[68]
Walter/Neubacher Jugendkriminalität, Rn 570 ff.; Löhr ZRP 1997, 280.
[69]
Zum Eskalationsprinzip noch unten, Rn. 74 u. 79.
[70]
Drewniak DVJJ-Journal 1997, 43; Löhr ZRP 1997, 280; Walter/Neubacher Jugendkriminalität, Rn. 573 ff; kritisch auch Brunner/Dölling JGG, 43 f. zu Einf.
[71]
Reusch ZJJ 2007, 295.
[72]
AG Jugendkriminalprävention DVJJ ZJJ 2006, 451; s. auch unten Rn. 124zu den „personenorientierten Berichten“ der Sondersachbearbeiter der Polizei.
[73]
LG Berlin DVJJ-Journal 2000, 86 hat diese Praxis gerügt; hierzu auch noch unten, Rn. 128 a.E.
[74]
Brodkorb ZJJ 2006, 62; Eisenberg Anmerkung zu KG NStZ 2006, 522; Ostendorf ZJJ 2007, 300.
[75]
Eisenberg NJW 2010, 1507, spricht vom außergesetzlichen Sonderrecht bei so genannten Intensivtätern.
[76]
Vgl. Walsh ZJJ 2017, 28.
[77]
Bannenberg/Rössner DVJJ-Journal 2000, 121; Böttger DVJJ-Journal 1998, 224.
[78]
Instruktiv BGH NJW 2002, 73: Aggressionsdelikte als Ausdruck frühkindlicher Deprivation.
[79]
Ohder Gewalt durch Gruppen Jugendlicher, passim.
[80]
Brunner/Dölling JGG, 36 f. zu Einf.
[81]
Heitmann/Korn ZJJ 2006, 38, zur Arbeit mit rechtsextrem gefährdeten Gewalttätern im Jugendstrafvollzug und nach Haftentlassung.
[82]
Schneider DVJJ-Journal 1993, 270; differenzierter und vor allem die unterschiedliche Bewertung „linker“ und „rechter“ Gewalt kritisierend: Frommel DVJJ-Journal 1994, 67; Heitmann/Korn ZJJ 2006, 38; zu Prävention und Intervention bei rechtsextrem motivierten jungen Tätern: Rieker ZJJ 2010, 130; zur Prävention bei salafistischer Radikalisierung: Preuschat ZJJ 2017, 47; vgl. auch Heinke/Persson ZJJ 2015, 48.
[83]
Eckert DVJJ-Journal 1997, 111; Frehsee DVJJ-Journal 1997, 115; Pfeiffer DVJJ-Journal 1993, 212; Viehmann ZRP 1993, 81; Walter DVJJ-Journal 1994, 120.
[84]
Ostendorf StV 1993, 545; vgl. den Überblick über die Arbeit und die Konsequenzen der Anti-Gewalt-Kommission: Schwind DVJJ-Journal 1994, 114.
[85]
BKA PKS Jahrbuch 2016, Band 4, S. 15.
[86]
Bange/Hofmann/Kristian ZJJ 2008, 43.
[87]
Bange/Hofmann/Kristian ZJJ 2008, 43; Ostendorf KrimPäd 2006, 20 (25).
[88]
Backmann DVJJ-Journal 2002, 34.
[89]
So auch die Ergebnisse einer Studie von Teafi/Kraus/Görgen ZJJ 2017, 56.
[90]
Heinke NStZ 2010, 119.
[91]
Lempp Jugendliche Mörder, passim.
[92]
Robertz Wenn Jugendliche morden, passim; ders. DVJJ-Journal 2000, 53.
[93]
BGH NStZ 2008, 644; BGHR StGB § 21 Sachverständiger 13; LG Hamburg Urteil v. 10.11.2011 – 604 Ks 15/11- juris.
