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(4) Kausalität.Der so umrissene Deliktstatbestand – Schadenszufügung durch unerlaubtes, dem Täter als Verschulden zurechenbares Tun – skizziert das Grundgerüst der unerlaubten Handlung. Dabei ist schon unterstellt, dass die genannten Elemente ursächlich miteinander verknüpft sind (Ursächlichkeit, Kausalität). Die Ursächlichkeit des Handelns für die Rechtsverletzung oder den Schadenseintritt ist oft evident. In vielen Fällen bedarf es aber genauerer Prüfung, welche Verletzungs- und Schädigungsfolgen dem handelnden Menschen als von ihm verursacht zuzurechnen sind.
Der deliktische Schadensersatzanspruch setzt Ursächlichkeit in doppelter Hinsichtvoraus:
– |
das Verhalten des Anspruchsgegners muss ursächlich für die Rechtsgutverletzung gewesen sein ( haftungsbegründende Kausalität, zB der von X erzeugte Lärm ist ursächlich für gesundheitliche Störungen bei Y); |
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die Rechtsgutverletzung muss ursächlich für den geltend gemachten Schaden gewesen sein ( haftungsausfüllende Kausalität, zB infolge der gesundheitlichen Störungen bei Y ist eine ärztliche Behandlung nötig geworden, es sind folglich Kosten angefallen). |
Ursächlichim Sinne beider Kausalitätsverknüpfungen ist grundsätzlich jeder Umstand, der nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Diese sog. Äquivalenztheorie bildet auch im Zivilrecht den Ausgangspunkt. Doch sondert man in einem zweiten Schritt (besonders bei der haftungsausfüllenden Kausalität) diejenigen Ursachen aus, die nur unter ganz außergewöhnlichen, nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen zur Bedingung des Erfolges wurden (Adäquanztheorie, str.).
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(5) Weitere Normelemente.Über die unter (1) – (4) genannten hinaus gibt es weitere allgemeine Normelemente, welche die Voraussetzung eines Deliktsanspruchs näher eingrenzen.
(a) Die Lehre vom Schutzbereich (Schutzzweck) der Normversucht, die deliktische Haftung in sinnvollen Grenzen zu halten. Eine missbilligte schädigende Handlung löst nur dann die Schadensersatzpflicht aus, wenn die verletzte Norm das beeinträchtigte Recht oder Schutzinteresse gerade vor dieser Art von Verletzung und dieser Art von Schädigung schützen will. Diese Lehre spielt eine besonders wichtige Rolle beim Tatbestand des § 823 II, gilt aber für das Deliktsrecht allgemein.
(b) Mit Hilfe der Begriffe „unmittelbar Geschädigter – mittelbar Geschädigter“wird der Kreis der schadensersatzberechtigten Personen näher umschrieben. Bei Verletzung eines absoluten Rechts (§ 823 I) ist grundsätzlich nur der „unmittelbar Geschädigte“, dh derjenige, dessen Recht verletzt wurde, zum Schadensersatz berechtigt. Andere Personen, die nicht in ihrem Recht verletzt, aber in ihrem Vermögen geschädigt sind („mittelbar Geschädigte“), können nur in gesetzlich bestimmten Ausnahmefällen aus dem Verletzungsereignis Schadensersatzansprüche für sich ableiten (zB in den Fällen der §§ 844, 845). Entsprechendes gilt bei § 823 II: „Unmittelbar Geschädigter“ ist hier derjenige, den das verletzte Gesetz schützen will.
(c) Probleme ergeben sich, wenn der Schaden durch unerlaubte Handlungen mehrerer Personenverursacht ist (siehe die Regelungen des § 830).
(d) Besonders brisant ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen jemand für das Verhalten eines anderendeliktisch einstehen muss (§§ 831, 832, dazu unten Rn 906 ff).
(e) Es kann sein, dass ein Schaden zwar auf eine unerlaubte Handlung eines Dritten zurückzuführen ist, dass der Verletzte aber selbst an der Entstehung des Schadens durch sein Verhalten mitgewirkt hat („Mitverschulden“). Dann ergibt sich die Frage, inwieweit dieser Umstand die Haftung des Dritten mindert oder ausschließt (siehe die Regelung des § 254).
