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Jenseits der Rechtsetzung[201] bilden der Verwaltungsakt (dazu unter 1.), der Verwaltungsvertrag (dazu unter 2.), Pläne (dazu unter 3.) und das informale Verwaltungshandeln (dazu unter 4.) die wichtigsten Handlungsformen der Verwaltung. Sie sind jeweils eingebettet in ein mehr oder weniger detailliert ausgestaltetes Verwaltungsverfahren (dazu unter 5.).
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Prototyp verwaltungsrechtlicher Handlungsformen ist der Verwaltungsakt ( acte administratif , διοικητικί πράξη , atto amministrativo , Bescheid, Verfügung). Als klassisches Instrument des Verwaltungshandelns steht er für die Befugnis der öffentlichen Verwaltung, Rechte und Pflichten der Bürger durch einseitige Entscheidungen begründen, modifizieren und aufheben zu können.[202] Er kann an eine Einzelperson gerichtet sein ( Verwaltungsakt , acte individuel ) oder an einen bestimmten Personenkreis ( Allgemeinverfügung , acte collectif ). Während die deutsche, aber auch die schweizerische Verwaltungsrechtsordnung unter Verwaltungsakten bzw. Verfügungen allein konkret-individuelle bzw. konkret-generelle Regelungen verstehen, wird der Begriff in anderen Verwaltungsrechtsordnungen weiter verstanden. Teilweise werden dort auch normative Akte wie Rechtsverordnungen und Satzungen unter den Begriff des Verwaltungsakts gefasst.[203]
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Der Verwaltungsakt ist sinnfälliger Ausdruck der – im Vergleich zu den anderen Beteiligten an einem Verwaltungsrechtsverhältnis – überlegenen Rechtsmacht der öffentlichen Verwaltung. Vorbehaltlich einer möglichen Aufhebung entfaltet er Tatbestandswirkung ( privilège préalable [204]), d.h. er begründet, modifiziert oder beseitigt Rechte und Pflichten der Beteiligten. Dies gilt bis zu seiner Aufhebung durch die Verwaltung[205] oder die (Verwaltungs-)Gerichte in der Regel auch dann, wenn der Verwaltungsakt rechtswidrig ist.[206]
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Der Verwaltungsakt ist typischerweise Grundlage der Verwaltungsvollstreckung,[207] auch wenn die Vollstreckung selbst nur in wenigen Ländern in der Hand der Verwaltung selbst liegt.[208]
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Auch wenn in den vergangenen Jahren andere Handlungsformen der Verwaltung an Bedeutung gewonnen haben und der Verwaltungsakt insoweit ein wenig von seiner konzeptionellen Bedeutung eingebüßt hat, so bleibt er schon aus Gründen der Praktikabilität die mit Abstand wichtigste Handlungsform. Das gilt für die Massenverwaltung des Steuer- oder Sozialrechts ebenso wie für die Bewältigung multipolarer Verwaltungsrechtsverhältnisse mit häufig sehr vielfältigen oder disparaten Interessenlagen, etwa im Fachplanungsrecht.
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Vor diesem Hintergrund muss es verwundern, dass das Unionsrecht seinen „Verwaltungsakt“, die Entscheidung, mit dem Vertrag von Lissabon aus der Reihe der primärrechtlich verankerten Handlungsformen gestrichen und durch das diffuse Instrument des Beschlusses ersetzt hat (Art. 288 Abs. 4 AEUV).
