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Im Gegensatz zur fahrlässigen Tötung, bei der eine Einwilligung des später getöteten Mitfahrers rechtlich unbeachtlich wäre, kommt der rechtfertigenden Einwilligung des Verletztenbei der fahrlässigen Körperverletzung mitunter Bedeutung zu. In aller Regel geht es um Fälle, in denen sich das (Unfall-)Opfer bewusst in eine Gefahrenlage begibt, die Körperverletzungsfolgen nach sich ziehen kann, aber auf das Ausbleiben des Erfolgs vertraut. In diesen Fällen der einverständlichen Fremdgefährdunghat das Opfer sein Schicksal insoweit wissentlich in die Hand des Täters begeben, wie z.B. bei der Teilnahme an einem Autorennen. In den vergangenen Jahren beschäftigten sich die Gerichte in diesem Zusammenhang allerdings relativ selten mit dem Rechtfertigungsgrund des § 228 StGB – eine Ausnahme bildet die Rechtsprechung zur Einwilligung beim sog. „Autosurfen“.[42]
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Bloßes Mitfahren bei einem fahrunsicheren Fahrzeugführer bedeutet noch keine schlüssige Einwilligung in Verletzungen bei einem Verkehrsunfall; so genügt es insbesondere nicht, dass Fahrer und Beifahrer Eheleute sind.[43] Die Einwilligung setztvielmehr voraus, dass der Einwilligende Kenntnis von dem Ausmaß der Gefährlichkeiteiner Fahrt hat, die Folgen übersiehtund sich trotzdem entschließt, das mit diesem Vorgang verbundene Risiko auf sich zu nehmen –hierzu auch Rn. 103 . Dies gilt jedenfalls bei leichteren bis mittelschweren Körperverletzungen. Selbst eine schwere Gehirnerschütterung, verbunden mit dreiwöchiger stationärer Krankenhausbehandlung und länger dauernder Arbeitsunfähigkeit, macht eine Einwilligung nicht sittenwidrig.[44]
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Ein wichtiges Indiz für die schlüssige Einwilligungist der Verzicht auf den Strafantrag.[45] Bei Minderjährigen prüft das Gericht in der Regel besonders sorgfältig, ob die Voraussetzungen einer wirksamen Einwilligung vorliegen.[46] Bei einer Alkoholfahrt kann der Mitfahrer zwar wirksam in die Verletzungsfolgen einwilligen, nicht jedoch in die Rechtswidrigkeit der Straßenverkehrsgefährdung nach § 315c StGB.[47] Deshalb kommt der Einwilligung im Strafverfahren letztlich doch keine so große Bedeutung zu.
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Praxishinweis
Steht das (Unfall-)Opfer dem Mandanten nahe, sollte in den Fällen einer möglichen Einwilligung i.S.d. § 228 StGB eingehend erörtert werden, dass die Einwilligung des Verletzten erfahrungsgemäß zu einer Minderung, wenn nicht gar zum Verlust von dessen zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen führen wird.[48]
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Bis zur Entscheidung des BVerfG vom 7.12.1983[49] bereiteten die Fälle Schwierigkeiten, in denen nach rechtskräftiger Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung durch Strafbefehl (aber auch bei Einstellung gem. § 153a StPO) ein Verletzter starb und eindeutig der Tod auf die Verletzungen zurückzuführen war, die er bei dem Unfall erlitten hatte. Die Entscheidung des BVerfG stellte klar, dass eine weitere Verfolgung des Täters in diesen Fällen nicht mehr möglich war. Inzwischen ist durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1987 die StPOin den §§ 373a und 410geändert worden. Der Strafbefehl wirktnunmehr wieein rechtskräftiges Urteil, mit der Folge, dass der etwaige spätere Tod des Opfers nicht zu einem neuen Verfahren wegen fahrlässiger Tötung führen kann.[50] Die einzige Ausnahme interessiert in diesem Zusammenhang nicht, nämlich der Fall, dass sich eine durch Strafbefehl abgeurteilte Tat nachträglich als Verbrechen herausstellt; in diesen Fällen ist die Wiederaufnahme des Verfahrens zu Ungunsten des Verurteilten zulässig (§ 373a StPO).
