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Aufgabe der kommunalen Gebietskörperschaften ist es, die ihnen durch Verfassung und/oder Gesetz zugewiesenen Aufgaben zu erledigen. Das sind bei Städten und Gemeinden in erster Linie eigene Angelegenheiten bzw. Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG; Art. 102 Abs. 1 Verf. Griechenland, Art. 116 Abs. 1 B-VG) sowie gesetzlich zugewiesene – sogenannte übertragene – Angelegenheiten. Kommunalen Gebietskörperschaften höherer Ebene (Landkreise, Regionen) verfügen meist nur über einen gesetzlich zugewiesenen Aufgabenbestand.
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Die Gebietskörperschaften verfügen auch über die Befugnis zur Rechtsetzung durch Satzungen und Rechtsverordnungen . Diese wird ihnen teils unmittelbar durch die Verfassung, teils durch Gesetz verliehen.[122] Der Vollzug dieses selbst gesetzten Rechts ist ebenso Aufgabe der Gebietskörperschaften wie die Erledigung staatlich zugewiesener Vollzugsaufgaben.
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Kommunale Gebietskörperschaften verfügen typischerweise über Vertretungsorgane, die aus periodisch durchzuführenden allgemeinen Wahlen hervorgehen und ähnlich wie Parlamente die grundlegenden Entscheidungen im Rahmen des jeweiligen Aufgabenspektrums treffen.[123] Daneben besitzen sie eine – teilweise direkt gewählte[124] – Verwaltungsspitze.[125]
bb) Funktionale Selbstverwaltung
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Neben den Gebietskörperschaften kennen die Verwaltungsrechtsordnungen Europas auch Personengruppen, denen durch Gesetz oder staatliche Privilegierung das Recht zur hoheitlichen Erledigung sie betreffender Verwaltungsaufgaben übertragen ist. Diese „Betroffenenverwaltung“ – mit Blick auf die mit dieser Konstruktion verbundene Autonomie auch funktionale Selbstverwaltung genannt[126] – erfolgt in erster Linie durch öffentlich-rechtliche (Personal-)Körperschaften wie Kammern, Universitäten oder Sozialversicherungsanstalten.[127]
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Daneben werden als Träger mittelbarer Staatsverwaltung auch rechtsfähige Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts mit Autonomie ausgestattet.[128]
d) Öffentliche Unternehmen
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Öffentliche Aufgaben werden in vielen Verwaltungsrechtsordnungen auch in den Formen des Privatrechts erledigt. Das geschieht meist mit Hilfe privatrechtlich organisierter Unternehmen, deren Anteile ganz dem Staat oder einem anderen Verwaltungsträger gehören (Eigengesellschaften) oder von diesen zumindest beherrscht werden (gemischt-wirtschaftliche Unternehmen).[129] Mitunter genießen die öffentlichen Unternehmen Sonderrechte und üben hoheitliche Gewalt aus. Verwaltungsrechtliche Probleme bereitet ihr Einsatz dann, wenn sich mit dem Wechsel der Organisationsform – wie in Griechenland[130] – auch die Rechte und Pflichten zwischen Verwaltung und Bürger ändern. In Deutschland wird dagegen schon seit den 1920er-Jahren vor einer „Flucht ins Privatrecht“[131] gewarnt. Hier dürfte die herrschende Meinung heute davon ausgehen, dass die Verwaltung mit der Wahl einer privatrechtlichen Organisationsform nicht auch ihre öffentlich-rechtlichen Bindungen abstreifen kann. Das gilt namentlich für ihre Bindung an die Grundrechte.[132]
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Schon immer hat sich die öffentliche Verwaltung zur Erledigung ihrer Aufgaben auch Privater bedient.[133] Waren Phänomene wie die Beleihung oder der Verwaltungshelfer früher jedoch eher Randerscheinungen des Verwaltungsrechts, so sind sie mit der Privatisierungswelle nach 1990 geradezu ins Zentrum des Verwaltungsorganisationsrechts gerückt. Auch die Öffentlich Private Partnerschaft ( Public Private Partnership ) wurde eine Zeit lang geradezu als Ideal einer modernen, private Ressourcen mobilisierenden Erledigung von Verwaltungsaufgaben betrachtet.[134] Mittlerweile scheint insoweit jedoch die Einsicht gewachsen, dass die Einbeziehung Privater auch ihren Preis hat. Dazu gehören neben höheren Kosten – privates Kapital muss sich amortisieren, Unternehmer müssen Gewinn machen – auch nicht gering zu achtende Steuerungsverluste der Verwaltung durch die Verantwortungsdiversifizierung.
