Cicero, der große römische Rhetoriker und Staatsmann, erkannte, dass Privateigentum vorwiegend durch Okkupation entstand. 179Diese Erkenntnis bleibt bis heute richtig. Wir denken heute sehr stark in Kategorien des Eigentums. Aber die Vorstellung von Eigentum, die uns heute so selbstverständlich erscheint, hat im Laufe der Geschichte unterschiedliche Ausprägungen gekannt. Am Anfang war in vielen Gesellschaften der Gedanke des Gemeinschaftsbesitzes sehr ausgeprägt. Grund und Boden waren Gemeineigentum. Privateigentum gab es nur in einem geringen Umfang und bezog sich zum Beispiel auf Werkzeuge, Waffen oder Kleider.
Ciceros Erkenntnis galt für die Römerzeit. Die Römer haben sich viele Gedanken zum Eigentum gemacht, in das römische Recht fand sogar eine Art »Sakralisierung des Eigentums« (Thomas Piketty) Eingang. Nach dem Ende Westroms schlug das Pendel aber wieder in Richtung Gemeineigentum aus. Allerdings nur vorübergehend, d. h. im Mittelalter. Speziell in der Neuzeit zäunten immer mehr Menschen ihr Land ein. Und manche zäunten mehr Land ein als andere, nahmen sich also mehr Land. Damit konnten sie größere Flächen bewirtschaften und auch mehr ernten. Hinzu kam: Manche Bauern waren auch einfach tüchtiger als andere – oder hatten einfach Glück mit ihren Böden.
Jedes Kind versteht, dass so Besitzunterschiede entstehen. Ungleichheit und die Entstehung von gesellschaftlichen Klassen sind aber noch ältere Phänomene – deshalb ist die Bronzezeit so wichtig. Vor der Bronzezeit hatten alle Menschen Zugang zu den gleichen einfachen Technologien, konkret Holz und Stein. Mit dem Beginn des Einsatzes von Metallen, besonders der Bronze, kam es zu einer Teilung der Gesellschaft. Nur wenige Menschen waren in der Lage, Bronze zu beschaffen und zu bearbeiten. Die meisten Menschen waren vom Zugang zu dieser Technologie ausgeschlossen.
Wer die Metallverarbeitung kontrollierte, hatte den Zugriff auf die Waffen. Und auf Macht und Einkommen. 180Man könnte sagen, dass in der Bronzezeit die Ungleichheit erfunden wurde. Nicht aber der Krieg. Zwar wurden durch die Sesshaftigkeit indirekt Konflikte begünstigt, denn vor der Neolithischen Revolution war es sehr viel leichter, Konflikten und Gewalt aus dem Wege zu gehen. Die Sesshaftigkeit und die Herausbildung territorialer Grenzen beseitigten diesen Vorteil.
Die meisten Anthropologen sind sich jedoch sicher, dass auch Jäger- und Sammlergesellschaften kriegerisch waren. 181Es gab zwar auch Stämme, die ein überaus friedfertiges Verhalten an den Tag legten, gleichzeitig liegen aber starke Belege vor, dass manche Stämme auf extreme Gewaltanwendung setzten. In solchen Jäger- und Sammlergesellschaften fiel fast ein Drittel der Männer Kämpfen zum Opfer.
Den Krieg gab es also schon vor der Klassengesellschaft. Gleiches gilt für das Patriarchat. Allerdings dürfte sich das Konfliktpotenzial in Gesellschaften durch die Entstehung von Ungleichheiten erheblich gesteigert haben. Für die Stellung der Frau bedeutete der Übergang zu Ackerbau und Viehzucht nur wenig Gutes. In der Kultur der Jäger und Sammler hatten die Frauen an der Nahrungsmittelbeschaffung teilgenommen. Sie suchten Pflanzen und waren auch an der Jagd beteiligt. Während ihrer nomadischen Existenz mussten die Frauen ihre Babys und kleinen Kinder tragen. Eine Mutter kann ihr zweites Kind erst dann tragen, wenn das erste mit dem Clan wandern kann. Durch Infantizid hielten sich die Frauen allzu viele Kinder im wahrsten Sinne des Wortes vom Hals. Diese Pflicht entfiel mit der Sesshaftigkeit. 182
Zur Jäger-und-Sammler-Zeit bekam eine Frau durchschnittlich alle vier Jahre ein Kind. Mit der Sesshaftigkeit und dem Übergang zum Ackerbau halbierte sich dieser Wert: Nun empfing eine Frau durchschnittlich alle zwei Jahre ein Kind. 183In der Hortikultur waren die Frauen mit der Bepflanzung des Gartens befasst, was mit der Kindererziehung gut vereinbar war. Der Ackerbau privilegierte dagegen die Männer. Das körperlich anstrengende Pflügen war Männerarbeit, die Frauen verloren an Einfluss.
