118
Die Feststellung, ob ein Angeklagter vorsätzlich gehandelt hat, ist Tatfrageund obliegt allein dem Tatrichter. [107] Diese Prüfung hat stets einzelfallbezogenzu erfolgen und lässt eine generalisierende Betrachtung – etwa in Gestalt von Rechts- oder Erfahrungssätzen, denen zufolge bei einem bestimmten Personenkreis oder einer bestimmten Vorgehensweise grundsätzlich eine vorsätzliche Tatbegehung zu bejahen oder zu verneinen sei – nicht zu.[108] Dies gilt auch für den Personenkreis der „Raser“ bzw. „die Angehörigen der Raserszene“; auch dieser Personenkreis ist im Hinblick auf die Frage des Vorliegens oder auch des Fehlens eines (Tötungs-)Vorsatzes einer kategorialen Zuordnung über den Einzelfall hinaus nicht zugänglich.[109]
119
Voraussetzung für die Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Tat ist nach § 16 Abs. 1 StGB, dass der Täter die Umstände, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören, bei ihrer Begehung kennt. Dementsprechend muss der Vorsatz im Zeitpunkt der zum Taterfolg führenden Handlungvorliegen.[110] Fasst der Täter den Vorsatz erst später (dolus subsequens), kommt eine Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Tat nicht in Betracht.[111] Aus der Notwendigkeit, dass der Vorsatz bei Begehung der Tat vorliegen muss, folgt, dass sich wegen eines vorsätzlichen Delikts nur strafbar macht, wer ab Entstehen des Tatentschlusses noch eine Handlung vornimmt, die in der vorgestellten oder für möglich gehaltenen Weise den tatbestandlichen Erfolg – bei Tötungsdelikten den Todeserfolg – herbeiführt. Es bedarf hierfür tatsächliche Feststellungen zu einem unfallursächlichen Verhalten, das vom Tötungsvorsatz der Angeklagten getragen war.[112]
120
Unter Zugrundelegung dieser Erwägungen wird in den Fällen des Durchbrechens einer Polizeisperrezumeist der (bedingte) Tötungsvorsatz verneint. Der BGH [113] führt dazu aus:
Fallbeispiel:
Die Beweiswürdigung des LG, der Angekl. sei mit bedingtem Tötungsvorsatz auf den Polizeibeamten zugefahren, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Senat hat bereits wiederholt (vgl. BGH VRS 50, 94 (95); BGHR StGB § 212 I Vorsatz, bedingter 28 = NZV 1992, 370 m.w. Nachw.) auf die Erfahrung hingewiesen, dass es in den Fällen, in denen Kraftfahrer eine Polizeisperre durchbrechen, um zu fliehen, den bedrohten Beamten meist gelingt, sich außer Gefahr zu bringen, und dass die Täter im Allgemeinen mit einer derartigen Reaktion der Beamten rechnen. Sie nehmen um ihres Zieles willen zwar auch eine Gefährdung der Polizeibeamten in Kauf, in der Regel aber nicht ihre Tötung; denn vor dem Tötungsvorsatz steht eine erheblich höhere Hemmungsschranke als vor dem Gefährdungsvorsatz. Aus dieser Erfahrung ergeben sich strenge Anforderungen an die Feststellungen zum bedingten Tötungsvorsatz.
