Einmal hatte er eine für ihn schon lange Affäre mit einer achtunddreißigjährigen, auch verheirateten Frau, die er in der Gemüseabteilung eines Supermarktes kennengelernt und angesprochen hatte. Rick hatte die letzte frische Gurke ergattert und war gerade dabei, zur Kasse zu schlendern, als diese gut aussehende Brünette auftauchte und ebenso Gurken kaufen wollte. Es war keine mehr da. Sie zeterte und schimpfte, dass sie erst jetzt zum Einkaufen käme, dass man in diesem Scheißladen aber auch gar nichts bekomme.
Rick hörte sich das Gejammer an, fuhr zu ihr, stellte seinen Einkaufswagen neben den ihren und meinte: „Hallo! Sie können gern meine Gurke haben! Ich brauche sie nicht so dringend wie Sie.“
Diese Aussage brachte die Wütende so sehr zum Lachen, dass sie auf Ricks Frage (in der Wurstabteilung etwa drei Minuten später), ob sie nach dem Einkauf einen Kaffee oder etwas anderes trinken wolle, spontan mit Ja antwortete. Dieses Spiel konnte Rick wirklich gut, nicht umsonst war er der Meister.
Über mehrere Wochen hatten die beiden ein Verhältnis, Rick schwärmte von ihren Fähigkeiten, bis ihr Mann davon Wind bekam und sie das Ganze beendete.
Mich wundert ja, dass Rick noch nie irgendein Problem mit einem Freund, Verlobten, Ehemann hatte. Er scheint sich immer wunderbar aus der Affäre ziehen zu können.
Mein Freund war wohl das beste Vorbild, das man(n) haben konnte. Aber ganz so wie er wollte ich auch nicht sein. Natürlich liegt es in der Natur des Mannes – das sagte uns schon unsere Biologielehrerin –, möglichst viele Frauen zu beglücken, um das Überleben der Art sicherzustellen. Aber Rick betrieb da ja schon Leistungssport, mit seinem Frauenverschleiß konnten wahrscheinlich nicht einmal die Chippendales mithalten, und die waren doch, wenn ich mich nicht täusche, zu fünft.
So wollte ich nie sein, mir schwebte eine harmonische, erfüllte Partnerschaft vor mit einer Frau, die nicht nur meine Frau, sondern auch meine Seelenverwandte und beste Freundin sein sollte. Da ich auch nicht wählerisch war, hatte ich keine großen Vorstellungen von ihrem Aussehen. Ich meine, sie sollte zwei Augen besitzen (Rick hatte mal was mit einer Frau mit Glasauge, uuh), mindestens dreißig der zweiunddreißig Zähne (und die fehlenden nicht unbedingt im Schneidezahnbereich) und so gut kochen können wie Mama. Alles andere würde ich mir dann schon noch ansehen. Es war so wie beim Essen, wie Mama immer sagte. Ich hab schon als Kind immer alles, was mir vorgesetzt wurde, mit Freude und Hingabe aufgegessen. Ich war nie ein Essensverweigerer, ein Kostverächter.
Ein Gedanke an gestern Abend durchzuckte mich und kalter Schweiß brach aus. Aber auch der Riese vor mir brachte mich zum Schwitzen, denn er hatte sich jetzt an mir vorbeigeschoben und mit einer einzigen leichten Handbewegung die anderen zwei Koffer um mehrere Meter nach vorn katapultiert. Seine Frau schmiegte sich an ihn, während sie Rick mit einem vielsagenden Blick anlächelte. Ob er den Ehering entdeckt hatte, kann ich nicht sagen.
Eine Stunde und viele Aufforderungen Ricks, endlich doch noch was zu trinken, später saßen wir endlich im Flugzeug. Mir war heute nicht nach Trinken, ich wollte nur in Ruhe im Flieger sitzen, mich entspannen und das gestrige Erlebnis vergessen. Rick dagegen befand sich bereits im Urlaub, was für ihn hieß, dass er Unmengen an Alkohol in sich reinschüttete und auf der Jagd war. Die Stewardessen waren logischerweise für ihn am verlockendsten. Bis zur Landung ergatterte er drei Telefonnummern, eine davon war die des Stewards Ralf.
Während Rick wie immer seinem schönsten Hobby nachging, versuchte ich ein wenig Klarheit in mein Leben zu bringen und darüber nachzudenken. Mit einem Mal erkannte ich die immer gleichen Muster, die mein Leben beherrschten, und mir fielen lang vergessene und verdrängte Ereignisse ein, die dieses wiederkehrende Verhalten eindrucksvoll bestätigten.
Mit siebzehn war ich wieder einmal verliebt – Bea liebte ich soundso, aber sie antwortete auf meine Briefe nicht und war vergeben – und nach Monaten des Zuwartens nahm ich all meinen Mut zusammen und bearbeitete Rick, ob er sie nicht für mich fragen könne.
