1 ...8 9 10 12 13 14 ...53 Beispiel[9]
Die kreisfreie Stadt S ist an der Städtischen Verkehrsgesellschaft mbH (SV GmbH) beteiligt. In deren Beförderungsbedingungen ist u.a. geregelt, dass ein Fahrgast ein erhöhtes Beförderungsentgelt in Höhe von 60 € zahlen muss, wenn er keinen gültigen Fahrausweis hat. Als Fahrgast F einen solchen bei einer routinemäßigen Kontrolle in einem von der SV GmbH betriebenen Busse nicht vorzeigen kann, erlässt diese kurze Zeit später einen mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen „Bescheid“, in dem F unter Anordnung der sofortigen Vollziehung zur Zahlung des erhöhten Beförderungsentgelts aufgefordert wird. Durfte die SV GmbH in dieser Weise handeln?
Nein. Bei dem „Bescheid“ handelt es sich (nur) der äußeren Form nach um einen Verwaltungsakt, d.h. eine öffentlich-rechtliche Maßnahme. Eine solche kann nach § 35 S. 1 VwVfG allerdings nur von einer Behörde erlassen werden. Behörde ist nach § 1 Abs. 4 VwVfG jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt. Als Privatrechtssubjekt ist die SV GmbH allerdings weder selbst Behörde noch sind im Sachverhalt Angaben dazu enthalten, dass die SV GmbH von S als Verwaltungshelfer beauftragt oder kraft Gesetzes als Beliehene mit eigenen Verwaltungszuständigkeiten betraut worden wäre. Als Nicht- bzw. Schein-Verwaltungsakt entbehrt der von der SV GmbH erlassene „Bescheid“ daher jeglicher formeller und materieller Wirkung (nullum) . Vielmehr muss sie ihre Rechte gegenüber F privatrechtlich geltend machen.
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Vorbehaltlich entgegenstehender gesetzlicher Regelungen (z.B. § 50 Abs. 1 S. 1 BAföG: „Bescheid“) haben öffentlich-rechtlich organisierte Verwaltungsträger demgegenüber nach h.M. ein Wahlrecht, entweder als Hoheitsträger öffentlich-rechtlich oder als juristische Person privatrechtlich tätig zu werden.[10] Dabei erstreckt sich diese Wahlfreiheit im Grundsatz sowohl auf die Organisationsformder die Aufgabe erfüllenden Einrichtung ( Rn. 53, z.B. rechtlich unselbständiger Regie- oder Eigenbetrieb [§ 114 GO NRW], rechtlich selbständige privatrechtliche Eigengesellschaft [vgl. § 108 GO NRW] oder Anstalt des öffentlichen Rechts [§ 114a GO NRW]) als auch auf die Ausgestaltung des Leistungs- bzw. Benutzungsverhältnisses( Rn. 22).
Doch ist der Rechtscharakter der jeweiligen Maßnahme auch insoweit nicht weiter zu problematisieren, als sich der Verwaltungsträger einer eindeutigen Handlungsformentweder des öffentlichen Rechts (z.B. „Verwaltungsakt“[11]) oder des Privatrechts (z.B. „Rechnung“; siehe Rn. 45und Rn. 69) bedient hat.
Beispiel[12]
Hoheitsträger H hat auf privatrechtlicher Grundlage Räumlichkeiten zum Betrieb einer Gaststätte an Pächter P verpachtet.
Beabsichtigt H das Pachtverhältnis mit P zu beenden, so bedarf es hierzu einer privatrechtlichen Kündigung. Erlässt H gleichwohl eine für sofort vollziehbar erklärte und mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehene „Verfügung“, in der P unter Androhung eines Zwangsgelds zur Räumung der Gaststätte verpflichtet wird, so hat H tatsächlich (rechtswidrig) in öffentlich-rechtlicher – statt (rechtmäßig) in privatrechtlicher – Form gehandelt.
Hinweis
Ob die von der Verwaltung gewählte Handlungsform rechtmäßig ist, d.h. ob die Verwaltung nach dem Gesetz auch so handeln durfte bzw. musste, wie sie tatsächlich gehandelt hat, ist im vorliegenden Zusammenhang ohne Bedeutung. Denn die Frage nach der Rechtsnatureiner Verwaltungsmaßnahme ist von derjenigen nach ihrer Rechtmäßigkeitstreng zu trennen.[13]
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Sofern sich die Verwaltung im konkreten Fall auch nicht einer eindeutigen Handlungsform bedient haben sollte, ist das Rechtsregime anhand von Indizienwie dem Sachzusammenhang des Verwaltungshandelns und dessen Ziel und Zweck zu ermitteln:
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So erfolgt fiskalisches Handeln( Rn. 20) wie die Bedarfsdeckung des Staates (z.B. Einkauf von Büromaterialien), die Verwaltung staatlichen Vermögens (z.B. Verkauf ausrangierter Dienstfahrzeuge) sowie die staatliche Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr (z.B. unternehmerisches Auftreten des Staates als Anbieter am Güter- und Dienstleistungsmarkt) jeweils in privatrechtlicher Form.