Die Herausbildung des Staates
Ackerbau und Viehzucht hatten die Entstehung großer saisonaler Überschüsse zur Folge. Diese mussten verwaltet und verteidigt werden – denn sie weckten Begehrlichkeiten. Spezialisten für Verwaltung und Gewaltanwendung bildeten sich heraus. 184
Vor der Neolithischen Revolution fiel die Beute im Falle kriegerischer Auseinandersetzungen eher schmal aus. Das änderte sich nun. Der Staat entstand, um die saisonalen Überschüsse vor Raubüberfällen zu schützen. Und natürlich, um vorgenommene territoriale Zuschnitte zu verteidigen. Nicht selten waren die frühen Staaten selbst Räuber. Weltliche oder religiöse Herrschaftsgebiete kamen oft durch die gewaltsame Zentralisierung der landwirtschaftlichen Überschüsse zustande.
Wie genau kam es aber zur Herausbildung des Staates? Am Anfang war der Staat wahrscheinlich nur eine Person. Vieles spricht dafür, dass die ersten Herrscher »große Männer« waren. Männer, die als Vertrauenspersonen galten. Das konnten Schamanen sein. Oder bewährte Kämpfer. Oder Personen, die als besonders weise galten. In jedem Fall bekamen sie die Aufgabe, die landwirtschaftlichen Überschüsse im Interesse der Allgemeinheit zu verwalten. Bisweilen versprachen sie, von den Nahrungsmittelüberschüssen ein großes Fest zu geben. Sie behielten am Anfang nichts für sich, sondern verteilten alles.
Aus diesen großen Umverteilern, die Nahrungsmanager und Lebensmittelverwalter waren, wurden mit der Zeit herausgehobene Personen, die sich über ihre Gefolgschaft stellten. Sie ließen irgendwann andere für sich arbeiten, erteilten Befehle und erzwangen Gehorsam. Sie und ihre engsten Vertrauten wurden zu Angehörigen einer ersten herrschenden Klasse. 185
Mythen waren für die Herausbildung und für die Absicherung von Hierarchien von großer Bedeutung. Gesellschaftliche Ordnungen wurden aufgestellt, die frei erfundene Kategorien wie Freigeborene, Gemeine und Sklaven umfassten. Später bildeten sich Kategorien wie Patrizier und Plebejer heraus. Und noch später teilte man die Gesellschaft in Schwarze und Weiße. 186Der israelische Universalhistoriker Yuval Noah Harari folgert deshalb: »Alle Gesellschaften basieren auf erfundenen Hierarchien.« 187
Boden, Wasser und Pflanzen befanden sich mit der Herausbildung des Staates nicht länger in Gemeinschaftsbesitz. Jeder Mann und jede Frau hatte vorher Anspruch auf den gleichen Anteil an der Natur gehabt. Es gab keine Steuern und auch keine Mieten. Das änderte sich nun. Aus anfänglich freiwillig geleisteten Beiträgen wurden Steuern und Tribute. Und aus den großen Umverteilern wurden erst Häuptlinge, später Könige. 188Letztere setzten die Erblichkeit ihres verantwortungsvollen Amtes durch. So entstanden die ersten Dynastien. 189
Der Anthropologe James Scott hat argumentiert, dass der Ackerbau auf festen Feldern eine Falle darstellte. Nach Scott schuf er eine im wahrsten Sinne des Wortes gefangene Population, die an das Land gebunden und damit in der Machtstruktur gefangen war, die gerade regierte. 190
Ohne Landwirtschaft war also kein Staat zu machen. Das landwirtschaftliche Surplus bedingte zudem noch auf andere Weise soziale Ungleichheit: Es diente als Nahrung für Kriegsgefangene, die zuvor häufig getötet wurden, da man sie nicht ernähren konnte. Jene Kriegsgefangene blieben nun am Leben, mussten aber den siegreichen Staaten als Sklaven dienen.
Der Staat beförderte entscheidend die Entwicklung der Schrift. 191Nur mit der Schrift ließen sich Überschüsse dokumentieren, Bilanzen erstellen oder Gesetze formulieren. Schrift schafft Verbindlichkeit und ermöglicht die Speicherung von Informationen. »Irgendwie verdanken wir unsere Zivilisation den Bürokraten«, meint deshalb der Prähistoriker Hermann Parzinger. 192Die ersten Schriftstücke, die überliefert sind, bestehen ausschließlich aus Listen von Gütern, ihren Mengen und ihrem Tauschwert. Es ging nicht um Poesie. Im Gegenteil: Die Schrift half auch bei der Organisation der Sklaverei. Sklaven wurden wie Güter gehandelt. Und Güter konnten in Listen geführt werden. 193
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