Teil 1 Jugenddelinquenz und Jugendstrafrecht› IV. Die Effektivität des Jugendstrafrechts
IV. Die Effektivität des Jugendstrafrechts
28
Studien haben erwiesen, dass die Existenz des Jugendstrafrechts und auch die Erfahrungen mit eigenen früheren Verurteilungen eine ausgesprochen geringe abschreckende Wirkung auf junge Täter haben. Soweit überhaupt vor Begehung einer Straftat eine Abwägung stattfindet, steht in erster Linie das Entdeckungsrisiko im Vordergrund, wobei die negativen Reaktionen aus der Umwelt (Eltern, Schule, Behördengänge, polizeiliche Vernehmungen) mindestens ebenso wichtig sind wie die Gefahr einer Verurteilung durch das Jugendgericht.[1] Gesetze, Strafen und Justiz sind für Jugendliche und Heranwachsende eine fremde Welt, die nur bei und nach gelegentlichen Polizeikontakten eine Rolle spielt. Nicht diese wenigen Erfahrungen bestimmen die Handlungen gefährdeter Jugendlicher, vielmehr sind konkrete Bedürfnisse, aktuelle Geschehnisse und konkrete Herausforderungen durch die Gruppe Faktoren, die zu kriminellem Verhalten drängen.[2] Viel wichtiger als die abschreckende Wirkung von Jugendstrafrecht oder drohender Bestrafung oder auch nur des Risikos des Entdecktwerdens ist für das Verhalten von Jugendlichen die Frage der Akzeptanz der jeweiligen Normen. Wo Normen akzeptiert und innerlich moralisch gebilligt werden, besteht ohnehin kaum eine Gefahr strafbaren Verhaltens. Das führt zu einem Paradox: Je größer die Normakzeptanz junger Menschen ist und je weniger sie strafrechtlich auffällig sind, desto eher akzeptieren sie Gesetze und Justiz; je öfter sie dagegen durch Straftaten aufgefallen und bestraft worden sind, desto geringer schätzen sie die Wirkung der strafrechtlichen Reaktion ein.[3]
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Nicht nur für den Jugendrichter, auch für den Verteidiger ist es deswegen umso wichtiger zu erfahren, welche jugendstrafrechtlichen Reaktionen nach kriminologischen Erkenntnissen spezialpräventiv die günstigste Wirkung haben. Die statistischen Zahlen erweisen, dass Jugendgerichte in deutlich mehr als der Hälfte aller Fälle[4] von der Möglichkeit informeller Erledigung im Rahmen der Diversion nach §§ 45, 47 JGG Gebrauch machen. Nur in den verbleibenden Verfahren kommt es zu einer formellen Erledigung durch Urteil. Betrachtet man den Charakter der Reaktionen, so stehen ambulante Maßnahmen (75 %) deutlich vor den stationären Maßnahmen Arrest und Jugendstrafe ohne Bewährung (25 %).[5]
Die Zurückhaltung bei der Verhängung von freiheitsentziehenden Maßnahmen ist durchaus rational, da die Rückfallhäufigkeit steigt, je mehr Freiheitsentzug erlitten wird:
Diversionsmaßnahmen nach §§ 45, 47 JGG: |
36 % |
Ambulanten Maßnahmen (Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel): |
53 % |
Jugendstrafe mit Bewährung: |
62 % |
Jugendarrest: |
65 % |
Jugendstrafe ohne Bewährung: |
69 %[6] |
Diese allgemein anerkannten Zahlen werden allerdings streitig diskutiert. Während die eine Seite die hohe Rückfallquote bei Freiheitsentziehung darauf zurückführt, dass „Erziehen durch Strafen“ eben zum Scheitern verurteilt ist, weil eine strengere strafrechtliche Disziplinierung die ohnehin durch Lebensgeschichte und äußere Umstände verletzte Persönlichkeit des jungen Menschen weiter schädigt und ihn den zusätzlichen schädlichen Einflüssen des Jugendarrest- und Jugendstrafvollzuges aussetzt, führt die Gegenmeinung die hohe Rückfallhäufigkeit darauf zurück, dass zu Jugendstrafe ohne Bewährung ohnehin nur die „mehrfach Auffälligen“ verurteilt werden, die hohe Rückfallhäufigkeit bei dieser Negativauslese also eigentlich nur zu erwarten ist und nicht gegen die nach wie vor angestrebte erzieherische Wirkung auch des Jugendstrafvollzuges spricht. Vergleichende Untersuchungen der Rückfallhäufigkeit bei gleichen Ausgangsdelikten, aber unterschiedlicher Strafpraxis haben aber gezeigt, dass bei der „liberalen“ Rechtsanwendung bei sonst vergleichbarer Sachlage die Rückfallhäufigkeit nicht höher, sondern eher geringer ist als bei der „strengeren“ Praxis.[7] Auch die Abschreckungshypothese hat sich nicht bewahrheitet.[8] Jugendstrafe soll gerade auch Mehrfachtäter, denen regelmäßig „schädliche Neigungen“ gemäß § 17 JGG attestiert werden, zu einem rechtschaffenen Lebenswandel führen (Gebot aus §§ 1 Abs. 2, 18 Abs. 2 JGG). Wenn eine Rückfallhäufigkeit von fast 70 % die Folge der Vollstreckung von Jugendstrafe ist, dann ist Jugendstrafvollzug auch bei dieser Tätergruppe wenn nicht kontraproduktiv, so doch zumindest weitgehend wirkungslos.[9]
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Der Verteidiger befindet sich also auf kriminologisch sicherem Boden, wenn er sich im Verfahren gegen seinen jungen Mandanten für die Geltung des Grundsatzes „im Zweifel für eine ambulante Sanktion“ bzw. „im Zweifel weniger“ ausspricht.[10] Rechtlich ist dies ohnehin durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip und das im Jugendstrafrecht geltende Subsidiaritätsprinzip geboten, wonach schärfere Maßnahmen nur dann eingesetzt werden dürfen, wenn die eingriffsärmeren nicht ausreichend sind, um den Erziehungszweck zu erreichen (§§ 5 Abs. 2, 17 Abs. 2 JGG).[11]
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