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Namentlich im Rahmen der Leistungsverwaltung(z.B. Subventionsvergabe[14], Benutzung öffentlicher Anstalten und Einrichtungen[15]) ist nach der von H.P. Ipsen [16] entwickelten Zwei-Stufen-Theoriezwischen der stets als öffentlich-rechtlich zu qualifizierenden Bewilligung bzw. Zulassung auf der ersten Stufe (dem „Ob“) und der entweder öffentlich-rechtlich (Indiz: Benutzungsordnung als „Satzung“ ergangen, Erhebung einer Benutzungsgebühr) oder[17] privatrechtlich (Indiz: Benutzungsordnung als „Allgemeine Geschäftsbedingungen“ ergangen, Forderung eines Benutzungsentgelts) ausgestalteten Abwicklung auf der zweiten Stufe (dem „Wie“) zu unterscheiden.[18]
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Beispiel[19]
Auf Antrag des Ortsvereins der P-Partei hin überlässt der Oberbürgermeister der Stadt S der P-Partei mit Bescheid vom 14.12. die im Eigentum von S stehende Stadthalle für eine Wahlkampfveranstaltung. Im Gegenzug hierfür verpflichtet sich P im daraufhin mit S gem. §§ 535 ff. BGB geschlossenen Mietvertrag zur Zahlung einer Miete i.H.v. 5000 €.
Falls P gleichwohl der Zutritt zur Stadthalle verwehrt wird, ist für die diesbezügliche öffentlich-rechtliche Streitigkeit (auf der ersten Stufe hinsichtlich des „Ob“) der Verwaltungsrechtsweg gem. § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO eröffnet. Falls P die 5000 € Miete nicht zahlt, muss sich S bzgl. dieser privatrechtlichen Streitigkeit (auf der zweiten Stufe bzgl. des „Wie“) gem. § 13 GVG an das zuständige Zivilgericht wenden.
Hinweis
Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Zwei-Stufen-Theorie ist die strukturelle Zweistufigkeitdes betreffenden Vorgangs. Hieran fehlt es etwa bei der (privatrechtlichen) Vergabe öffentlicher Aufträge, so dass unterhalb der Schwellenwerte des § 2 VgV der Zivilrechtsweg eröffnet ist.[20]
Wird die öffentliche Einrichtung[21] (z.B. i.S.v. § 10 Abs. 2 S. 2 GemO BW, Art. 21 Abs. 1 S. 1 bay. GO, § 8 Abs. 2 GO NRW) von einer juristischen Person des Privatrechts betrieben (z.B. Stadthallen-GmbH), deren Anteile sich mehrheitlich in der Hand beispielsweise einer Gemeinde befinden, kann das Benutzungsverhältnis (zweite Stufe) nur privatrechtlich ausgestaltet sein (vgl. Rn. 29). Wird die Zulassung (erste Stufe) versagt, hat der Bürger einen dahingehenden Anspruch gegenüber der Gemeinde als Gesellschafterin, dass diese auf die privatrechtlich organisierte Gesellschaftso einwirkt, dass Letztere dem Bürger den Zugang zu der Einrichtung verschafft.[22] Entsprechendes gilt (z.B. über vertraglich begründete Mitwirkungs- oder Weisungsrechte), wenn die Gemeinde die Betriebsführung einem Privaten etwa im Rahmen eines privatrechtlichen Miet-, Pacht- oder Leiheverhältnisses überlässt.[23]
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Realaktewie die Dienstfahrten eines Beamten sind nach der Rechtsprechung[24] dann als öffentlich-rechtlich zu beurteilen, wenn sie zur Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben erfolgen (z.B. Bürgermeister fährt zu einer dienstlichen Besprechung). Erfolgt die Fahrt dagegen aus fiskalischen Gründen (z.B. Bürgermeister fährt zu einem Gewerbetreibenden, um mit diesem über den Verkauf seines Grundstücks an die Gemeinde zu verhandeln), so ist sie als privatrechtlich zu beurteilen. Entsprechendes gilt ebenfalls hinsichtlich des Anspruchs des Bürgers auf Widerruf bzw. Unterlassung ehrverletzender Äußerungen eines Beamten bzw. von Informationen, Warnungen etc. einer Behörde sowie hinsichtlich Ansprüchen des Staates gegenüber dem Bürger auf Rückzahlung von zu Unrecht gewährten Geldleistungen; wiederum ist jeweils der Zusammenhang des Tätigwerdens bzw. die Rechtsnatur des zugrundeliegenden Leistungsverhältnisses ausschlaggebend. Bei Streitigkeiten betreffend die wirtschaftliche Tätigkeit von Gemeinden ist zwischen dem – öffentlich-rechtlichen – „Ob“ (vgl. z.B. §§ 102 ff. GemO BW, Art. 86 ff. bay. GO, §§ 107 ff. GO NRW) und dem – privatrechtlichen – „Wie“ (siehe die Vorschriften des GWB und des UWG) des Wettbewerbs zu differenzieren.
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