b) Materiale Gewährleistung konvergenter Zurechnungsstrukturen durch das Wirken von Strafe als Preis der Tat
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Unter ökonomischen Gesichtspunkten (Strafe als Preis) stellen die strafrechtlichen Verbote und die ihnen zugrunde liegende Verantwortungsverteilung soziale Entscheidungsregeln in Situationen des Wettbewerbs dar[464]. Sie sind eine vom Gesetzgeber festgelegte bzw. für die Konkretisierung im Einzelfall der Exekutive überantwortete Zielvorgabe für die Wirtschaftsteilnehmer.
Soziale Entscheidungsregeln sind z. B. das utilitaristische Prinzip, bestimmte Wahl- und Abstimmungsregeln oder auch Wirtschaftskonzepte wie das der sozial korrigierten Marktwirtschaft. Im Gegensatz zu solchen Entscheidungsregeln sind strafrechtliche Verbote – wie oben unter a)nochmals verdeutlicht wurde – konkret gefasst. Sie schützen entweder bestimmte Rechtsgüter bzw. Interessen oder sie beziehen sich auf konkrete Erfahrungsräume und formulieren dort die Grenzen spezifischer Rollenerwartungen.
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Zwar leidet die Strafgesetzgebung selbst – gerade in ihren Kernbereichen – an Unsicherheiten über ihre eigene Wirkweise und damit ihre eigene Rechtfertigung[465]. Es wurde indessen gezeigt, dass dieses düstere Bild für den rational kalkulierenden Täter nicht in diesem Ausmaß bestätigt werden kann und der rational am Eigeninteresse orientierte Täter doch das Leitbild des Wirtschaftsstrafrechts bildet. Die Prämisse rationalen Handelns scheint die Antwort vorzugeben: Der rationale Täter wird sich von Strafdrohungen dann von der Begehung einer Straftat abschrecken lassen, wenn das angedrohte Übel von ihm als negativ empfunden wird und die durch die Tat angestrebten Vorteile überwiegt[466]. Wenn das mit der Strafe verbundene Übel dagegen nur den angestrebten Vorteilen entspricht, wird die Straftat zur Alternative normkonformen Verhaltens. Wenn die Sanktion die durch die Tat erlangten Vorteile nicht aufbraucht, bleibt die Tat eine gewinnbringende Unternehmung, deren Attraktivität sich erst aus dem Vergleich mit anderen Handlungsalternativen ergibt. Bestehen in einigen Bereichen Strafverfolgungsdefizite, wird der Täter diese in Form einer Wahrscheinlichkeitsrechnung in seine Kalkulation einstellen[467]. Die Wahrscheinlichkeit, dass er eine Straftat begehen wird, wird also steigen.
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In der Praxis lässt sich diese Kalkulation allerdings durch verschiedene Mechanismen erschweren und mit zusätzlichen Unsicherheiten belasten: So werden in verschiedenen Bereichen Strafverfolgungsbehörden und Verwaltungsbehörden zunächst personell verknüpft. Gerade das deutsche Recht stellt dazu in dem zum eigenständigen Sanktionszweig ausgebauten Institut der Ordnungswidrigkeit ein wirksames Instrument zur Verfügung. Hier werden insbesondere in speziellen wirtschaftsnahen Bereichen primär zur Gefahrenabwehr tätige Verwaltungsbehörden in die Strafverfolgung eingebunden, indem ihnen in einem ersten Schritt die Befugnis zur Verhängung einer Geldbuße eingeräumt wird. Die Geldbuße soll den wirtschaftlichen Vorteil, den der Täter aus der Tat gezogen hat, übersteigen und kann dazu das an sich vorgesehene gesetzliche Höchstmaß für Geldbußen sogar überschreiten[468].