4. Trunkenheit als Anknüpfungspunkt der Fahrlässigkeit
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Bei der Prüfung der Frage, ob ein Verkehrsunfall für einen alkoholbedingt fahruntüchtigen Kraftfahrer auf ein pflichtwidriges Verhalten zurückzuführen und vermeidbar war, ist nicht darauf abzustellen, ob der Fahrer in nüchternem Zustand den Unfall und die dabei eingetretenen Folgen bei Einhaltung derselben Geschwindigkeit hätte vermeiden können; vielmehr ist zu prüfen, bei welcher geringeren Geschwindigkeit er – abgesehen davon, dass er als Fahruntüchtiger überhaupt nicht am Verkehr teilnehmen durfte – noch seiner durch den Alkoholeinfluss herabgesetzten Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit bei Eintritt der kritischen Verkehrslage hätte Rechnung tragen können, und ob es auch bei dieser Geschwindigkeit zu dem Unfall und den dabei eingetretenen Folgen gekommen wäre.[51]
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Praxishinweis
Liegt nahe, dass der Angeklagte angesichts seines alkoholisierten Zustands zu schnell gefahren ist und dadurch pflichtwidrig einen Unfall oder jedenfalls schwerere Verletzungen eines Unfallopfers verursacht hat, so ist ohne weiteres eine Garantenstellung des Angeklagten gegeben.[52] Er kann sich so wegen Unterlassungsdelikten nach dem Unfall strafbar machen.
5. Übliche Rechtsfolgen im Falle des gerichtlichen Verfahrens
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Die fahrlässige Körperverletzung wird bei einfacher Fahrlässigkeit und nur leichten Unfallfolgen beim Ersttäter häufig zur Einstellung(§§ 153, 153a StPO) kommen können. Die Gerichte fordern hierzu aber i.d.R. ein von Unrechtseinsicht getragenes Geständnis. Der Verteidiger muss mit seinem Mandanten besprechen, ob er hierzu u.U. bereit wäre, um ein Verfahren abzukürzen und etwaigen Unsicherheiten, die für den Fall eines Urteilsspruchs drohen aus dem Weg zu gehen. Gerade bei leichteren Körperverletzungen können Schadenswiedergutmachungsleistungen hilfreich sein, eine Einstellungsbereitschaft zu fördern, insbesondere dann, wenn der Geschädigte ausdrücklich erklärt, dass er angesichts der Schadenswiedergutmachung kein Interesse an einer Strafverfolgung hat. Der Verteidiger sollte also seinem Mandanten dazu raten, eine einvernehmliche Schadenswiedergutmachung mit dem Geschädigten zu versuchen.
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Eine unzweckmäßige oder irreführende Gestaltung von Verkehrszeichenkann je nach Sachlage entweder das Verschulden eines Verkehrsteilnehmers, der den Sinn des Zeichens missversteht, mindern und ein Mitverschulden des für die Gestaltung Verantwortlichen begründen oder aber zur Folge haben, dass dem Verkehrsteilnehmer aus der Fehldeutung des Zeichens überhaupt kein Schuldvorwurf zu machen ist, wenn es in deren Folge zu einem Unfall mit Körperverletzung kommt.[53] Jedenfalls dürften die Rechtsfolgen milder ausfallen.
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Im Falle einer Verurteilungeines Ersttäters drohen bei nur unerheblichen Verletzungen Geldstrafen zwischen i.d.R. 20 und 40 Tagessätzen. Fahrverbote nach § 44 StGB werden seitens der StA in der Regel bei besonderer Fahrlässigkeit oder schweren Verletzungen beantragt. Eine (vorläufige) Fahrerlaubnisentziehung findet regelmäßig nicht statt. Kann eine Einstellung nicht erreicht werden, so sollte eine Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59 StGB) angeregt werden.
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Praxishinweis
Mit einer Verwarnung mit Strafvorbehalt können nicht gleichzeitig ein Fahrverbot nach § 44 StGB oder eine Fahrerlaubnisentziehung angeordnet werden, da sie keine „Verurteilung“ im Sinne dieser Vorschriften darstellt. Zur Verwarnung mit Strafvorbehalt und den hierbei einzuhaltenden Anforderungen an das tatrichterliche Urteil: Rn. 112.
[1]
Schönke/Schröder/ Stree/Sternberg-Lieben StGB, § 230 Rn. 5.
[2]
Hoffmann Fahrlässige Körperverletzung im Straßenverkehr – eine Straftat?, NZV 1993, 209; Müller-Metz Zur Reform bei Vergehenstatbeständen und Rechtsfolgen im Bereich der Verkehrsdelikte, NZV 1994, 89.
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