Peter Rogenzon
Adieu Justitia
Erinnerungen eines alten Richters
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Inhaltsverzeichnis
Titel Peter Rogenzon Adieu Justitia Erinnerungen eines alten Richters Dieses ebook wurde erstellt bei
1. Vorwort 1. Vorwort zur 4. Auflage „Das musst du aufschreiben!“ sagte man mir öfter, wenn ich Geschichten aus der Justiz oder andere merkwürdige Erinnerungen erzählte. Nun, so habe ich es also getan und hoffe, dass damit eine interessante Freizeit- oder Ferienlektüre entstanden ist. Schließlich ist es ja für Laien immer spannend, einen Blick hinter die Kulissen der Justiz zu werfen. Natürlich soll auch der Humor dabei nicht zu kurz kommen. Und so wünsche ich Ihnen viel Spaß beim Lesen. Ich bin überzeugt: den werden Sie haben. Bad Reichenhall, im Juni 2015 Peter Rogenzon
2. Ein ganz normaler Tag
3. Vaterschaftsprozesse
4. Eheberatung
5. Der alte Pensionist
6. Der Krimiautor
7. Ein Strafprozess
8. Moslems unter sich
9. Der Weiberfeind
10. Beerdigungen
11. Eigentlich längst tot
12. Die Maus
13. An der Spitze des Fortschritts
14. Der alte Sünder
15. Das Potenzwasser
16. Altersfragen
17. Kapitulation
18. Die Mafia
19. Verdrängung
20. Auer Dult
21. Geschichten rund ums Auto
22. Der Querulant
23. Der Autodiebstahl
24. Der Staatsanwalt
25. Ein Verbrechen lohnt sich doch
26. Der schöne Busen
27. Tod eines Malers
28. Die Radikalkur
29. Zu guter Letzt
30. Aphorismen
Impressum neobooks
zur 4. Auflage
„Das musst du aufschreiben!“ sagte man mir öfter, wenn ich Geschichten aus der Justiz oder andere merkwürdige Erinnerungen erzählte. Nun, so habe ich es also getan und hoffe, dass damit eine interessante Freizeit- oder Ferienlektüre entstanden ist. Schließlich ist es ja für Laien immer spannend, einen Blick hinter die Kulissen der Justiz zu werfen.
Natürlich soll auch der Humor dabei nicht zu kurz kommen. Und so wünsche ich Ihnen viel Spaß beim Lesen. Ich bin überzeugt: den werden Sie haben.
Bad Reichenhall, im Juni 2015
Peter Rogenzon
„Ein ganz normaler Tag!“ dachte Amtsrichter Dr. Prell, als er wie immer pünktlich um 7.00 Uhr das Justizgebäude betrat. In der Eingangshalle warf er einen flüchtigen Blick auf die Statue der Justitia, eine „moderne“ Plastik, die an der Stirnseite des Raumes stand. Sie war wohl das scheußlichste Modell ihrer Art: ein flachbrüstiges Mädchen mit ausdruckslosem Gesicht und strähnigem Haar, bekleidet mit einer Art von Büßerhemd; mit der einen Hand stützte sie sich auf ein Schwert wie eine Behinderte auf ihren Stock und in ihrer anderen klumpigen Hand hielt sie eine Waage. Was dieser Figur aber noch einen besonderen Ausdruck verlieh, war die billig wirkende Goldbronze, mit der sie angestrichen war. Man hätte mindestens den Goldton nehmen müssen, mit dem seine Frau die Nüsse am Christbaum zu besprühen pflegte, hatte Dr. Prell einmal gefunden, als er sich vor Jahren ein einziges Mal gedanklich mit der Statue befasst hatte und zu dem Schluss gekommen war, sie sei vielleicht ein treffliches Sinnbild der Justiz in dieser Zeit. Aber nun pflegte er schon seit langem keine Notiz mehr von dieser Dame zu nehmen.
Dr. Prell konzentrierte sich vielmehr auf den Gang, in dem sein Dienstzimmer Nr. 209 lag. Er musste jedes Mal die vielen Türen genau abzählen und dann noch sicherheitshalber das Schild an seinem Zimmer lesen:
Zimmer Nr. 209
Amtsgerichtsrat Dr. Prell
An dieser Dienstbezeichnung erkennt der mit der Materie vertraute Leser, dass diese Geschichte schon einige Zeit zurückliegt, denn inzwischen hat eine Justizreform eine Neuerung gebracht, die wohl nur in Beamtenkreisen als eine solche empfunden wird: Aus dem guten alten „Amtsgerichtrat“ ist inzwischen ja bekanntlich ein „Richter am Amtsgericht“ geworden.