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Die finanziellen Auswirkungen von Geldbußen bilden jedoch erst einen Teil ihrer Funktion innerhalb des sich wechselseitig bedingenden Gesamtsystems von individueller Freiheit und freiheitssichernden bzw. freiheitserweiternden Sanktionen. Eine praktisch gleichermaßen bedeutsame Funktion liegt in der funktionalen Verknüpfung des Verwaltungssanktionenrechts in Form des Ordnungswidrigkeitenrechts mit dem Kriminalstrafrecht. Diese funktionale Verknüpfung erfolgt auf verschiedene Art und Weise: Im Rahmen der materiellen Sanktionsnorm können durch sog. unechte Mischtatbestände einzelne Verstöße gegen die Verhaltensordnung, die an sich lediglich als Ordnungsunrecht erscheinen, in besonders schweren Fällen als Straftat bestraft werden[469]. Da diese Ordnungswidrigkeiten häufig ein – im Vergleich zum generalklauselartig formulierten Verletzungstatbestand des Kriminalstrafrechts – leichter nachweisbaren (Ordnungs-)Verstoß tatbestandlich sanktionieren, wird praktisch die Schwelle zur Aufnahme von Ermittlungen gesenkt[470]. Ergänzt wird diese praktische Funktion durch eine Verknüpfung von Ordnungswidrigkeiten und Strafrecht auf verfahrenstechnischer Ebene. Hier kann die Verwaltungsbehörde das Verfahren nach § 41 OWiG bei Verdacht einer Straftat an die Staatsanwaltschaft abgeben. Auf diese Weise ermitteln die Verwaltungsbehörden bei einem Verdacht der Begehung einer Ordnungswidrigkeit nicht nur als Verwaltungsbehörde mit einer beschränkten Kompetenz zur Verhängung einer Geldbuße, sondern zugleich als verlängerter Arm der Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft partizipiert damit an dem in der Verwaltung vorgehaltenen Spezialwissen über technische oder ökonomische Zusammenhänge.
3. Zur Konvergenz ökonomischer und (straf)rechtlicher Steuerung in Unternehmen – Kompetenzen und Möglichkeiten
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Die Konvertibilität ökonomischer und (straf)rechtlicher Verhaltensordnung ist jeder hoheitlichen Entscheidung für die Zulassung unternehmerischer Aktivität implizit und stellt damit eine der elementarsten Prämissen dar, die jeder Wirtschaftsordnung zugrunde liegen. Die genauen Funktionszusammenhänge dieser Konvertibilität sind bislang kaum Gegenstand eingehender rechtlicher Untersuchungen gewesen und wurden daher bis zu diesem Punkt für individuelles Handeln dargelegt[471]. Zur Konkretisierung dieser Funktionszusammenhänge für das Handeln in Unternehmen kann dagegen auf wirtschaftswissenschaftliche Überlegungen zu der Lehre zur Unternehmensführung und -organisation zurückgegriffen werden.
a) Umsetzung der Konvertibilität als Aufgabe der Unternehmensleitung
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Die Überlegungen zur Umsetzung normativer Vorgaben konzentrieren sich in der Betriebswirtschaftslehre auf den Bereich der aktiven Unternehmensführung. Im Zentrum dieser Überlegungen stand lange vor allem eine bestimmte normative Vorgabe: die Gewährleistung von Effizienz. Die dazu entwickelten Grundsätze stellen zunächst den operativen Prozess und insbesondere die Fragen der angemessenen Konzeption der Produktion und der Spezialisierung der Mitarbeiter in Bezug auf die Leistungs-, Finanz- und Informationswirtschaft einer Unternehmung in den Mittelpunkt[472].
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Voraussetzung für die Beschränkung der Unternehmensleitung auf den operativen Prozess ist in erster Linie ein stabiles Umfeld. Erst durch eine zunehmende Dynamik der Umweltbedingungen der Unternehmen lässt sich die Bedeutung erkennen, einen Ausgleich von Umwelt- und „Inwelt“anforderungen im Unternehmen zu entwickeln[473]. In das Zentrum der Überlegungen gerät dann die Qualifikation der Unternehmenspotentiale gegenüber den Anforderungen der Umwelt und des Wettbewerbs, die Senkung von Transaktionskosten und der Aufbau einer Unternehmensmarke. Auch diese Ansätze sind allerdings noch Ausdruck des für die Ökonomie grundlegenden Effizienzdenkens.
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Außerökonomische Zielvorgaben lassen sich vor allem durch die Bezugsgruppe einer Unternehmung in den Unternehmensprozess integrieren[474]. Die Verbindung ökonomischer und rechtlicher Sichtweisen kann dann dadurch erfolgen, dass in dem Maß, in dem Rechtsnormen den Rahmen des Wirtschaftens bilden, die Allgemeinheit als Bezugsgruppe des Unternehmens angesehen wird[475]. Im Rahmen dieses Gedankengangs erlangen wirtschaftsstrafrechtlich flankierte Handlungsnormen einen noch spezifischeren Steuerungsgehalt: Sie reduzieren die in einer Situation gegebenen Handlungsmöglichkeiten insoweit, als sie einzelne Handlungen als normativ unzulässig aus dem Kreis möglicher Entscheidungsalternativen ausscheiden. Die Summe der die Wirtschaftstätigkeit einer Unternehmung regelnden Normen kann dann als extern vorgegebenes Sollprofil[476] einer Unternehmung angesehen werden.
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