121
Noch höher, als die Anforderungen an den Tötungsvorsatz des unmittelbaren Täters ist im Rahmen eines Fahrzeugrennens der Vorsatz der anderen Rennteilnehmer im Hinblick auf eine ihnen vorgeworfene Mittäterschaft.[114]
122
Gelangt das Gericht zu der Auffassung, dass der Kraftfahrzeugführer mit (bedingtem) Tötungsvorsatz gehandelt hat, dann ist auch das Vorliegen von Mordmerkmalenzu prüfen. Insbesondere bei Rennen können die Mordmerkmale des gemeingefährlichen Mittels und der Heimtücke problematisch sein.[115] So hat der BGH in zwei jüngeren Entscheidungen[116] den Pkwdes Angeklagten als gemeingefährliches Mittel i.S.d. § 211 Abs. 2 StGBangesehen. In dem einen Fall[117] war der alkoholisierte Angeklagte mit seinem Pkw über den Gehweg in die voll besetzten Außenterrassen zweier Eiscafes gerast und hatte dabei mehrere Personen schwer verletzt. In dem anderen Fall[118] war der Angeklagte darüber verärgert, dass man ihm, als er auf der Abschlussfeier seines Fußballvereins am Tisch eingeschlafen war, ein Büschel Haare abgeschnitten hatte. Um seine Wut abzureagieren, fuhr er, ohne die Scheinwerfer einzuschalten, in Gegenrichtung auf eine Autobahn. Dabei handelte er in der Absicht, einen Unfall zu verursachen, um Selbstmord zu begehen und nahm billigend in Kauf, dass durch einen Zusammenstoß mit dem entgegenkommenden Pkw andere Verkehrsteilnehmer getötet oder schwer verletzt werden. Beim Zusammenstoß mit einem Pkw wurden drei der sechs Insassen getötet. Der BGH hat in beiden Entscheidungen hervorgehoben, dass das Mordmerkmal der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln auch dann erfülltsein kann, wenn ein Tötungsmittel eingesetzt wird, dass seiner Natur nach nicht gemeingefährlich ist, sofern das Mittel in der konkreten Tatsituation eine Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährden kann, weil der Täter die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat. Das ist nach Ansicht des BGH anzunehmen, wenn der Täter es nicht in der Hand hat, wie viele Menschen als Repräsentanten der Allgemeinheit in den von ihm geschaffenen Gefahrenbereich geraten und durch sein Verhalten gefährdet werden können.[119] Lässt es der Unfallverlauf jedoch als möglich erscheinen, dass trotz des eingetretenen Kontrollverlustes über das Fahrzeug eine abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer von vornherein ausgeschlossen war, weil sich das Unfallereignis nur außerhalb des Gefahrenbereichs Dritter zugetragen hat, so kommt eine Verurteilung wegen Mordes nicht in Betracht. Hierzu hat der Tatrichter im Urteil nähere Feststellungen zu treffen.[120] Bei Angriffen auf mehrere Menschen kann Tateinheit vorliegen[121] – es kommt bei der Konkurrenzbetrachtung freilich auf die Einzelfallumstände an.
[1]
Eindringlich hierzu: Cierniak Fahrlässige Körperverletzung und Tötung im Straßenverkehr als Straftat?, SVR 2012, 127 ff. Einen kurzen Überblick über Regelungen der Problematik in anderen Ländern: Neidhart Straffreie fahrlässige Tötung im Straßenverkehr?, SVR 2012, 200.
[2]
Instruktiv auch Widmaier Gerechtigkeit – Aufgabe von Justiz und Medien?, NJW 2004, 399 ff.
[3]
AG Rosenheim Urt. v. 28.10.2002, NStZ 2003, 318 ff.; dazu Kretschmer Unfallflucht nach Anfahren eines Toten?, NZV 2004, 496 ff.
[4]
Dazu Hartmann Der Tod am Volant, DZgerichtlMed. 57 (1966), 357 und Berliner Morgenpost vom 9.10.2004, S. 15, zu einem tragischen Verkehrsunfall, bei dem ein 64-jähriger Fahrzeugführer nach einem Herzinfarkt ungebremst in einen Terminal des Flughafens Berlin-Tegel fuhr.
[5]
Zur Unfallrekonstruktion in solchen Fällen: Becke Die Ermittlungslücke VRR 2011, 18.
[6]
Fischer StGB Vor § 13 Rn. 33 m.w.N.; OLG Celle Urt. v. 25.4.2012 – 31 Ss 7/12.
[7]
OLG Karlsruhe Urt. v. 19.10.1989, NZV 1990, 199.
[8]
Schönke/Schröder/ Sternberg-Lieben/Schuster StGB, § 15 Rn. 149.
[9]
Vgl. Fischer StGB, § 222 Rn. 14 m.w.N.
[10]
Dazu aus verkehrstechnischer Sicht Oxenfarth Unfallursache: Nicht angepasste Geschwindigkeit, VRR 2007, 17.
[11]
OLG Hamm Urt. v. 7.3.1978, VRS 55, 351; OLG Koblenz Urt. v. 23.8.1979, VRS 58, 27.
[12]
Vgl. z.B. BGH Urt. v. 26.10.1999, NJW 2000, 1040.
[13]
OLG Stuttgart Beschl. v. 11.11.1991, NZV 1992, 196.
[14]
OLG Celle Urt. V. 17.7.1990, NZV 1990, 481.
[15]
BGH Urt. v. 9.4.1965, BGHSt 20, 215.
[16]
OLG Düsseldorf Urt. v. 28.12.1992, NZV 1993, 198 = VRS 84, 468.
[17]
OLG Düsseldorf Urt. v. 8.12.1992, NZV 1993, 158 = VRS 84, 442.
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