Bei Vorliegen dieser – nicht abschließend– aufgeführten gewichtigen Umstände wird grundsätzlich davon auszugehen sein, dass eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht auf völliges Unverständnis in der Bevölkerung stoßen und deren Rechtsgefühl und Rechtstreue ernstlich beeinträchtigt würde. Dies gilt umso mehr, wenn mehrereder relevanten Gesichtspunktein die erforderliche Gesamtwürdigung einfließen. Im Hinblick auf herausragend schwere Folgen für den Getöteten und seine nahen Angehörigen, eine das Maß der absoluten Fahruntüchtigkeit weit übersteigende Alkoholisierung des Angeklagten sowie seine aggressive Fahrweise in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Tat kann trotz zahlreicher mildernder Umstände die Wertung des Landgerichtes, besondere Umstände gem. § 56 Abs. 2 StGB bestünden nicht, vielmehr gebiete die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung der Freiheitsstrafe, § 56 Abs. 3 StGB, rechtsfehlerfrei sein.[83]
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Bei der Prüfung der Frage, ob für die Vollstreckung ein unabweisbares Bedürfnis besteht, d.h. eine Strafaussetzung zur Bewährung „auf völliges Unverständnis in der Bevölkerung stoßen und deren Rechtsgefühl und Rechtstreue ernstlich beeinträchtigen würde“,[84] ist die Berichterstattung der örtlichen (Boulevard-)Pressegrundsätzlich nicht zu berücksichtigen.[85] Maßgebend ist nämlich, wie das Urteil auf „Personen, denen es mit den Besonderheiten des Falles bekannt wird“, wirken muss.[86] Bei der Prüfung des § 56 Abs. 3 StGB ist mithin auf die Interessen einer – sachlich und umfassend informierten – Gesamtbevölkerung abzustellen.[87] Diesen Maßstab kann die zumeist schlagzeilenorientierte Berichterstattung der Lokalpresse, soweit sie auf tendenziell „gefilterten“ und insoweit lückenhaften Informationen beruht, nicht erfüllen. Das Gericht muss dies berücksichtigen und seine Prüfung an der gedanklichen Hypotheseeiner durch verantwortungsbewusste Medien vollständig und zutreffend unterrichteten Öffentlichkeitausrichten.[88] Das LG Karlsruhe hat in seiner Entscheidung zum Karlsruher Raser-Fall[89] deutlich hervorgehoben, dass die Stigmatisierung des Angeklagten durch eine außergewöhnlich aggressive Presseberichterstattung strafmilderndzu berücksichtigen ist.
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Praxishinweis
Da die Fälle der fahrlässigen Tötung im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss zumeist von einer tendenziösen (Vor-)Berichterstattung begleitet werden, muss die Verteidigung darauf vorbereitet sein, die einschlägigen Presseartikel formell in das Verfahren einzuführen, etwa durch entsprechende Anträge auf Verlesung.
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Eine Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59 ff. StGB) wird nur in seltensten Fällen vorkommen und vertretbar sein.[90]
112
Praxishinweis
Stellt der Verteidiger gleichwohl einen Antrag auf Verwarnung mit Strafvorbehalt, so muss sich das gleichwohl verurteilende Urteil dazu verhalten, warum eine Verwarnung mit Strafvorbehalt nicht ausreichte, § 267 Abs. 3 S. 4 StPO. Diese Vorschrift ist sehr revisionsträchtig, da sie gerne übersehen wird. Dann aber fehlen trotz Antrags Ausführungen zur Verwarnung mit Strafvorbehalt. Der Verteidiger muss dabei vor allem darauf achten, dass sein Antrag im Plädoyer auch tatsächlich so aufgenommen wird, wie er diesen gestellt hat.
