d) Öffentlichkeits- und Interessentenbeteiligung
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Zur Demokratisierung der Verwaltung und zur Optimierung ihrer Steuerung gehört schließlich der Ausbau von Öffentlichkeits- und Interessentenbeteiligungen. Dies fördert die Transparenz der Verwaltung, intensiviert ihre Kontrolle und sichert damit auch die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Partizipationsmöglichkeiten dieser Art für Bürger, Bürgerinitiativen, Nichtregierungsorganisationen u.a.[297] gibt es – häufig auf unionsrechtlicher, teilweise aber auch auf verfassungsrechtlicher[298] Grundlage – vor allem im Umwelt-, Planungs- und Regulierungsrecht.[299] Sie beziehen sich teilweise auf das Verfahren zum Erlass von Gesetzen, Rechtsverordnungen und Satzungen oder abstrakt-generelle Maßnahmen der Regulierungsbehörden,[300] überwiegend aber auch auf konkrete Vorhaben- und Fachplanungen.
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Unter dem Stichwort des New Public Management haben seit den 1980er-Jahren der Unternehmensführung entlehnte Steuerungsinstrumente Einzug in die Verwaltung gehalten, weil man sich von ihnen – dem auf Ökonomisierung aller Lebensbereiche drängenden Zeitgeist entsprechend – eine effektivere und vor allem kostengünstigere Erledigung der Verwaltungsaufgaben versprach.[301] Zu diesen Steuerungsinstrumenten zählen entsprechend dem „ principal-agent-Konzept “ etwa die Budgetierung , die Zusammenführung von Fach- und Ressourcenverantwortung, Zielvereinbarungen oder ein Verwaltungscontrolling , das ganz oder teilweise an die Stelle der überkommenen Aufsicht tritt.[302]
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In Deutschland wurde vor diesem Hintergrund das sogenannte Neue Steuerungsmodell entwickelt, das insbesondere im kommunalen und universitären Bereich zum Einsatz gelangt, und vor allem eine stärkere „Kundenorientierung“ der Verwaltung zum Ziel hat.[303] Das Modell setzt freilich ein gewisses Maß an Unabhängigkeit der zu steuernden Einheiten voraus. In der unmittelbaren Staatsverwaltung steht es daher in einem Spannungsverhältnis zu den Erfordernissen des parlamentarischen Regierungssystems, das unter den Bedingungen der modernen Mediendemokratie kurzfristige Handlungsmöglichkeiten der Regierung verlangt. Breitere Verwendung findet es gegenüber mit Autonomie ausgestatteten Verwaltungsträgern, wobei stets das Risiko besteht, dass die Autonomie durch derartige Steuerungsinstrumente unterlaufen wird.
5. Einflussknicks und Kompensationen
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Die parlamentarisch-demokratische Steuerung der Verwaltung erodiert. Das liegt zum einen an der parteipolitischen Überformung des verfassungsrechtlichen Institutionengefüges und dem mit ihr verbundenen Dualismus von Regierung und Opposition, der die Kontrollfunktionen des Parlaments gegenüber der Regierung relativiert und im Wesentlichen auf die Opposition begrenzt;[304] es liegt aber auch an der Diversifizierung der Verwaltungsorganisation durch Dezentralisierung und Privatisierung[305] sowie in gewissem Umfang am Bedeutungszuwachs des Verwaltungsvertrages, der die bürokratische, d.h. hierarchische Steuerung der Verwaltung erschwert.[306] Darüber hinaus ermöglicht die Einbindung der nationalen Verwaltungen in den europäischen Verwaltungsverbund nicht nur Interventionen der Europäischen Kommission und anderer Stellen in konkrete Verwaltungsverfahren, was die Steuerung der Verwaltung durch Regierung und Parlament zusätzlich erschwert; mit dem unionsrechtlich induzierten Ausbau unabhängiger Behörden schafft die Europäische Union auch immer mehr Bereiche, die sich dieser Steuerung von vornherein entziehen. Das läuft verfassungsrechtlichen Vorgaben vielfach zuwider, sei es, dass man darin Einflussknicks sieht, die das demokratische Legitimationsniveau der Verwaltung senken, sei es, dass es an der Verfügungsgewalt der Regierung über die Verwaltung rührt (Art. 20 Abs. 1 Satz 2 CF).
