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(2) Begründetist der Wiedereinsetzungsantrag bei unverschuldeter Fristversäumung des Angeklagten (§ 44 S. 1 StPO). Zielt die Klausuraufgabe auf die Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, muss also das Verschulden eines Drittenfestzustellen sein (vgl. hierzu im Einzelnen M-G/S § 44 Rn. 15 ff.). So darf die Postfür den Transport eines normalen Briefs in Anlehnung an § 270 S. 2 ZPO im Ortsverkehr nicht länger als einen Werktag und im Übrigen – auch bei größerer innerdeutscher Entfernung – nicht länger als zwei Werktage benötigen. Ein Verschulden der Justizkann etwa bei Unterbleiben der nach § 35a S. 1 StPO erforderlichen Rechtsmittelbelehrung (vgl. § 44 S. 2 StPO), dem Unterlassen der Mitteilung an den Verteidiger nach § 145a Abs. 3 S. 2 StPO oder in bestimmten Fällen der Unwirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts[4] vorliegen. Fehler des Verteidigersoder dessen Angestellter, die dem Angeklagten anders als gemäß § 85 Abs. 2 ZPO im Zivilprozess nicht zugerechnet werden, können etwa darin liegen, dass Rechtsmittelschriften irrtümlich nicht abgesendet oder erst gar nicht gefertigt werden. Hierbei ist allerdings zu bedenken, dass ein die Wiedereinsetzung ausschließendes Mitverschuldendarin liegen kann, dass dem Angeklagten auf Grund besonderer Umstände eine mögliche Fristversäumnis auf Seiten des Verteidigers erkennbar war.
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So hatte der Angeklagte den Rechtsmittelauftrag in einem Klausurfall innerhalb der Revisionseinlegungsfrist durch einen Telefonanruf erteilt, der während einer Betriebsfeier von einer „angeheiterten“ Bürokraft des Verteidigers entgegengenommen wurde, die den Anruf vergaß und den Anwalt nicht informierte: Zwar hätten die Umstände des Telefongespräches dem Angeklagten hier möglicherweise Anlass geben können, sich am nächsten Werktag bei seinem Verteidiger über die Einlegung des Rechtsmittels zu vergewissern. Da die Rechtsprechung § 44 StPO im Interesse materieller Gerechtigkeit aber großzügig anwendet (vgl. M-G/S § 44 Rn. 11), ließ sich ein Mitverschulden des Angeklagten – das im Übrigen auch wegen des ansonsten erforderlichen Hilfsgutachtens klausurtaktisch wenig wünschenswert gewesen wäre – im Hinblick auf die Versicherung der Bürokraft, den Anwalt schnellstmöglich zu unterrichten, mit guten Gründen verneinen.
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bb) Zu beachten ist im Übrigen, dass das Revisionsgericht (§ 46 Abs. 1 StPO) die Wiedereinsetzung bei Vorliegen aller anderen Voraussetzungen des § 45 StPO – also insbesondere bei frist- und formgerechter Nachholung der versäumten Prozesshandlung – nach § 45 Abs. 2 S. 3 StPO auch ohne ausdrücklichen Antrag von Amts wegengewähren kann. Eine derartige Konstellation ist aus Sicht der Prüfungsämter – da dann kein besonderes prozessuales Geschehen auf die Problematik des § 44 StPO hinweist – besonders interessant. Ein insoweit einschlägiger Klausurfall betraf allerdings die nachfolgend erörterte Revisionsbegründungsfrist:
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Eine Revisionsbegründungsschrift, mit der die allgemeine Sachrüge erhoben worden war,[5] war bei Gericht zwar fristgerecht, aber ohne die hier nach § 345 Abs. 2 StPO zwingend erforderliche Unterschrift des Verteidigers eingegangen, wovon dieser ausweislich eines auf dem Schriftsatz angebrachten Vermerks der Geschäftsstellenbeamtin nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist telefonisch benachrichtigt worden war. Der Verteidiger holte die Unterschrift daraufhin noch am selben Tag nach – auch das ergab sich aus einem Vermerk – und versicherte gleichzeitig in einer ebenfalls auf der Begründungsschrift angebrachten schriftlichen Erklärung, dass seine Kanzleikräfte das Schreiben irrtümlich ununterschrieben zur Gerichtspost gelegt hätten. Da die versäumte Revisionsbegründung durch die Nachholung der Unterschrift hier sogar noch vor Beginn der – nur durch die Kenntnis des Angeklagten selbst in Gang zu setzenden (vgl. M-G/S § 45 Rn. 3) – Wochenfrist des § 45 Abs. 1 S. 1 StPO nachgeholt und das fehlende Verschulden des Angeklagten zugleich glaubhaft gemacht wurde, war die Wiedereinsetzung gemäß § 45 Abs. 2 S. 3 StPO auch ohne – den in der Klausuraufgabe nicht enthaltenen – Antrag zu gewähren.
