305
Entscheidend für die Zuordnung ist, dass die hoheitliche Maßnahme auf Grund oder kraft Verwaltungsrechts (einschließlich des europäisierten Verwaltungsrechts) ergeht, sie im Verwaltungsrecht ihre Rechtsgrundlagehat. Nicht entscheidend ist, auf welchem Rechtsgebiet die Maßnahme ihre Wirkung entfaltet. Ausschließlich Maßnahmen, die das Verwaltungsrecht „umsetzen“, können deshalb als VAe zu qualifizieren sein. Verwaltungsrecht ist das gesamte öffentliche Recht mit Ausnahme des Völker-, Europa- und Staatsrechts im formellen Sinne. Erlaubnisse, Ge- und Verbote, die auf der Grundlage des zuvor in seinem Umfang bestimmten öffentlichen Rechts ergehen, sind mithin potenziell VAe.
Beispiele:
Die Baugenehmigung, sie ergeht auf der Grundlage der jeweils einschlägigen Landesbauordnung; die Abrissverfügung, sie ergeht auf derselben Grundlage; das Versammlungsverbot, es ergeht auf der Basis des Versammlungsgesetzes.
306
Das Rechtsgebiet, auf dem die Maßnahme ihre Wirkung entfaltet, ist bedeutungslos. Der insoweit bedeutungsvolle „rechtliche Ort“ kann deshalb sowohl das Privatrecht als auch das öffentliche Recht sein. Auch sog. „privatrechtsgestaltende Verwaltungsakte“sind daher VAe i.S.d. § 35 S. 1.
Beispiele:
Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts nach §§ 24 ff BauGB[27]; Genehmigung des Entgelts für die Nutzung eines Telekommunikationsnetzes nach § 37 Abs. 2 TKG[28].
307
Das Erfordernis „auf dem Gebiete des Verwaltungsrechts“ schließt Maßnahmen der Regierung auf dem Gebiete des Verfassungs- und Völkerrechts – sog. Regierungsakte– aus dem VA-Begriff aus. Weder eine Regierungserklärung vor dem Bundestag noch ein Staatsbesuch, weder die Ernennung des Kanzlers oder eines Ministers noch die Auflösung des Bundestags sind VAe. Hingegen ist die Versetzung eines sog. „politischen Beamten“ in den einstweiligen Ruhestand durch den Bundespräsidenten, § 54 BBG, ein VA, obwohl das Grundgesetz dem Bundespräsidenten diese Aufgabe übertragen hat, s. Art. 60 Abs. 1 GG.
308
Dieses Begriffsmerkmal hat die Funktion, das Ziel einer „hoheitlichen Maßnahme“ zu bestimmen, die als VA zu qualifizieren sein kann. Nur eine etwas regelnde Maßnahme kann ein VA sein.
309
Eine Regelung setzt zweierlei voraus[29]: Zunächst muss eine Maßnahme den Zweck verfolgen, eine verbindliche Rechtsfolge herbeizuführen. Dieses subjektive Element reicht alleine aber nicht aus. Denn es wird typischerweise bei vielen Maßnahmen vorliegen, die nach dem Gesagte eine Willenserklärung mit vorausgehender Willensbildung erfordern (s.o. Rn 296). Und „zweckfreie“ Willenserklärungen sind schwerlich vorstellbar. Hinzukommen muss daher ein objektives Element: Die Rechtsfolgemuss nach ihrem für den Adressaten erkennbaren objektiven Gehalt verbindlich gesetztworden sein[30]. Es muss also – anders ausgedrückt – eine Rechtsfolge subjektiv bezweckt und objektiv erreicht worden sein.
310
Für den Begriff „Regelung“ ist nicht wesentlich, dass sie einseitig erfolgt: Auch zweiseitig, zB durch Angebot und Annahme im Zusammenhang eines Vertragsabschlusses, entstehen Regelungen. Allerdings erfordert bereits der Begriff der Maßnahme die Einseitigkeit (s.o. Rn. 296) und schließt damit für den VA-Begriff zweiseitige Regelungen aus. „Rechtsverbindlich“ bedeutet rechtswirksam, also das Gegenteil von „beliebig“. Die Rechtsfolge, die wirksam festgelegt wird, besteht in der Begründung, Änderung, Beeinträchtigung, Aufhebung, Verneinung oder Feststellung[31]
von Rechten und/oder Pflichten[32]
.
