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Wenn die Steuerfahndung als „Steuerpolizei“ bezeichnet wird, kann man die Straf- und Bußgeldsachenstelle als „Steuerstaatsanwaltschaft“ kennzeichnen. Die Durchbrechung des Ermittlungsmonopols der Staatsanwaltschaft beruht auf der allgemein anerkannten Grundvorstellung, dass eine effektive Ahndung von Steuerdelikten ohne besondere Kenntnis des Steuerrechts fast ausgeschlossen ist und deshalb zu Fehlgriffen und Irrtümern bei der Strafverfolgung führen kann. Da die Beamten der Straf- und Bußgeldsachenstelle eine spezielle Steuerrechtsausbildung besitzen, lassen sich steuerrechtliche Problemfelder trotz verschiedener Rechtsauffassungen regelmäßig schnell eingrenzen. Bei Schwierigkeiten im Bereich der spezifisch strafrechtlichen Fragen kann vielfach ein zusätzliches Gespräch mit dem Sachgebietsleiter als Juristen nützlich sein.
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Die Tätigkeit der Finanzbehörde bei der Ermittlung von Steuerstraftaten unterliegt nach § 385 Abs. 1 AO i.V.m. § 152 StPO dem Legalitätsprinzip. Dies bedeutet, dass die Finanzbehörde wegen der in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden Steuerstraftaten ausnahmslos zum Einschreiten gesetzlich verpflichtet ist, dieses also nicht von ihrem Ermessen oder gar Belieben abhängt. Keine Geltung hat das Legalitätsprinzip, soweit es sich um die Ermittlung von Steuerordnungswidrigkeiten handelt; ihre Verfolgung liegt nach § 47 OWiG im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde.
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Von der Gesetzeslage her ist die Strafsachenstelle Herrin des Ermittlungsverfahrens. Sie kann damit der Steuerfahndungsstelle Anweisungen über Art und Umfang eventueller Ermittlungen erteilen, soweit diese Steuerstraftaten betreffen. Sie ist somit in der vergleichbaren Position, wie dies im Verhältnis Staatsanwaltschaft – Polizei der Fall ist. Die Praxis hat diese Hierarchiestellung in weiten Teilen jedoch nicht übernommen. In der Regel dominiert im Ermittlungsverfahren die Steuerfahndung, d.h. sie bestimmt, wann ein Strafverfahren aufgegriffen wird, welche Maßnahmen getroffen werden u.Ä. Die Einflussnahme der Strafsachenstelle beschränkt sich auf Maßnahmen mehr formeller Art wie die Beantragung von Beschlüssen aufgrund von Entwürfen der Steuerfahndung, Entscheidung über das Akteneinsichtsrecht und die Abgabe an die Staatsanwaltschaft. Die Parallelen zum allgemeinen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren sind unverkennbar. Die einzige tatsächlich wichtige verfahrenslenkende Maßnahme neben der Feststellung des Abschlusses der Ermittlungen nach § 169a StPO, der Ermittlung der subjektiven Tatseite und etwaiger strafrechtlicher Verfolgungshindernisse, wie Strafklageverbrauch, Verjährung oder Wirksamkeit einer Selbstanzeige ist die Entscheidung über die Art des Verfahrensabschlusses.
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Die Ermittlungsherrschaft der Finanzbehörde und die Ausnahmen hiervon regelt § 386 Abs. 2–4 AO. Danach führt die Finanzbehörde das Ermittlungsverfahren in den Grenzen des § 399 Abs. 1 und der §§ 400, 401 AO selbstständig durch, wenn
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die Tat ausschließlich eine Steuerstraftat[57] darstellt (§ 386 Abs. 2 Nr. 1 AO), |
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eine Steuerstraftat mit einem Verstoß gegen Kirchensteuergesetze[58] oder gegen Abgabenvorschriften verbunden ist, die im öffentlichen Recht an Besteuerungsgrundlagen (§ 199 Abs. 1 AO), Steuermessbeträge (§ 184 AO) oder Steuerbeträge anknüpfen[59] (§ 386 Abs. 2 Nr. 2 AO). Die Tat ist hierbei im prozessualen Sinn des § 264 StPO zu verstehen.[60] |
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Umfasst der zu ermittelnde Sachverhalt, also die Tat im Sinne des § 264 StPO, auch die Ermittlung von anderen – nichtsteuerlichen – Straftatbeständen[61] ist die Finanzbehörde nach dem Wortlaut des § 386 Abs. 2 AO gezwungen, das Ermittlungsverfahren auf die Staatsanwaltschaft überzuleiten. Nicht eindeutig geklärt ist, zu welchem Zeitpunkt, also bei welchem Stand der Ermittlungen, die Abgabe an die Staatsanwaltschaft erfolgen soll. In der Praxis wird die Finanzbehörde ihre Entscheidung mit der Staatsanwaltschaft abstimmen,[62] so dass sich hier kaum Probleme ergeben.