3. Die Anspruchsvoraussetzungen bei § 823 I
a) Der Deliktsaufbau; die Widerrechtlichkeit insbesondere
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Gliedert man den Deliktstatbestand des § 823 I in seine Normelemente auf, so kann man zu folgendem Schema gelangen:
A ist dem B zum Schadensersatz verpflichtet, wenn
1. |
A den B geschädigt hat, indem er |
2. |
ein absolutes Recht des B verletzt hat (Verletzungshandlung – haftungsbegründende Kausalität – Verletzungserfolg), |
3. |
wenn ferner diese Verletzung widerrechtlich geschah |
4. |
und von A verschuldet ist. Das ist der Fall, wenn A a) vorsätzlich oder fahrlässig handelte b) außer wenn ihm im Zeitpunkt der Handlung ausnahmsweise die nötige Verantwortlichkeit (Verschuldensfähigkeit) fehlte (§§ 827, 828, beachte aber § 829). |
Rechtsfolge: Verpflichtung des A zum Ersatz des dem B durch die Verletzung (haftungsausfüllende Kausalität) entstandenen Schadens.
Dieser Aufbau des Deliktstatbestandes, bei dem die Elemente „Rechtsverletzung“, „Widerrechtlichkeit“ und „Verschulden“ säuberlich voneinander getrennt sind, entspricht der herkömmlichen Lehre. Er ist zur Vermeidung unnötiger Komplikationen für die Klausurtechnik durchaus zu empfehlen. Doch entspricht dieser Aufbau nicht der Einsicht in die inneren Zusammenhänge.
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Angelpunkt des Deutungsstreits ist das Merkmal „Widerrechtlichkeit“, das sich nach traditioneller Lehre auf den Verletzungserfolg bezieht (Lehre vom Erfolgsunrecht). Danach wird nicht die Handlung des Schädigers als unerlaubt gewertet, sondern die von ihm herbeigeführte Beeinträchtigung des deliktisch geschützten Rechts. Gewertet wird also nicht der Steinwurf, sondern der durch ihn herbeigeführte Bruch der Fensterscheibe. Folgerichtig trägt nach der hM der Verletzungserfolg bereits das Unwerturteil in sich: Die Beeinträchtigung eines absoluten Rechts ist also in der Regel auch widerrechtlich ; der Tatbestand indiziert die Rechtswidrigkeit. Die Widerrechtlichkeit entfällt nur ausnahmsweise bei Vorliegen bestimmter Rechtfertigungsgründe (zB Einwilligung des Verletzten, Notwehr, § 227; Notstand, §§ 228, 904; Selbsthilfe, § 229). „Widerrechtlich“ ist also nach überkommener Lehre gleichbedeutend mit dem Fehlen von Rechtfertigungsgründen.
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Dass man diese Deutung mit Grund bezweifeln kann, zeigt Fall 9( Rn 265): Der Radfahrer hat die körperliche Unversehrtheit des Kindes verletzt, obwohl er alle denkbaren Anstrengungen unternommen hat, die Verletzung zu vermeiden. Einer der gesetzlichen Rechtfertigungsgründe (Notwehr etc) steht dem Radfahrer nicht zur Seite. Sollen wir also sagen, er habe das Kind rechtswidrig verletzt, obwohl er zur Vermeidung dieses Erfolges alle zumutbaren Anstrengungen unternommen hat?
Dies bejaht die oben beschriebene Lehre vom Erfolgsunrecht. Ihr steht die Doktrin vom Handlungsunrechtgegenüber. Diese bezieht das Merkmal „widerrechtlich“ nicht isoliert auf den Verletzungserfolg, sondern auf die zum Verletzungserfolg führende Handlung . Das bedeutet: Erst die Pflichtwidrigkeit des Handelns begründet das Unwerturteil. Da aber derjenige nicht pflichtwidrig handelt, der zwar ein absolutes Recht beeinträchtigt, gleichwohl aber alles getan hat, um diesen Erfolg zu vermeiden, folgt wiederum: Eine Rechtsverletzung, die weder vorsätzlich noch fahrlässig geschah, ist auch nicht widerrechtlich .
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Näher betrachtet geschieht die Wertung der Handlung als „widerrechtlich“ für das vorsätzliche und für das unvorsätzliche Verletzungshandelnin unterschiedlicher Weise. Die vorsätzliche Beeinträchtigung eines Rechts ist in der Regel pflichtwidrig (widerrechtlich), weil es im gesellschaftlichen Kontakt generell nicht erlaubt ist, in die geschützten Interessen eines anderen gewollt einzugreifen: Hier bedarf es eines besonderen Rechtfertigungsgrundes, um die Rechtmäßigkeit der Handlung ausnahmsweise zu begründen. Die unvorsätzliche Beeinträchtigung eines Rechts ist hingegen nur dann widerrechtlich, wenn sie fahrlässig im Sinne des § 276 II, dh entgegen einem im sozialen Kontakt auferlegten Sorgfaltsgebot geschieht; hier gibt es keine Vermutung für die Widerrechtlichkeit; die Rechtfertigungsgründe sind für vorsätzliche Delikte konzipiert.
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