„Was soll ich sie denn fragen?“ „Na ja, was schon? Ob sie mit mir …“, ich zögerte. „Mit dir poppen will?“, feixte Rick. „Du Trottel! Nein, ob sie mit mir einmal was trinken möchte.“ Rick trottete hin und ich wartete sehnsüchtig auf Antwort. Diese schlug ein wie ein Blitz, sie hatte zugesagt.
Am nächsten Tag saß ich eine Stunde zu früh im Lokal, in dem wir uns treffen sollten, und versuchte ein perfektes Ambiente zu schaffen. Ich freute mich so sehr, als sie endlich eintraf, nur ihre beste Freundin hätte sie zu Hause lassen können. Das Auftauchen zweier Mädels brachte mich so aus der Fassung, zerstörte meine Pläne so sehr, dass ich gleich einmal, quasi zur Entspannung, zwei weiße Spritzer für mich bestellte. Die Mädchen schauten ein wenig entgeistert, aber es gelang mir klarzustellen, dass dies für mich ein normaler, eigentlich immer praktizierter Vorgang war. Sie bräuchten sich gar nicht zu fürchten, ich würde ihnen wegen zweier Getränke schon nicht vor die Füße kotzen. Geküsst wurde ich an dem Tag dann doch nicht, obwohl ich mir ziemlich sicher gewesen war; die beiden hatten nach zwanzig Minuten plötzlich einen wichtigen Termin, mir blieb zumindest noch ein Spritzer, der mich tröstete.
Und nur wenige Wochen später, das vorletzte Schuljahr meiner Karriere war noch nicht zu Ende, probierte ich mein Glück bei einem anderen süßen Mädel. Auf Ricks Tipp hin hatte ich versucht, jedes Mal, wenn ich sie sah, zu flirten – mit meinen Blicken, denn sie anzusprechen, wagte ich nicht. Also schaute ich sie durchdringend an, wenn ich sie sah, schwieg aber. Das wirkte Wunder, sie war schon ganz scharf auf mich, da war ich mir sicher.
Und an einem Freitag sollte es passieren, ich würde sie ansprechen. Rick stärkte mir den Rücken, hielt mir sprichwörtlich die Stange, als ich um 7.30 Uhr am Busbahnhof stand und auf ihre Ankunft wartete. Sie stieg endlich aus dem Bus, ihre langen Haare kräuselten sich im Wind, und als sie mich erblickte, schien ein Lächeln über ihr Gesicht zu huschen. Mit zitternden Knien näherte ich mich ihr, sah sie an und fragte mit unsicherer Stimme: „Hallo. Magst du mit mir gehen?“ Sie blickte mich verwirrt an und antwortete, ohne zu zögern: „Nein!“
Was hatte ich Idiot denn jetzt wieder getan? Ich wollte sie eigentlich nur fragen, ob ich sie zur Schule begleiten dürfe. „Ich meinte … ich wollte … nur fragen, ob ich dich zur Schule bringen darf“, stammelte ich verlegen. „Wenn du meinst!“, war ihre vielsagende Antwort. Schweigend stapften wir nebeneinander bis zum Schulgebäude. Sie hat mich erst Jahre später wieder gegrüßt, unterhalten haben wir uns bislang nicht.
Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen, ich wusste nun, was mein größter, mein einziger Fehler gewesen war, den ich jahrein, jahraus begangen hatte. Ich hatte gesprochen. Immer wenn ich den Mund aufmachte, verlor ich; schwieg ich, passierte zwar nichts, aber das war besser, als blamiert zu werden. Ab nun würde ich nie wieder meinen Mund öffnen und einer Frau sagen, was ich für sie empfand. Nie wieder. NIE WIEDER! Das beschloss ich, als wir uns gerade im Landeanflug auf Heraklion befanden.
Die drückende Hitze am Rollfeld warf mich beinahe um, schlimmer aber war die Nachricht, die nach dem Abholen der Koffer folgte. Rick und ich hatten, um Geld zu sparen, eine Roulette-Buchung vorgenommen. Das heißt, wir wussten, in welchen Ort wir verreisten, aber nicht in welches Hotel. Die Typen von der Reisegesellschaft hatten wirklich ganze Arbeit geleistet, das muss man ihnen lassen. So viel Gefühl für die Kundschaft muss man erst einmal aufbringen. Wie kann es sonst passieren, dass man zwei fünfundzwanzigjährige Single-Männer in einen All-Inclusive-Family-Club einquartiert? Das war in etwa so, als würde man den Teufel zwingen, bei einem dreistündigen päpstlichen Ostergottesdienst in der ersten Reihe knien zu müssen. Ich regte mich fürchterlich auf und schnauzte die Reiseleiterin Tina mächtig an.
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