f) Europäisierung der Verwaltungsorganisation und Europäischer Verwaltungsverbund
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Die Europäisierung wirkt bislang vor allem unter drei Gesichtspunkten auf die Verwaltungsorganisation der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein: durch punktuelle Privatisierungsimpulse, die Verpflichtung zur Bildung unabhängiger Behörden und die Einbindung der nationalen Verwaltung in einen Europäischen Verwaltungsverbund.
aa) Europäisierung der Verwaltungsorganisation
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Obwohl die Europäische Union keine Kompetenz zur Regelung des nationalen Verwaltungsorganisationsrechts besitzt, hat insbesondere die Anwendung des unionalen Wettbewerbsrechts auf öffentliche Unternehmen der Daseinsvorsorge (Art. 106 Abs. 1 AEUV) einen faktischen Privatisierungsdruck entfaltet. Das gilt namentlich in den Fällen, in denen die nationale Verwaltung ein ihr zugewiesenes (Dienstleistungs-)Monopol nicht wirksam ausfüllen kann. In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes wurde dies etwa für Teile der deutschen und italienischen Arbeitsverwaltung festgestellt.[135] Eine erheblich weiter reichende Überformung des nationalen Verwaltungsorganisationsrechts bedeutet hingegen die Schaffung des Einheitlichen Ansprechpartners auf der Grundlage von Art. 6 Richtlinie 2006/123/EG.[136]
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Noch gravierender ist, dass das Unionsrecht in einer Fülle von Bereichen – von den nationalen Zentralbanken über die Datenschutzbeauftragten bis zu den Regulierungsbehörden – die Unabhängigkeit der Behörden von den nationalen Regierungen vorschreibt. Weil deren Tätigkeit damit von Regierung und Parlament abgekoppelt wird, stellt dies einen problematischen Eingriff in die Verwaltungsorganisation der Mitgliedstaaten dar, der die demokratische Legitimation ihrer Verwaltung mindert und ihre Steuerung erschwert.[137]
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Erheblicher Anpassungsbedarf ergibt sich ferner aus der Einbindung der nationalen Verwaltungen in den Europäischen Verwaltungsverbund .[138] Dieser Verwaltungsverbund beschränkt sich freilich nicht allein auf die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, sondern umfasst von Fall zu Fall auch Drittstaaten. Dass dies unter dem Gesichtspunkt der demokratischen Legitimation Probleme aufwerfen kann, ist bislang kaum beachtet worden.
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Der Europäische Verwaltungsverbund ist gekennzeichnet durch eine vielfältige, mitunter informale, bereichsspezifische Zusammenarbeit von nationalen Verwaltungen, Europäischer Kommission, Agenturen oder sonstigen Stellen in Netzwerken . Er ermöglicht einerseits eine transnationale Problemlösung, zwingt andererseits aber auch zu einer Europäisierung der Amtshilfe.[139] Unter Steuerungs- wie Rechtsschutzgesichtspunkten wirft die Kooperation im Verwaltungsverbund allerdings eine Fülle von Fragen auf, die bislang nicht einmal ansatzweise beantwortet sind.[140]
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Vor dem Hintergrund des Hinzutretens einer zusätzlichen – europäischen – Verwaltungsebene stellt sich in einer Reihe von Verwaltungsrechtsordnungen die Frage, ob die Zahl der Ebenen nicht zu groß geworden ist. Bedenkt man, dass es die Bürger in Deutschland (Europäische Union, Bund, Länder, Kreise und Gemeinden), Frankreich (Europäische Union, Staat, Regionen, Departements und Gemeinden) und Italien (Europäische Union, Staat, Regionen, Provinzen und Gemeinden) mindestens mit fünf Verwaltungsebenen zu tun haben – Sonder- und Kooperationsformen sind dabei nicht berücksichtigt –, so kann es nicht überraschen, dass teilweise über die Beseitigung einer Verwaltungsebene nachgedacht wird.[141]
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