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konkret-individuelleRegelungen betreffen einen nach „Ort, Zeit und sonstigen Umständen bestimmten Sachverhalt“[120] (konkret) und richten sich an eine bestimmte Person (individuell). Sie stellen den Prototyp einer Einzelfallregelung i.S.v. § 35 S. 1 VwVfG dar (z.B. Hauseigentümer H wird verpflichtet, sein Haus abzureißen). Erlässt die Behörde gegenüber einem – zumindest zahlenmäßig – feststehenden Kreis von Personen eine Vielzahl inhaltlich gleichlautender, rechtlich jeweils selbstständiger Bescheide „in einem Bündel“, so spricht man von einer Sammelverfügung(z.B. Verfügung an alle Hauseigentümer der Stadt S, ihre Dächer jeweils vom Schnee zu befreien). Demgegenüber handelt es sich bei der Allgemeinverfügung um einen einzigen Verwaltungsakt (s.u.); |
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abstrakt-individuelleRegelungen richten sich an eine bestimmte Person (individuell) und geben dieser für jeden – zahlenmäßig unbestimmten – Fall des Eintretens eines nach allgemeinen Merkmalen beschriebenen Sachverhalts (abstrakt) eine bestimmte Handlungspflicht auf (z.B. an den Unternehmer U gerichtete Anordnung, bei jeder Glatteisbildung die Straße vor seinem Betriebsgrundstück zu streuen).[121] Auch hierbei handelt es sich um die Regelung eines Einzelfalls i.S.v. § 35 S. 1 VwVfG – sei es, dass aufgrund der konkreten Handlungspflicht in Wirklichkeit schon gar keine abstrakte Regelung vorliegt oder weil jedenfalls aufgrund des individuellen Adressaten von einer Einzelfallregelung auszugehen ist; |
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abstrakt-generelleRegelungen betreffen eine unbestimmte Vielzahl von Fällen (abstrakt) und richten sich an eine unbestimmte Vielzahl von Personen (generell). Definitionsgemäß handelt es sich bei derartigen Regelungen (z.B. ordnungsbehördliche Verordnung nach §§ 25 ff. OBG NRW) um Rechtsnormen (Gesetze im materiellen Sinn; Rechtsverordnung, Satzung; Rn. 12 f.). Keinesfalls regeln sie einen Einzelfall i.S.v. § 35 S. 1 VwVfG;[122] |
Beispiel[123]
Da es in den vergangenen Jahren im Bereich des „Bermuda-Dreiecks“ mit zunehmender Tendenz zu Ruhestörungen, Vandalismus, Verunreinigungen, Verstößen gegen das Jugendschutzgesetz und Körperverletzungen gekommen ist, erließ die zuständige niedersächsische Behörde eine „Allgemeinverfügung“, die für ein Teilgebiet der Innenstadt von S und zeitlich beschränkt auf Freitag- und Samstagnacht den Konsum von Alkohol, das Mitführen von alkoholhaltigen Getränken und den Konsum von Getränken aus Glasflaschen und Gläsern verbietet. Die sofortige Vollziehung wurde gem. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO angeordnet. Da die Verursacher nicht namentlich bekannt sind und von Wochenende zu Wochenende wechseln, richtet sich die Allgemeinverfügung „an alle“. Gegen diese Allgemeinverfügung wendet sich Jurastudent J klageweise vor dem Verwaltungsgericht, wo er zugleich einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Er macht geltend, dass das „Bermuda-Dreieck“ auch für ihn ein beliebter Treffpunkt mit seinem Freundeskreis sei, um gemeinsam an Abenden am Wochenende Alkohol und andere Getränke aus Flaschen und Gläsern zu konsumieren, von diesem Personenkreis aber keine Gefahr der Begehung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten ausgehe. Ist der Antrag begründet?
