Beispiel[112]
Auf Antrag der B-GmbH, die ein Busunternehmen betreibt, wurde dieser durch „Bescheid“ eine Zuwendung in Höhe von 85 % der Gesamtkosten für den beabsichtigten Neubau eines Omnibusbetriebshofs mit 70 Stellplätzen bewilligt. Auf Grundlage der Angaben der B-GmbH im Förderantrag wurden die Gesamtkosten hierfür vorläufig auf 10 Mio. € festgestellt und daraufhin 8,5 Mio. € an die B-GmbH ausbezahlt. In dem Bewilligungsbescheid heißt es u.a., dass falls sich nach der Bewilligung die Gesamtkosten des Vorhabens mindern, auch die Zuwendung anteilig ermäßigt. Aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten musste die B-GmbH nachfolgend einen Teil ihrer Busflotte veräußern, weshalb sie letztlich nur 42 anstatt der ursprünglich vorgesehenen 70 Stellplätze errichtete. Nach Prüfung der von der B-GmbH vorgelegten Verwendungsnachweise stellte die zuständige baden-württembergische Behörde mit „Schlussbescheid“ die zuwendungsfähigen Gesamtkosten auf 6 Mio. € fest, ermittelte unter Zugrundelegung des Fördersatzes von 85 % den endgültigen Zuwendungsbetrag mit 5,1 Mio. € und forderte die zu viel gezahlten 3,4 Mio. € zuzüglich Zinsen von der B-GmbH zurück. Diese meint, eine Rechtsgrundlage für die Zinsforderung sei nicht vorhanden und ficht den Bescheid insoweit vor dem Verwaltungsgericht an. Hat die B-GmbH mit ihrer Auffassung Recht?
Nein. Rechtsgrundlage für die Zinsforderung ist § 49a Abs. 3 LVwVfG BW. Zwar kommt eine unmittelbare Anwendung von § 49a Abs. 1, 3 LVwVfG BW hier nicht in Betracht. Denn der Zuwendungsbescheid hat seine Wirkung nicht teilweise infolge Aufhebung oder Eintritts einer auflösenden Bedingung, sondern dadurch verloren, dass er durch den Schlussbescheid ersetzt wurde. § 49a Abs. 1, 3 LVwVfG BW ist auf eine solchen Fall aber entsprechend anzuwenden. Der Zuwendungsbescheid hat seine Wirkung dadurch verloren, dass er durch den Schlussbescheid ersetzt wurde, vgl. § 43 Abs. 2 LVwVfG BW. Das Subventionsverhältnis wurde hier zunächst durch den Zuwendungsbescheid geregelt, der aber hinsichtlich der zuwendungsfähigen Gesamtkosten – und infolge dessen hinsichtlich des genauen Förderbetrags – unter den Vorbehalt der späteren Festsetzung gestellt und damit auf eine Ergänzung durch einen weiteren Verwaltungsakt angelegt war, durch den die Zuwendung in den offengehaltenen Punkten abschließend geregelt werden sollte. Dieser weitere Verwaltungsakt ist mit dem „Schlussbescheid“ ergangen. Der Vorbehalt endgültiger Regelung bewirkt, dass die Behörde die vorläufige Regelung im Ausgangsbescheid durch die endgültige Regelung im Schlussbescheid ersetzen kann, ohne insoweit an die Einschränkungen der §§ 48, 49 LVwVfG BW gebunden zu sein. Der Regelungsinhalt des Ausgangsbescheids besteht insoweit darin, dass der Begünstigte die empfangene Beihilfe nur vorläufig bis zum Erlass der endgültigen Entscheidung behalten darf. Deshalb geht die Bindungswirkung eines solchen Verwaltungsakts nicht dahin, dass er eine Rechtsgrundlage für das endgültige Behalten der Beihilfe bildet. Das bedeutet, dass es bei der späteren endgültigen Regelung keiner Aufhebung der unter Vorbehalt ergangenen Bewilligung bedarf. Die Behörde war nicht gehindert, eine in dem beschriebenen Sinne vorläufige Regelung zu treffen, handelt es sich doch auch bei dem „vorläufigen“ Verwaltungsakt um einen solchen i.S.d. §§ 35 LVwVfG BW. Seine Besonderheit liegt nicht in seiner Art oder Form, sondern allein in seinem Regelungsinhalt. Genauer ist daher nicht von einem „vorläufigen Verwaltungsakt“ zu sprechen, sondern von einem Verwaltungsakt, der eine nur vorläufige Regelung trifft. Auch gibt es im vorliegenden Zusammenhang des Subventionsrechts keine gesetzliche Bestimmung, die der Behörde eine derartige Regelung verbieten würde. Allerdings darf die Behörde eine Regelung nicht beliebig bloß vorläufig treffen, sondern lediglich dann, wenn ihr eine bestehende Ungewissheit hierzu sachlichen Grund gibt. Das ist bei einer tatsächlichen Ungewissheit nur dann der Fall, wenn sie Umstände betrifft, die erst künftig eintreten und die nach dem Gesetz auch nicht im Wege einer Prognose zu schätzen sind. So lag es hier: Die maßgeblichen zuwendungsfähigen Gesamtkosten standen im Zeitpunkt des Zuwendungsbescheids nicht fest und waren nach dem Gesetz auch nicht im Wege einer Prognose zu schätzen.
