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Das Buch arbeitet mit einer Vielzahl praktischer Beispiele aus der Rechtsprechung. Wann immer möglich, enthält es Hinweise auf Besprechungen der Entscheidungen in der speziell für Lernende konzipierten juristischen Literatur[5]. Die jeweiligen (neueren) Aufsätze in den Ausbildungszeitschriftenunter Einbeziehung von Fallbearbeitungen werden zum Ende eines Paragrafen aufgeführt (bei längeren Paragrafen zum Ende des jeweiligen Abschnitts). Vertiefende Literatur zu den einzelnen Teilthemen wird in den zugehörigen Fußnoten nachgewiesen. Sofern Literaturhinweise ausdrücklich zur Vertiefung empfohlen werden, sollten sie beim erstmaligen Erlernen des Stoffes noch nicht gelesen werden, sondern erst bei der späteren Wiederholung sowie bei der Examensvorbereitung.
Teil I Grundlagen› § 1 Einführung in das Verwaltungsrecht› III. Typische verwaltungsrechtliche Fragestellungen
III. Typische verwaltungsrechtliche Fragestellungen
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Eine normale verwaltungsrechtliche Klausur als
Ausgangsfall:
Familie A hat Zwillinge bekommen. Sie benötigt deshalb mehr Wohnraum. Herr A ist der Auffassung, er könne das Familienheim ohne behördliche Genehmigung um zwei Zimmer erweitern. Er lässt die Zimmer bauen. Durch Zufall erfährt das zuständige Bauordnungsamt von dem Anbau. Es gebietet Herrn A den Abriss des Anbaus, weil Herr A keine Baugenehmigung besitze. Herr A ist empört und möchte den behördlichen Bescheid aus der Welt schaffen. Auf Anraten seines Anwalts erhebt er Klage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht. Hat die Klage des A Aussicht auf Erfolg?
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Diese Klausur ist insofern eine typische verwaltungsrechtliche Klausur, als sie zwei Grundfragestellungen enthält: eine prozessuale und eine materiell-rechtliche Frage[6]. Die prozessuale Fragestellung lautet: Liegen die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung des Gerichts vor? Die materiell-rechtliche Frage lautet: Ist die Verfügung der Behörde rechtmäßig? Die Verknüpfung von prozessrechtlichen und materiell-rechtlichen Fragen kennzeichnet verwaltungsrechtliche Klausuren und Hausarbeiten ebenso wie verfassungsrechtliche[7]. Nicht immer erwartet eine Klausur die Bearbeitung beider Fragen. Es ist auch möglich und in der Klausurpraxis des öffentlichen Rechts nicht unüblich, lediglich die Antwort auf die materiell-rechtliche Frage als Aufgabe zu stellen – typischerweise ist dieses im Privatrecht und im Strafrecht der Fall. Manchmal beschränken sich verwaltungsrechtliche Klausuren auch allein auf die Lösung eines materiell-rechtlichen Problems. Ganz selten erschöpfen sich Klausuren auch im Aufwerfen verwaltungsprozessualer Probleme[8].
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Dieses Buch behandelt ausschließlich die materiell-rechtlichen Fragender durch den Ausgangsfall aufgeworfenen Probleme, soweit diese dem Allgemeinen Verwaltungsrecht zugehören – die prozessuale Seite wird in einem anderen Buch dargestellt: in einem verwaltungsprozessrechtlichen Lehrbuch dieser Reihe[9]. Die Trennung zwischen der prozessualen Seite und der materiell-rechtlichen Seite ist typisch und wird hier beibehalten. Freilich werden so oft wie möglich Hinweise auf das Prozessrecht gegeben.
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Die materiell-rechtliche Seite des Ausgangsfalls wirft typische verwaltungsrechtliche Fragenauf: Es ist von einer Behörde die Rede – was ist eine Behörde und wie stellt sich der Behördenaufbau der Bundesrepublik dar? A hat ohne Baugenehmigung gebaut – was ist eine Genehmigung und benötigt er eine? Die Behörde hat den Abriss ohne Anhörung des A verfügt – hat A Anhörungsrechte? Ist die Abrissverfügung überhaupt rechtmäßig – was ist die Voraussetzungen für ein rechtmäßiges Gebot? Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang das Verfassungsrecht?