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d) Eine in der Klausuraufgabe einfach zu konstruierende Komplikation kann schließlich auch darin liegen, dass der Eingang des Revisionseinlegungsschreibens bei Gericht zeitlich nicht mehr nachvollzogenwerden kann – etwa weil die Anbringung eines Eingangsstempels auf dem Schriftstück in der Wachtmeisterei versäumt wurde. Jedenfalls eine zu Gunsten des Angeklagten eingelegte Revision gilt in dieser Situation als rechtzeitig, da eine Verwerfung des Rechtsmittels die positive Überzeugung des Revisionsgerichts von dessen Unzulässigkeit voraussetzt. Ist demgegenüber bereits zweifelhaft, ob das Rechtsmitteleinlegungsschreiben überhaupt bei Gericht eingegangen ist, so muss das Rechtsmittel als unzulässig behandelt werden (vgl. M-G/S § 261 Rn. 35).
B. Zulässigkeit der Revision› VI. Mögliche Einhaltung der Revisionsbegründungsfrist
VI. Mögliche Einhaltung der Revisionsbegründungsfrist
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1. Die Monatsfrist des § 345 Abs. 1 StPO zur Begründung der Revision beginntnach Satz 1 der Vorschrift grundsätzlich mit Ablauf der Revisionseinlegungsfrist. Für den Fristbeginn ist nach § 345 Abs. 1 S. 2 StPO allerdings die Zustellung des Urteils maßgeblich, wenn diese – wie in Klausuren und der Praxis fast immer – nach Ablauf der Revisionseinlegungsfrist erfolgt. Dieser recht einfache Zusammenhang wird von Prüflingen häufig durcheinandergebracht, was gerade am Anfang einer Klausur keinen guten Eindruck macht. Das Datum der Zustellung ergibt sich regelmäßig aus einem Vermerk des Anwalts oder einem auf der Urteilsausfertigung angebrachten Eingangsstempel. Das Fristendeberechnet sich wieder nach § 43 StPO. Erfolgt die (wirksame) Urteilszustellung also zum Beispiel am 15. eines Monates, so endet die Frist mit dem Ablauf des 15. des Folgemonates, § 43 Abs. 1 StPO. Die gesetzliche Fristverlängerung des § 43 Abs. 2 StPO spielt hier in Klausuren in der Regel keine besondere Rolle, da der vorgegebene Begutachtungszeitpunkt regelmäßig deutlich vor dem Ablauf der Frist des § 345 Abs. 1 S. 2 StPO liegt. Da aber ohne Rückgriff auf einen Jahreskalender allerdings auch nicht auszuschließen ist, dass der Ablauf der Monatsfrist genau auf einen Samstag, Sonntag oder allgemeinen Feiertag fällt – die Frist also, ohne dass es darauf ankäme, gemäß § 43 Abs. 2 StPO verlängert wäre –, empfiehlt sich im Klausurgutachten der Hinweis, die Revisionsbegründungsfrist ende „jedenfalls nicht vor Ablauf“ des entsprechenden Tages des Folgemonats:
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„Da dem Angeklagten das Urteil erst am 29. Juli 2020 – und damit nach Ablauf der am 8. Juli 2020 endenden Revisionseinlegungsfrist – zugestellt wurde, wird die somit nach § 345 Abs. 1 S. 2 StPO zu berechnende Monatsfrist zur Begründung der Revision jedenfalls nicht vor Ablauf des 29. August 2020 enden, so dass diese zum Begutachtungszeitpunkt am 11. August 2020 noch ohne weiteres eingehalten werden kann.“
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Auch wenn es sich hierbei sicherlich um keine besonders anspruchsvolle Problematik handelt, sollte die Frist des § 345 Abs. 1 StPO gleichwohl vollständig und fehlerfrei dargestellt werden. Geschieht dies in vorbezeichneter Weise, wird dem Korrektor gleich zu Beginn der Klausur nicht nur die vollständige Kenntnis der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen und die saubere Subsumtion sämtlicher maßgeblichen Daten, sondern auch die Fähigkeit demonstriert, Randprobleme in der gebotenen Kürze darzustellen.
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