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Bei Beamten, Richtern und Soldaten können auch Verkehrsstraftaten, wie etwa eine fahrlässige Tötung dienstrechtliche Folgen nach sich ziehen.[91]
3. Totschlag (§ 212 StGB) und Mord (§ 211 StGB)[92]
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Handelt der Täter in der Absicht, einen Unfall zu verursachen und nimmt er dabei billigend in Kauf, dass durch einen Zusammenstoß andere Verkehrsteilnehmer getötet werden, wird der Vorwurf grundsätzlich auf Totschlag (§ 212 StGB) lauten. Diese Fälle sind aber selten. Denn auf den erforderlichen (bedingten) Tötungsvorsatz kannnach der einschlägigen Rechtsprechung des BGH [93] nicht schon, sofern es sich nicht um ein äußerst gefährliches Tun handelt,[94] aus der Inkaufnahme einer Gefährdung geschlossen werden.[95]
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In rechtlicher Hinsicht ist nach ständiger Rechtsprechung bedingter Tötungsvorsatz gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement)und dies billigt oder sich um des erstrebten Ziels willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement).[96] Bewusste Fahrlässigkeitliegt dagegen vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten. [97] Ob der Täter nach diesen rechtlichen Maßstäben bedingt vorsätzlich gehandelt hat, ist in Bezug auf beide Elemente im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen.[98] Die Prüfung, ob Vorsatz oder (bewusste) Fahrlässigkeit vorliegt, erfordert insbesondere bei Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich ist, dass sich der Tatrichter mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und dessen psychische Verfassung bei der Tatbegehung, seine Motivation und die für das Tatgeschehen bedeutsamen Umstände – insbesondere die konkrete Angriffsweise – mit in Betracht zieht.[99] Dabei ist die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung wesentlicher Indikator sowohl für das Wissens- als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes.[100] Die Gefährlichkeit der Tathandlung und der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Erfolgseintritts sind jedoch keine allein maßgeblichen Kriterien für die Entscheidung, ob ein Angeklagter mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat; vielmehr kommt es auch bei in hohem Maße gefährlichen Handlungen auf die Umstände des Einzelfalls an.[101] Dabei hat der Tatrichter die im Einzelfall in Betracht kommenden, einen Vorsatz infrage stellenden Umstände in seine Erwägungen einzubeziehen. [102]
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Praxishinweis
Beide Elemente des Vorsatzes müssen durch tatsächliche Feststellungen belegtwerden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Tatumstände erfolgen. Die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ist dabei ein wesentlicher Indikator für das Vorliegen beider Elemente des bedingten Tötungsvorsatzes. Liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Täter die Gefahr des Eintritts eines tödlichen Erfolgs ausnahmsweise nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut hat, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten, ist der Tatrichter verpflichtet, sich hiermit auseinander zu setzen. Bezugspunkt der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes ist dabei die konkrete Tathandlung, die nach dem Vorstellungsbild des Täters den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges herbeiführen soll.[103]
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In Fällen einer naheliegenden Eigengefährdungdes Täters ist von folgenden Grundsätzen auszugehen: Zwar gibt es keine Regel, wonach es einem Tötungsvorsatz entgegensteht, dass mit der Vornahme einer fremdgefährdenden Handlung auch eine Eigengefährdung einhergeht.[104] Bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr, die nicht von vornherein auf die Verletzung einer anderen Person oder die Herbeiführung eines Unfalls angelegt sind, kann aber eine vom Täter als solche erkannte Eigengefährdung dafür sprechen, dass er auf einen guten Ausgang vertraut hat.[105] Dementsprechend muss sich der Tatrichter beim Vorliegen einer solchen Konstellation einzelfallbezogen damit auseinandersetzen, ob und in welchem Umfang aus Sicht des Täters aufgrund seines Verhaltens eine Gefahr (auch) für seine eigene körperliche Integrität drohte. Hierfür können sich wesentliche Indizien aus den objektiven Tatumständen ergeben, namentlich dem täterseitig genutzten Verkehrsmittel und den konkret drohenden Unfallszenarien. So kann es sich etwa unterschiedlich auf das Vorstellungsbild des Täters zu seiner Eigengefährdung auswirken, ob er sich selbst in einem Pkw oder auf einem Motorrad befindet und ob Kollisionen mit Fußgängern oder Radfahrern oder mit anderen Pkw oder gar Lkw drohen.[106]
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