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Wir haben uns anhand des „Berliner Raser Falles“ mit der Abgrenzungsthematik dolus eventualis – bewusste Fahrlässigkeit beim Tötungsdelikt bereits im Skript „Strafrecht BT I“ Rn. 20 beschäftigt. Lesen Sie das noch einmal nach.
Nachdem es in der Vergangenheit immer wieder zu spektakulären, illegalen Kraftfahrzeugrennen mit tödlichem Ausgangkam, deren Teilnehmer mit den bestehenden Strafrechtsnormen nicht immer schuldangemessen betraft werden konnten – man denke nur an den „Berliner Raser“ – hat der Gesetzgeber reagiertund im Jahr 2017 mit § 315d verbotene Kraftfahrzeugrennen unter Strafe gestellt.
Solche Rennen konnten bis dahin, sofern es zu keiner konkreten Gefährdung kam, nur als Ordnungswidrigkeitgem. §§ 29 Abs. 1, 49 Abs. 2 Nr. 5 StVO a.F. geahndet werden. Begingen die Teilnehmer einen der Verstöße des § 315c Abs. 1 Nr. 2und verursachten dadurch eine konkrete Gefahr, konnten sie (und können sie immer noch) nach dieser Norm mit max. 5 Jahren Freiheitsstrafe belangt werden. Wird ein anderer gar getötet, dann stellt sich für die Gerichte immer wieder die Frage, ob nicht eine Bestrafung aus §§ 212, 211in Betracht kommen könnte. Das LG Berlin [1] hat das seinerzeit bejaht, der BGH [2] hat diese Entscheidung allerdings aufgehoben und zur erneuten Entscheidung an das LG Berlin zurückverwiesen, welches dann in einem zweiten Urteil wieder eine Strafbarkeit gem. §§ 212, 211 bejaht hat. Problematischin diesen Fällen ist stets der Nachweis des Tötungsvorsatzes, wobei meistens nur dolus eventualis in Betracht kommt. Gelingt dieser nicht, dann bleibt nur eine Bestrafung aus fahrlässiger Tötung gem. § 222 mit einer maximalen Freiheitsstrafe von 5 Jahren.
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Mit § 315d Abs. 5hat der Gesetzgeber nun die Möglichkeit geschaffen, ein verbotenes Rennen mit tödlichem Ausgang schuldangemessen zu bestrafen. Abs. 5 ist, wie wir sehen werden, eine Erfolgsqualifikation, d.h. der Täter muss bezüglich der schweren Folge gem. § 18 nur fahrlässighandeln.
Hinweis
Eine Strafbarkeit gem. § 315b, der über seinen Abs. 3 und den Verweis auf § 315 Abs. 3 die Möglichkeit der Qualifikation und Erfolgsqualifikation und damit einer deutlich höheren Strafe eröffnet, ist in den meisten Fällen nicht gegeben. § 315b erfasst verkehrsfremde Eingriffe. Eine Ausnahme wird nur dann gemacht, wenn der Täter das Fahrzeug als „Angriffsmittel“ pervertiert. Bei den verbotenen Kraftfahrzeugrennen steht allerdings die wenn auch gefährliche und ordnungswidrige, so aber doch verkehrsspezifische Fortbewegung im Vordergrund, weswegen § 315b nicht anwendbar ist.[3]
2. Teil Straßenverkehrsdelikte› F. Verbotene Kraftfahrzeugrennen, § 315d› I. Überblick
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Die geschützten Rechtsgüterdes § 315d sind (in Abs. 1 ausschließlich) als Universalrechtsgut die Sicherheit des allgemeinen Straßenverkehrsund darüber hinaus (sofern es um Abs. 2 und 5 geht) die Individualrechtsgüter Leib und Leben eines anderensowie eine fremde Sache von bedeutendem Wert.
§ 315d Abs. 1ist der Grundtatbestand. Er ist ebenso wie § 316 ein abstraktes Gefährdungsdelikt, es muss also zu keinem Gefährdungserfolg kommen.