Die „klassische“ verwaltungsrechtliche Fragestellung – diejenige, die das Verwaltungsrecht strukturell vom Bürgerlichen Recht unterscheidet – lautet: Hat die Behörde rechtmäßig gehandelt? Die Rechtmäßigkeitsfrageist die „besondere“ Frage des Verwaltungsrechts.
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Eine Abwandlungdes Ausgangsfallsführt zu einem weiteren Problem:
A beantragt die Genehmigung für den Anbau, erhält sie indes erst nach zwei Jahren. Die Behörde verteidigt sich mit Arbeitsüberlastung. In der Zwischenzeit sind die Baupreise erheblich gestiegen. A meint, die behördliche Prüfung hätte innerhalb eines halben Jahres erfolgen können. Er verlangt Schadenersatz in Höhe der Baupreissteigerung der letzten eineinhalb Jahre. Hat er einen Anspruch auf Schadenersatz?
Diese Fragestellung entspricht der typischen privatrechtlichen Fragestellung: Wer kann was von wem woraus verlangen? Das angesprochene Problem ist aber ein öffentlich-rechtliches: Behörden unterliegen einem speziellen öffentlich-rechtlichen Haftungsregime. Auch die spezifisch privatrechtliche Fragestellung besitzt also im öffentlichen Recht Bedeutung.
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Eine letzte Abwandlungsoll eine weitere verwaltungsrechtliche Fragestellung verdeutlichen:
Die Klage des A vor dem Verwaltungsgericht gegen die Abrissverfügung bleibe erfolglos. A kommt dem behördlichen Verlangen auf Abriss nicht nach. Die Behörde droht, sie werde nach Ablauf einer Frist den Bauunternehmer Schredder mit dem Abriss beauftragen. A unternimmt nichts. Nach Fristablauf bringt Schredder entsprechend einem behördlichen Auftrag die Abrissbirne zum Einsatz. Durfte die Behörde in dieser Weise vorgehen?
Dieses Beispiel demonstriert den Fragenkomplex, der sich beim praktischen Vollzug von behördlichen Entscheidungen stellt. Dieser Bereich wird „Vollstreckung“ genannt. Sie gibt es nicht nur im Bereich des Privatrechts – in der Person des Gerichtsvollziehers, der den „Kuckuck“ klebt, oder in Form der Zwangsversteigerung eines Grundstücks –, sondern auch im Verwaltungsrecht.
Teil I Grundlagen› § 1 Einführung in das Verwaltungsrecht› IV. Der Aufbau des Buchs
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Das Buch ist in insgesamt fünf Teile untergliedert. Nach den im ersten Teil dargestellten Grundlagen (§§ 1 bis 4) werden zunächst allgemeine Grundbausteine des Verwaltungsrechts behandelt (§§ 5 bis 10). Diese Grundbausteine sind sowohl für die weiteren Abschnitte dieses Lehrbuchs als auch für die im weiteren Studienverlauf folgenden Materien des Besonderen Verwaltungsrechts von erheblicher Bedeutung. Der dritte Teil behandelt die verschiedenen Handlungsformen der Verwaltung (§§ 11 bis 23). Von besonderer Relevanz ist hier die Figur des Verwaltungsakts (VA). Denn der VA bildet einerseits eine zentrale Handlungsform des Verwaltungsrechts; andererseits wird er von den Studierenden gerade zu Beginn des Studiums als „befremdlich“ angesehen, da er anders als etwa Verträge zuvor oftmals unbekannt war. Nach einem Abschnitt über die staatlichen Ersatzleistungen (§§ 24 bis 28) wird abschließend das Recht der öffentlichen Sachen behandelt (§§ 29 bis 31).
Hinweis:
§§ ohne nähere Kennzeichnung sind solche des VwVfG.
[1]
Hierzu Bull , JZ 1998, 338 ff.
[2]
Hierzu die Nachweise im Literaturverzeichnis unter II. Gesetzessammlungen.
[3]
Hierzu die Nachweise im Literaturverzeichnis unter I. Lehrbücher zum Verwaltungsrecht.
[4]
Hierzu Peine , FS Dieter Martiny, 2014, S. 945 ff.
[5]
JuS, JURA, JA.
[6]
Diese Unterscheidung ist bereits bekannt aus der Vorlesung Einführung in das öffentliche Recht/Staatsrecht: Zulässigkeit und Begründetheit einer Verfassungsbeschwerde oder eines Organstreitverfahrens.
[7]
Allgemein zur Fallbearbeitung im öffentlichen Recht Peine , Klausurenkurs im Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 2016.
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