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Das Bedürfnis, die demokratische Rückbindung der Verwaltung sicherzustellen, gilt heute aber in besonderem Maße für die Europäische Union selbst. Konzepte demokratischer Legitimation und Kontrolle, die in den 1950er-Jahren noch selbstverständlich waren,[307] sind beim rasanten Ausbau der unionalen Eigenverwaltung in den letzten Jahren zunehmend in Vergessenheit geraten. Das zeigen die wenig konzise Ausgestaltung der Agenturen ebenso wie das Ringen um die europäische Bankenaufsicht.
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Auch wenn der Verlust an demokratischer Steuerungsmöglichkeit der Verwaltung in der Regel nur zurückhaltend als konkretes rechtliches Problem formuliert wird, so sind die Instrumente zur parlamentarischen Kontrolle von Regierung und Verwaltung in den vergangenen 20 Jahren doch nach und nach ausgebaut worden. Das gilt nicht nur mit Blick auf die Angelegenheiten der europäischen Integration, die in ganz Europa zur Einrichtung von mit besonderen Befugnissen ausgestatten Ausschüssen geführt hat,[308] sondern auch für die Figur der – insoweit multifunktionalen – Ombudsmänner und sonstigen Beauftragten[309] und Einrichtungen.[310] Weitere Kompensationsmöglichkeiten werden in einem verstärkten Ausbau von Transparenz und Partizipation in der Verwaltung gesehen,[311] in Kreationsbefugnissen des Parlaments bei der Besetzung von Verwaltungspositionen,[312] in der Entsendung von Parlamentariern in Gremien unabhängiger Verwaltungsbehörden[313] sowie in zusätzlichen Berichtspflichten der Verwaltung gegenüber dem Parlament.
Einführung› § 73 Grundzüge des Verwaltungsrechts in Europa – Problemaufriss und Synthese› VII. Verwaltungsrecht und Rechtsschutz
VII. Verwaltungsrecht und Rechtsschutz
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Art, Umfang und Ausgestaltung des Rechtsschutzes gegenüber dem Verwaltungshandeln sind für das Verwaltungsrecht schlechthin konstituierend. Nicht nur hängen Stellung und Aktionsradius der Verwaltung gegenüber der Dritten Gewalt entscheidend von der Ausgestaltung des Rechtsschutzes ab. Ohne die Dialektik zwischen Verwaltungshandeln und gerichtlicher Verwaltungskontrolle wäre die Ausbildung des modernen Verwaltungsrechts gar nicht möglich gewesen.[314] Wesentliche Weichenstellungen bilden dabei die Gewährung von Rechtsschutz durch die allgemeinen Gerichte oder eine spezialisierte Verwaltungsgerichtsbarkeit (dazu unter 1.) sowie die Entscheidung, ob die gerichtliche Kontrolle der Verwaltung als objektive Rechtmäßigkeitskontrolle oder als Instrument zur Durchsetzung subjektiver öffentlicher Rechte der Bürger gegenüber dem Staat und seiner Verwaltung konzipiert ist (dazu unter 2.). Vor diesem Hintergrund haben sich nicht nur unterschiedliche Formen der gerichtlichen Kontrolle und Kontrolldichte herausgebildet (dazu unter 3.), sondern auch Instrumente zu ihrer Substitution (dazu unter 4.). Ein wesentlicher Aspekt ist in diesem Zusammenhang die Vollstreckung (dazu unter 5.). Schließlich sieht sich auch die nationale Ausgestaltung des Rechtsschutzes gegen die Verwaltung Europäisierungserfordernissen ausgesetzt (dazu unter 6.).
1. Allgemeine Gerichtsbarkeit oder spezialisierte Verwaltungsgerichtsbarkeit
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Von Beginn des modernen Verwaltungsrechts Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts an wird darüber gestritten, ob die Kontrolle der Verwaltung im Interesse der Bürger (Untertanen, administrés etc.) den allgemeinen – ordentlichen – Gerichten obliegen oder durch eine in der Verwaltung selbst angesiedelte spezialisierte Verwaltungsgerichtsbarkeit erfolgen soll. Die Unterwerfung der Verwaltung unter die allgemeine und damit von der Exekutive unabhängige Gerichtsbarkeit gehörte zu den liberalen Forderungen der französischen Revolution von 1789 wie auch der Revolution von 1848. In Deutschland fand sie als eine der zentralen Forderungen der Märzrevolution Eingang in § 182 der Paulskirchenverfassung von 1849, der bestimmte: „Die Verwaltungsrechtspflege hört auf; über alle Rechtsverletzungen entscheiden die Gerichte“.
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