichtweite seiner Leute bewegt hatte. »Sir? Hören Sie mich? Kommen Sie sofort zurück. Das ist eine Sackgasse.«
Sorokin antwortete nicht. Der Verstand des Commodore arbeitete fieberhaft. Es war seiner Meinung nach keine Sackgasse. Es durfte keine sein. Seine Leute folgten ihm. Er war für sie verantwortlich. Und er hatte nicht vor, all jene, die es bis hierher geschafft hatten, in den Tod zu führen.
Er stampfte mit den Füßen nacheinander auf, um den Untergrund zu prüfen. Es fühlte sich seltsam an. Sorokin ging in die Knie und begann mit beiden Händen zu graben. Unter der Schneeschicht kam blankes Metall zum Vorschein. Er grub weiter – und hielt verblüfft inne. Sie standen nicht auf einer Düne. Unter sich – gefangen in Eis und Schnee – lagen die Überreste der Sevastopol. Sorokin konnte die Schrift schwach erkennen. Demnach handelte es sich um das abgestürzte Hecksegment. Der Commodore sah auf.
Was er anfangs für einen kleinen Hügel gehalten hatte, war der seitliche Backbordausläufer mit einem Teil der Torpedoabschussrampen. Das Schiff hatte sich nach dem Absturz in den Boden gebohrt, war von Eis überkrustet worden und der Bordcomputer hatte dann das Einzige getan, zu dem er noch fähig gewesen war: Er rief um Hilfe. Und die Überlebenden hatten das Signal aufgefangen und waren ihm zu seinem Ursprung gefolgt.
Sorokin öffnete erneut einen Kanal. »Kommen Sie her, Sarge. Und bringen Sie alle anderen mit. Ich habe etwas gefunden.«
Er erhielt keine Antwort, aber schon bald kam die Spitze der Kolonne in Sicht und nur wenig später war Sorokin von einer Vielzahl Menschen umringt. Alle starrten aufgeregt auf das Stück Metall, das er freigelegt hatte.
»Ist es das, wofür ich es halte?«, wollte der Sergeant wissen.
»Öffnen Sie das Schott«, ordnete er an. »Wir müssen da rein. Unbedingt.«
»Das wird auch nicht viel mehr Schutz bieten«, zweifelte der Marine.
»Ein bisschen Schutz ist besser als gar keiner.«
Der Marine musste den Kanal gewechselt haben, denn zwei seiner Soldaten machten sich daran, das Schott mit Plasmabrennern aufzuschneiden.
Der Marine-Sergeant behielt derweil die Umgebung fest im Blick. »Ich frage mich, warum den Hinrady das Signal entgangen ist.«
Sorokin zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Ist mir im Moment auch egal. Vielleicht überwachen sie diese Frequenz nicht. Oder sie haben im Moment anderes zu tun. Ich wünschte nur, der vermaledeite Sturm würde endlich enden.«
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