Ja. Das Gericht stellt die aufschiebende Wirkung der Klage des J gem. § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO wieder her, weil bei Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der angeordneten sofortigen Vollziehung einerseits und dem Interesse des Rechtsschutzsuchenden an der vorläufigen Aussetzung des angefochtenen Verwaltungsakts andererseits vorliegend das private Interesse von J überwiegt. Die insoweit insbesondere gebotene Berücksichtigung der Erfolgsaussicht der Klage ergibt, dass die angefochtene Allgemeinverfügung offensichtlich rechtswidrig ist. Die rechtliche Zulässigkeit der gewählten Form der Allgemeinverfügung setzt voraus, dass inhaltlich mit ihr keine abstrakt-generelle Regelung für eine unbestimmte Vielzahl von Gefahrenlagen und Personen getroffen worden ist. Denn in diesem Fall hätte das Verbot in der Rechtsform – und im dafür gebotenen Verfahren – der im Gefahrenabwehrrecht zur Bekämpfung abstrakter Gefahren ausdrücklich vorgesehenen Verordnung nach § 55 Nds. SOG erlassen werden müssen. Doch selbst wenn man hier davon ausginge, dass sich die Regelung an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Adressatenkreis richtet und sie deshalb die Merkmale eines Verwaltungsakts in der Form der personenbezogenen Allgemeinverfügung i.S.d. § 35 S. 2 Var. 1 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 NVwVfG erfüllt, begegnet sie durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der hierdurch bewirkte Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG betrifft nämlich auch Personen, die – wie J – zwar durch den Konsum oder das Mitführen alkoholischer Getränke bzw. den Konsum von Getränken aus Flaschen oder Gläsern die Voraussetzungen der Verbotstatbestände erfüllen, die aber bislang nicht mit den zur Begründung der Allgemeinverfügung beschriebenen Verhaltensweisen aufgefallen sind. So lässt sich weder der Konsum von Alkohol oder das Mitführen alkoholischer Getränke noch der Konsum von Getränken aus Glasflaschen und Gläsern an sich anlässlich des Aufenthalts auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen i.S.d. § 2 Abs. 1 NStrG als Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung i.S.d. § 11 Nds. SOG bewerten. Denn eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ist nur gegeben, wenn bei bestimmten Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen nach allgemeiner Lebenserfahrung oder fachlichen Erkenntnissen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden für die polizeilichen Schutzgüter im Einzelfall, d.h. eine konkrete Gefahrenlage, einzutreten pflegt. Dies ist offenkundig bei dem üblichen, gesellschaftlich allgemein akzeptierten Alkoholkonsum (auch) in der Öffentlichkeit und erst recht hinsichtlich des bloßen Mitführens von alkoholischen Getränken nicht der Fall.
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konkret-generelle Regelungen betreffen zwar einen bestimmten Sachverhalt (konkret), richten sich aber an eine unbestimmte Vielzahl von Personen (generell). Von daher ist fraglich, ob aufgrund der Konkretheit eine Einzelfallregelung (und damit ein Verwaltungsakt) oder aufgrund der Generalität eine Rechtsnorm anzunehmen ist (z.B. eine Rechtsverordnung). Eine Stellungnahme hierzu ist allerdings insoweit entbehrlich, als § 35 S. 2 VwVfG das Merkmal „Einzelfall“ erweitert. Danach liegt auch dann ein Verwaltungsakt – und zwar in Form der Allgemeinverfügung, für die Erleichterungen bei der Anhörung (§ 28 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG), der Begründung (§ 39 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG) und der Bekanntgabe (§ 41 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 S. 4 VwVfG) gelten – vor, wenn die übrigen Voraussetzungen des § 35 S. 1 VwVfG erfüllt sind und – die Regelung sich an einen nicht individuell, sondern lediglich nach allgemeinen Merkmalen, d.h. „gattungsmäßig“, bestimmten (z.B. Auflösung einer gegenwärtig stattfindenden Versammlung)[124] oder bestimmbaren (z.B. Verbot einer zukünftig geplanten Versammlung) Personenkreis richtet, sog. personenbezogene Allgemeinverfügung(§ 35 S. 2 Var. 1 VwVfG); |
Hinweis
„Die Abgrenzungzwischen einem ,normalen‘ Einzelverwaltungsakt bzw. mehreren gleichlautenden Einzelverwaltungsakten (Sammelverfügung [s.o.]) nach § 35 S. 1 VwVfG und personenbezogener Allgemeinverfügung nach § 35 S. 1 Var. 1 VwVfG kann schwierig sein.“[125] Ipsen schlägt insoweit vor darauf abzustellen, wer die Adressatenindividualisierung vornimmt: Ist dies die Behörde, so handele es sich um einen Fall von § 35 S. 1 VwVfG; ist dies der Bürger, so sei § 35 S. 2 Var. 1 VwVfG einschlägig.[126] Für die Bestimmbarkeit i.S.d. der letztgenannten Vorschrift reiche es daher aus, wenn der erfasste Personenkreis im Bekanntgabezeitpunkt noch nicht objektiv feststeht, sondern erst zu demjenigen Zeitpunkt, in dem die Wirkungen gegenüber den Betroffenen eintreten.[127]
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