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Nach § 386 Abs. 3 AO entfällt die Zuständigkeit der Straf- und Bußgeldsachenstelle unabhängig vom Gegenstand des Ermittlungsverfahrens, wenn gegen den Beschuldigten wegen der Tat i.S.d. § 264 StPO ein Haft- oder Unterbringungsbefehl erlassen wird. Bei mehreren Beschuldigten genügt ein Haft- oder Unterbringungsbefehl gegen einen von ihnen[63] Wird der Haft- oder Unterbringungsbefehl vom Gericht nach § 128 Abs. 2 StPO abgelehnt, so bleibt die Ermittlungsbefugnis der Finanzbehörde erhalten. Wird der Haft- oder Unterbringungsbefehl erlassen, so ist dessen weiteres Schicksal für die Frage der Ermittlungskompetenz unerheblich. Das Gesetz lässt den Wechsel der Zuständigkeit von den Finanzbehörden zur Staatsanwaltschaft mit dem Erlass des Haft- oder Unterbringungsbefehls eintreten, ohne dem Fortbestand der einmal erlassenen Entscheidung eine Bedeutung für die Frage der Kompetenzabgrenzung beizulegen.[64]
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Schließlich kann die Finanzbehörde gem. § 386 Abs. 4 AO die Strafsache jederzeit an die Staatsanwaltschaft abgeben. Gründe für die Abgabekönnen sein:[65]
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eine Maßnahme der Telekommunikationsüberwachung beantragt werden soll, |
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Interesse an der Klärung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, |
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personeller oder sachlicher Sachzusammenhang mit einem der bei der Staatsanwaltschaft bereits anhängigen Verfahren, |
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Vorwürfe gegen Angehörige der Finanzverwaltung oder Personen von öffentlichem Interesse, |
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besondere Probleme allgemeiner strafrechtlicher oder strafprozessualer Art (z.B. Irrtumsfragen, schwierige Täter- und Teilnehmerprobleme, zusätzliche Nichtsteuerdelikte), |
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Umfang und Bedeutung der Steuerstraftat (z.B. große Wirtschaftsstrafsachen, besonders schwerer Fall § 370 Abs. 3 AO), |
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zu erwartende Freiheitsstrafe von mehr als 1 Jahr bzw. ohne Bewährung, Fälle der Untersuchungshaft. |
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Auch hier ist das Steuergeheimnis zu beachten. Verdachtsgründe über Straftaten nichtsteuerlicher Art, von denen die Finanzbehörde Kenntnis erlangt, dürfen der Staatsanwaltschaft nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 Nr. 4 und Abs. 5 AO mitgeteilt werden.[66] Ein Rechtsweg gegen die Abgabe der Sache an die Staatsanwaltschaft besteht nicht.[67]
c) Folgen eines Zuständigkeitswechsels
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Konsequenz der Abgabe ist, dass die Ermittlungsbefugnis der Finanzbehörde erlischt, andererseits ist die Staatsanwaltschaft verpflichtet, die Sache zu übernehmen. Die Rückübertragung ist nur nach § 386 Abs. 4 S. 3 AO im Einvernehmen mit der Finanzbehörde möglich.
Mit der Abgabe des Verfahrens ändert sich die Rechtsstellung der Strafsachenstelle entscheidend; sie hat gem. § 402 AO lediglich – neben der Notkompetenz des § 399 Abs. 2 AO – noch die Rechte und Pflichten des Polizeidienstes und verliert somit ihre eigenständige Ermittlungsbefugnis als Finanzamtsstaatsanwaltschaft. § 403 AO sichert der Finanzbehörde jedoch Beteiligungsrechte.
d) Auswirkung auf die Verteidigung
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Mit dem Übergang des Verfahrens an die Staatsanwaltschaft endet die Alleinverteidigungsmöglichkeit der steuerberatenden Berufe gem. § 392 AO. Spätestens jetzt ist ein Verteidiger aus dem Personenkreis des § 138 StPO hinzuzuziehen.[68]
e) Verfahrensabschluss und gerichtliches Verfahren
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Die Finanzbehörde entscheidet selbstständig über den Abschluss des Verfahrens. Die Strafsachenstelle schließt die Ermittlungen ab durch Einstellung mangels hinreichendem Tatverdacht gem. § 170 Abs. 2 StPO oder wegen Geringfügigkeit nach § 398 AO, gegebenenfalls mit Überleitung ins Bußgeldverfahren und anschließendem Bußgeldbescheid, durch Strafbefehlsantrag oder durch Abgabe an die Staatsanwaltschaft zum Zwecke der Anklageerhebung, § 400 AO i.V.m. § 153 Abs. 1 S. 2 StPO. Darüber hinaus besteht nach § 153a Abs. 1 StPO die Möglichkeit, das Verfahren ohne Zustimmung des Gerichts vorläufig gegen Geldauflage einzustellen. Der Begriff der „geringen Schuld“ wird lokal unterschiedlich interpretiert, dürfte aber regelmäßig eine Verkürzungssumme von 5.000 € nicht übersteigen.[69]
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