§ 315d Abs. 2hingegen ist, wie die §§ 315b Abs. 1 und 315e Abs. 1 auch, ein konkretes Gefährdungsdeliktund im Verhältnis zu Abs. 1 Nr. 2 und 3 eine Qualifikation. Hier muss eine konkrete Gefahr für Leib, Leben oder eine fremde Sache von bedeutendem Wert eingetreten sein.
In § 315d Abs. 3wird eine Versuchsstrafbarkeitgeregelt, allerdings nur für § 315d Abs. 1 Nr. 1. Die Teilnahme an einem Rennen sowie das „Rennen gegen sich selber“ sind also nicht im Versuch strafbar.
Nach § 315d Abs. 4können die Täter bestraft werden, die zwar vorsätzlich einen Verstoß gegen § 315d Abs. 1 Nr. 2 oder 3 begangen haben (ein fahrlässiger Verstoß ist in Anbetracht der Natur eines Rennens hier auch kaum denkbar), dabei aber keinen konkreten Gefährdungsvorsatz hatten. Es handelt sich also um eine Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination, die Ihnen schon aus den §§ 315b und c geläufig sein sollte.
§ 315d Abs. 5enthält eine Erfolgsqualifikation, bei welcher der Täter bezüglich der genannten Folgen gem. § 18 nur fahrlässig handeln muss.
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Hinweis
Beachten Sie zudem, dass der Gesetzgeber § 315d auch in den Katalog des § 69 aufgenommen hat (§ 69 Abs. 2 Nr. 1a). Das Gericht kann dem Täter bei einer späteren Verurteilung also die Fahrerlaubnis entziehen. Dementsprechend ist auch schon vor der Verurteilung eine vorläufige Entziehung gem. § 111a StPOmöglich. Ferner regelt § 315fdie Einziehung des Fahrzeugsund zwar sowohl des Fahrzeugs, welches dem Täter gehört, als auch – über den Verweis auf § 74a – jenes Fahrzeugs, welches der Täter sich für das Rennen geliehen hat, sofern der Dritte um den Zweck wusste.
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Sie werden es in der Klausur selten mit der Frage nach einer Strafbarkeit des Täters nur nach Abs. 1 zu tun haben. In der Regel wird laut Sachverhalt eine konkrete Gefährdung anderer eingetreten sein, evtl. sogar eine der Folgen des Abs. 5. Wie immer können Sie das Grunddelikt und die (Erfolgs-) Qualifikation getrennt prüfen. In der Regel ist es aber sinnvoller, jedenfalls das Grunddelikt und die Qualifikation oder das Grunddelikt (hier insoweit Abs. 2) und die Erfolgsqualifikation zusammen zu prüfen. Will man alles zusammen prüfen, dann sieht der Aufbauwie folgt aus:
Verbotenes Kraftfahrzeugrennen, § 315d Abs. 1 (Nr. 2 oder 3), Abs. 2 und Abs. 5
I. Objektiver Tatbestand
1.Grunddelikt gem. § 315d Abs. 1
– Nr. 1:Ausrichten eines nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennens oder Durchführen eines solchen
– Nr. 2:Teilnehmen an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen als Kraftfahrzeugführer
– Nr. 3:Grob verkehrswidriges und rücksichtsloses Fortbewegen eines Kraftfahrzeuges als dessen Führer mit nicht angepasster Geschwindigkeit
2.Qualifikation gem. § 315d Abs. 2 (sofern Tathandlung gem. Abs. 1 Nr. 2 oder 3)
–konkrete Gefahr für Leib, Leben oder eine Sache von bedeutendem Wert
–durch eine Tathandlung gem. Abs. 1 Nr. 2 oder 3
–kausal
–gefahrspezifischer Zusammenhang
II. Subjektiver Tatbestand
–Vorsatz, dol. ev. reicht
–sofern Tathandlung gem. Abs. 1 Nr. 3: Fahren in der Absicht (dol. directus 1. Grades), eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen
III. Voraussetzungen des § 315d Abs. 5
–Eintritt der Folge:
–Schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen
–Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen
–Tod eines anderen Menschen
–Kausalität zwischen § 315d Abs. 2 und Folge
–Gefahrspezifischer Zusammenhang
–Gem. § 18 „wenigstens“ objektiver Fahrlässigkeitsvorwurf im Hinblick auf die Folge
IV. Rechtswidrigkeit
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