311
In Abgrenzung zur Maßnahme, die auf das „Tun“ als Vorgang abstellt (s.o. Rn 296), erfasst das Tatbestandsmerkmal „Regelung“ das „Getane“, also das Produkt des „Tuns“. Das Produkt muss immer, damit es regelnden Charakter aufweist, die Aussage enthalten, dass und welche Rechtswirkungeneingetreten sind[33]. Recht idS ist jedes von der Rechtsordnung als schutzwürdig anerkannte Individualinteresse[34]. Ohne Bedeutung ist, ob dieses Recht bzw die Rechtslage konstitutiv oder deklaratorisch definiert wird.
Beispiele:
Wenn der Behörde für den Erlass belastender Maßnahmen Ermessen eingeräumt ist, hat der Erlass einer solchen Verfügung für den Adressaten konstitutiven (begründenden) Charakter, so die Einbürgerung eines Ausländers nach § 8 Abs. 1 StAG (Sa. I Nr 15). Deklaratorischen, also die Rechtslage lediglich feststellenden Charakter haben Polizeiverfügungen als Folge der materiellen Polizeipflicht des Bürgers, soweit sie die Pflicht zur Wiederherstellung polizeimäßiger Zustände anordnen.
312
Der Teil eines VA, der die Regelung enthält, heißt „verfügender Teil“ des VA. Er wird in behördlichen Schreiben in aller Regel besonders hervorgehoben. Werden mehrere Verfügungen, die inhaltlich zusammengehören, erlassen, dann werden sie häufig durchnummeriert.
Beispiel:
1. Abrissverfügung; 2. Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit im öffentlichen Interesse, s. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr 4 VwGO; 3. Kostenregelung.
313
Das Beispiel verdeutlicht zugleich, dass der verfügende Teil oftmals in einem Befehl liegt, etwa das betreffende Gebäude abzureißen. Erst recht verfügend sind solche VAe, welche selbst die Rechtslage gestalten, wie etwa die Beamtenernennung. Relevant wird die Unterscheidung zwischen „befehlenden“ und „gestaltenden“ VAen im Rahmen der Vollstreckung: Gestaltende VAe müssen nicht „vollstreckt“ werden, sie vollstrecken sich selbst (s.u. Rn 679). Problematisch unter dem Gesichtspunkt der Regelungswirkung sind indessen feststellende VAe. Hier ist nach den Einzelfallumständen zu ermitteln, ob lediglich unverbindlich auf die Rechtslage hingewiesen wird oder ob diese verbindlich festgeschrieben werden soll. Lediglich im zweiten Fall ist die Regelungswirkung zu bejahen (dazu ausf. Rn 374 ff)[35].
dd) Abgrenzung von schlicht-hoheitlichen Maßnahmen
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Behördliche Maßnahmen, denen ein verfügender Teil, also eine Regelung fehlt, sind niemals VAe[36]. Auch schlicht-hoheitliche Maßnahmen weisen typischerweise keine Regelungswirkung auf, da sie keine Rechtsfolgen bewirken. Sofern es hier bereits an einer Willensbildung fehlt, ist jedoch bereits das Vorliegen einer Maßnahme zu verneinen (s.o. Rn 299). Auch die fehlende Bekanntgabe eines behördlichen Tuns lässt regelmäßig die Regelung entfallen[37]. – Der dienstlichen Beurteilung eines Beamten durch den Dienstvorgesetzten fehlt die Regelungseigenschaft[38]
, ebenso die Feststellung einer Behörde über das Erlöschen einer Aufenthaltsgenehmigung[39].
ee) Einordnung von Vorbereitungs- und Teilakten
315
Vorbereitungs- und Teilakte, die noch keine abschließende Regelungenthalten, sind keine Regelung iSd VA-Begriffs. Solche nicht abschließenden Handlungen sind insbes. Verfahrenshandlungen, wie etwa an den Bürger gerichtete Anhörungsschreiben[40] oder die Ladung zum Klausurtermin im Rahmen der Ersten juristischen Prüfung. Die Bewertungen einer Klassenarbeit oder einer Klausurim Rahmen der Übungen, die Studierende zu absolvieren haben, sind lediglich Teilregelungen. Das gilt auch für die Bewertung von Teilleistungen in der Staatsprüfung[41]
. Etwas anderes, also die VA-Qualität von Einzelnoten, ist jedoch dann anzunehmen, wenn diese für sich gesehen rechtserheblich sind, etwa für den Zugang zu bestimmten Studiengängen[42]. Die eigenständige Bedeutung einer Einzelnote kann sich zudem aus der jeweiligen Prüfungsordnung ergeben[43]
. Eine Regelungswirkung ist insbes. dann anzunehmen, wenn bei Modulprüfungsklausuren infolge des Nichtbestehens ein Versuch weniger zum Bestehen des Moduls zur Verfügung steht[44].
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