Dr. Prell betrat sein bescheidenes Dienstzimmer, das sein an der Universität tätiger Freund leicht spöttisch als „Zelle 209“ bezeichnet hatte. So etwas schmerzt normalerweise einen strebsamen Beamten, denn wie bedeutsam er ist, lässt sich an der Zahl der Quadratmeter ablesen, die ihm seine Behörde zur Verfügung stellt. Aber Dr. Prell war über solche Dinge erhaben, denn er war mit seinem Dasein als unabhängiger Richter in der nach seiner Meinung schönsten deutschen Stadt völlig zufrieden.
Er zog die Jalousie empor, öffnete das Fenster, um die frische Morgenluft hereinzulassen. Dann riss er ein Blatt seines Kalenders ab und schaute, was er für diesen Tag eingetragen hatte: „Waffe kaufen!“ stand dort mit roter Schrift – von ihm selbst so geschrieben, obwohl er seit seiner Schulzeit auf rote Tinte geradezu allergisch war. Aber er hatte sich selbst sozusagen den unwiderruflichen Befehl geben wollen, dieses Mal mit dem Waffenkauf wirklich Ernst zu machen. Er hatte sich zwar schon öfter mit dem Gedanken befasst, etwas für seine Sicherheit zu tun, etwa als er mit der Mafia oder der RAF zu tun gehabt hatte, aber dann hatte er doch gefunden, dass er sozusagen ein „Soldat des Rechts“ sei und keine Angst haben dürfe. Wie sollte er denn auch mit einer Pistole einen Attentatsversuch abwehren?
Doch dieses Mal war alles anders: Vor drei Jahren hatte er einen Perser (heute würde man wohl „Iraner“ sagen) verurteilt, der Rauschgift in einem LKW einschmuggeln wollte. Das Rauschgift war in den hohlen Wänden des Laderaums versteckt gewesen und dort von den Zollbeamten entdeckt worden. Natürlich hatte der Perser bestritten, etwas vom Vorhandensein des Rauschgifts gewusst zu haben, aber er war dadurch überführt worden, dass auf der Verpackungsfolie seine Fingerabdrücke gefunden worden waren. Dennoch war der Perser nicht zu einem Geständnis bereit gewesen. Als er dann zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt wurde, war er ausfällig geworden: Er schrie Dr. Prell an:
„Das wirst du büßen, du Hurensohn! Dir schlitze ich den Bauch auf wie einer Sau!“
Dr. Prell hatte den Perser sofort aus dem Sitzungssaal entfernen lassen. Noch während der Wachtmeister den Mann zwangsweise hinaus transportierte, brüllte dieser weiter herum:
„Streich dir den Tag meiner Entlassung rot im Kalender an: Dann komme ich wieder, um mich zu rächen. Wenn ein Perser hasst, dann sieht er darin eine Lebensaufgabe, die er zu erfüllen hat.“
Dr. Prell hatte den Wortlaut der Äußerungen ins Sitzungsprotokoll aufnehmen lassen, weil er gefunden hatte, dass hierfür eine zusätzliche Strafe angebracht war (die dann auch verhängt worden ist). Er hatte zum ersten Mal in seinem Leben eine Drohung durchaus ernst genommen, so hemmungslos bösartig war der Hass, der ihm von diesem Mann entgegengebracht worden war. Deshalb hatte Dr. Prell drei Jahre lang die bevorstehende Entlassung des Persers von einem Jahreskalender auf den nächsten übertragen und jeweils rot notiert: „Waffe kaufen“. Er hatte sich irgendwann einmal im Gefängnis erkundigt, wann der Mann entlassen würde. („Gefängnis“ nannte man damals so treffend jene Institution, die heute mit der scheußlichen Abkürzung „JVA“ bezeichnet wird.) Man hatte ihm mitgeteilt, der Strafgefangene würde praktisch bis zum letzten Tag sitzen, weil er das Bösartigste gewesen sei, was man dort je hinter Gittern verwahrt habe; anschließend werde der Mann nach Persien abgeschoben.
Dr. Prell war trotzdem beunruhigt. Auf einmal fiel ihm ein, was sein Vater, ein tief religiöser Mann, einmal zu ihm gesagt hatte:
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