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Im Gefolge von Ökonomisierung, Privatisierung, De- und Reregulierung hat seit Beginn der 1990er-Jahre das konsensuale Handeln der Verwaltung erheblich an Bedeutung gewonnen. In Frankreich spricht man insoweit von einer „ contractualisation du droit administratif “,[209] die für ein neues, partnerschaftliches Zusammenwirken von Staat und Bürger stehen soll, letzteren aus der Unterordnung unter die Verwaltung befreit und Ausdruck einer neuen Art der Verwaltungssteuerung ist, der gouvernance .[210] Unstreitig gehört der Verwaltungsvertrag heute jedenfalls zur Normalität des Verwaltungshandelns in ganz Europa.[211]
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Im Detail bestehen hier allerdings erhebliche Unterschiede. Das beginnt schon bei der Frage, ob es für den Abschluss eines Verwaltungsvertrags, wie in Griechenland oder Österreich, einer speziellen gesetzlichen Ermächtigung bedarf,[212] setzt sich bei der Unterscheidung zwischen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Verwaltungsverträgen fort, für die in den Verwaltungsrechtsordnungen des Common Law naturgemäß kein Raum ist, und mündet in dem Problem, ob der Verwaltung eine sogenannte Formenwahlfreiheit zusteht, ob sie sich also privatrechtlicher Verträge überhaupt bedienen darf. Schließlich findet sich vor allem in den romanischen Verwaltungsrechtsordnungen wie auch im Unionsrecht[213] die an die deutsche Zwei-Stufen-Lehre erinnernde Konstruktion, nach der dem Abschluss eines Verwaltungsvertrags ein Verwaltungsakt vorausgehen muss, der über die Begründung des Rechtsverhältnisses entscheidet, während der Verwaltungsvertrag dieses dann näher ausgestaltet.[214]
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Verwaltungsverträge bedürfen grundsätzlich der Schriftform.[215]
a) Öffentlich-rechtliche Verträge
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Weitgehende Übereinstimmung besteht insoweit, als öffentlich-rechtliche Verträge einem besonderen Regime unterliegen, das der Gemeinwohlverpflichtung der Verwaltung Rechnung tragen soll und besondere Privilegien und Verpflichtungen beinhaltet.[216] Öffentlich-rechtliche Verträge sind aus der Sicht der Verwaltung rechtlich gebundenes Handeln und nicht Ausdruck von Privatautonomie. Da sie jedoch die Gleichordnung von Verwaltung und Bürger zum Ausdruck bringen und deren Rechte tendenziell weniger stark beeinträchtigen als einseitige Verwaltungsakte, werden sie vielfach als einer modernen Verwaltung besonders angemessen erachtet.
b) Privatrechtliche Verträge
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Wo die Verwaltung – wie in Deutschland, Polen oder der Schweiz – über die Wahl der Handlungsform grundsätzlich frei entscheiden kann, steht ihr auch ein privatrechtlicher Verwaltungsvertrag zur Verfügung.[217] Die Abgrenzung zu den öffentlich-rechtlichen Verwaltungsverträgen richtet sich dann nach dem Vertragsgegenstand[218] oder danach, ob das zugrunde liegende Rechtsverhältnis durch öffentlich-rechtliche Rechte und Pflichten geprägt wird.
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Dass die Einordnung einzelner Vertragstypen vor diesem Hintergrund uneinheitlich ausfällt, zeigt insbesondere ein Blick auf das Vergaberecht. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts werden Verträge über die öffentliche Auftragsvergabe in Frankreich, aber auch in Griechenland, Italien, Portugal oder Spanien ausdifferenzierten Regelungen unterworfen, die insbesondere der Korruptionsvermeidung dienen sollen. Sie werden hier mitunter geradezu als Prototyp eines öffentlich-rechtlichen Vertrags eingestuft.[219] Das hatte maßgeblichen Einfluss auf die unionsrechtliche Ausgestaltung des Vergaberechts.[220]
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In Deutschland wird das Vergaberecht nach wie vor dem Privatrecht zugeordnet und seine öffentlich-rechtliche Überformung nur widerwillig akzeptiert.[221] Erst nach jahrzehntelangen Debatten hat der Gesetzgeber hier die Oberlandesgerichte für die gerichtliche Überprüfung von Auftragsvergaben oberhalb der sogenannten Schwellenwerte für zuständig erklärt (§§ 97ff. GWB).[222]
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Die Planung als Staatsaufgabe und mit ihr der Plan haben eine wechselvolle Entwicklung erlebt. Einer ersten Planungseuphorie in den 1960er- und 1970er-Jahren, die vor allem im Bau- und Raumplanungsrecht zur Entfaltung eines ganzen Referenzgebiets geführt hat,[223] war eine lang andauernde Ernüchterung gefolgt. In jüngerer Zeit erlebt die Planung im Finanz- und Umweltrecht eine – unionsrechtlich induzierte[224] – Renaissance.
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„Plan“ ist in der Regel keine fest konturierte Handlungsform der Verwaltung, sondern ein Sammelbegriff für final strukturierte Entscheidungen (nicht nur) der Verwaltung, die in ganz unterschiedlichen Rechtsformen ergehen können. Kennzeichen eines Plans ist ein erheblicher, auch Planungsermessen [225] genannter Gestaltungsspielraum, der nur einer eingeschränkten Kontrolle unterliegt.
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