66
Befindet sich der vorläufige Verwaltungsakt mithin am untersten Ende der Skala der zeitlichen Geltungsdauer eines Verwaltungsakts, so ist der Dauerverwaltungsaktan deren oberstem Punkt zu verorten. Er erschöpft sich nicht – wie der „Momentverwaltungsakt“[113] – in einem einmaligen Ge- oder Verbot oder in einer einmaligen Gestaltung der Rechtslage zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern begründet bzw. verändert ein auf Dauer, d.h. während eines bestimmten Zeitraums, berechnetes und in seinem Bestand vom Verwaltungsakt abhängiges Rechtsverhältnis ( Rn. 122; z.B. Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 S. 1 GewO). Bildlich kann der Dauerverwaltungsakt als Summierung einer Vielzahl von einzelnen Verwaltungsakten gedacht werden, die aus verwaltungsökonomischen Gründen in einem Verwaltungsakt zusammengefasst sind (z.B. Bescheid, in dem für eine gewisse Dauer vierteljährliche Ratenzahlungspflichten zur Tilgung eines Ausbildungsförderungs-Darlehens festgesetzt werden).
67
Als Beispiel für den o.g. Teilakt( Rn. 64) wird klassischerweise die Bewertung einer einzelnen Klassenarbeit genannt, welche lediglich über den Leistungsstand des Schülers informiert und die Einzelnote im Zeugnis vorbereitet. Auch Letzterer wird regelmäßig der Regelungscharakter abgesprochen und im Grundsatz nur das in der Gesamtnote eines Abschlusszeugnisses zum Ausdruck kommende Gesamtergebnis als Verwaltungsakt qualifiziert.[114] Abweichendes gilt ausnahmsweise dann, wenn das jeweils einschlägige Fachrecht (Prüfungsordnung) dahingehend auszulegen ist, dass der Einzelnote Regelungsqualität i.S.v. § 35 S. 1 VwVfG zukommt[115] (z.B. ist eine Teilnote im Abiturzeugnis für sich betrachtet dann rechtserheblich, wenn von ihr die Zulassung zu einem „ numerus clausus “-Studienfach abhängt).[116]
68
Abzugrenzen vom nicht-regelnden Teilakt ( Rn. 67) sind (verbindliche) Teilgenehmigungen und Vorbescheide als besondere Erscheinungsformen des Verwaltungsakts. Mit ihnen entscheidet die Behörde abschließend über einen in tatsächlicher Hinsicht ( Teilbaugenehmigunggem. § 61 LBO BW, Art. 70 BayBO, § 76 BauO NRW 2018; z.B. Baugenehmigung für die ersten drei Geschosse eines zehnstöckig geplanten Hochhauses) bzw. in rechtlicher Hinsicht ([Bau-] Vorbescheidgem. § 57 LBO BW, Art. 71 BayBO, § 77 BauO NRW 2018; z.B. Entscheidung über die planungsrechtliche Zulässigkeit eines Bauvorhabens nach §§ 29 ff. BauGB,[117] siehe das Beispiel in Rn. 290) abtrennbaren Teil eines komplexen Gesamtvorhabens. Dadurch werden im Interesse der Effizienz des Verwaltungsverfahrens einzelne Entscheidungen abgeschichtet.
Hinweis
Im Gegensatz zu den unselbständigen Vorbereitungshandlungen( Rn. 64) und Teilakten ( Rn. 67), die als vorgelagerte Realakte jeweils keine Bindungswirkung für die im nachfolgenden Verwaltungsakt getroffene Regelung entfalten, haben die verbindlichen Teilgenehmigungen und Vorbescheidekonstitutive Bedeutung für die Rechtsstellung des jeweiligen Betroffenen (siehe das Beispiel in Rn. 290).[118]
69
Gem. § 35 S. 1 VwVfG ist weiteres Begriffsmerkmal des Verwaltungsakts, dass die hoheitliche Maßnahme der Behörde auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts zur Regelung eines „ Einzelfalls“ ergeht. Mit diesem Merkmal wird der Verwaltungsakt abgegrenzt von untergesetzlichen Rechtsnormen (Gesetze im materiellen Sinn), die in Gestalt von Rechtsverordnungen ( Rn. 12) und Satzungen ( Rn. 13) der Verwaltung ebenfalls als Handlungsformen zur Verfügung stehen. Entsprechend der zahlenmäßigen (Un-)Bestimmtheit der von einer Regelung erfassten Sachverhalte (abstrakt oder konkret) und Adressaten (individuell oder generell) ist diese entweder – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 35 S. 1 VwVfG – als Verwaltungsakt oder als Rechtsnorm zu qualifizieren.[119] Denklogisch kann insoweit zwischen folgenden Kombinationsmöglichkeiten differenziert werden:
Читать дальше