Es müssen in allen 3 Fällen sowohl hinsichtlich der objektiven Tatbestandsmerkmale als auch der Schuldfrage zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat gegeben sein. Reichen die den Tatverdacht ergebenden Anhaltspunkte nur für die Annahme einer Ordnungswidrigkeit, ist gem. § 47 Abs. 1 OWiG nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Soll der Prüfungsbericht aufgrund der Prüfungsfeststellungen an die Straf- und Bußgeldsachenstelle abgegeben werden, ohne dass ein Hinweis nach § 201 Abs. 2 AO erteilt worden ist, so hat das Finanzamt den Steuerpflichtigen im Falle des § 202 Abs. 2 AO bei Übersendung des Prüfungsberichts, sonst vor Erlass der Steuerbescheide in einem besonderen Schreiben auf die zu erwartende straf- und bußgeldrechtliche Überprüfung hinzuweisen. Der Außenprüfer darf die Außenprüfung also nicht dazu benutzen, um in Unkenntnis des Steuerpflichtigen von seinem Verdacht Material für ein Steuerstraf- oder -bußgeldverfahren zu sammeln.[8] Bei einem derartigen Fehlverhalten des Prüfers drohen Verwertungsverbote im Steuerstrafverfahren.[9] Auswirkungen auf das Besteuerungsverfahren hat es indes nicht.[10]
Teil 1 Allgemeine Grundfragen› V. Zuständigkeiten von Ermittlungsbehörden und Gerichten› 2. Steuerfahndung
2. Steuerfahndung
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Über die Steuerfahndung wurde und wird viel geschrieben. Je nach Interessenlage der Autoren wird einerseits die Machtfülle dieser Behörde beargwöhnt und die Übergriffe der Steuerfahnder gebranntmarkt,[11] andererseits aber auch die Effizienz dieser Behörde und ihre Unverzichtbarkeit in einem Rechtsstaat herausgestrichen.[12] Bei objektiver Betrachtung ist auf die gewichtige Rolle dieser Behörde als Regulativ für gleichmäßige und ordnungsgemäße Besteuerung i.S.d. § 85 AO hinzuweisen, der teilweise Reinigungs-, teilweise Abschreckungsfunktion zukommt und die aus dem Rechtsleben nicht mehr wegzudenken ist.[13] Die Steuerfahndung stellt eine unverzichtbare Institution zur wirksamen Bekämpfung der Steuerkriminalität dar.[14] Insbesondere im Bereich der grenzüberschreitenden organisierten Kriminalität wird die Steuer-, ebenso wie die Zollfahndung, zukünftig weitere Bedeutung erlangen. Deutlich wird dies durch die Aufnahme des besonders schweren Falles durch bandenmäßige Hinterziehung von Umsatz- oder Verbrauchssteuern in § 370 Abs. 3 Nr. 5 AO und die Erweiterung des Vortatenkatalogs der Geldwäsche (§ 261 Abs. 1 Nr. 4b StGB).
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Bei differenzierter Betrachtung der viel zitierten Übermacht der Steuerfahndung verliert der daraus resultierende Nimbus der Steuerfahnder an Bedeutung und es zeigt sich, dass die Steuerfahndung innerhalb der Finanzverwaltung einen ganz normalen Arbeitsbereich mit allen Stärken und Schwächen darstellt.
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Gesetzlicher Auftrag der Steuerfahndung ist es, durch eine vollständige und zutreffende Sachaufklärung die Steuern gleichmäßig festzusetzen und zu erheben. Steuerfahndung ist Steuereintreibung und Steuerstrafverfolgung unter massivem Einsatz der hoheitlichen Möglichkeiten des Staates.
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Die Rechtsgrundlagen für die Tätigkeit der Steuerfahndung finden sich in den §§ 208, 404 AO. Nach Auffassung des Bundesfinanzhofs und der überwiegenden Meinung im Schrifttum benennt § 208 AO die Aufgaben der Steuerfahndung und regelt darüber hinaus die Befugnisse im Besteuerungsverfahren , während § 404 AO die Befugnisse im Strafverfahren bestimmt.[15]
b) Organisation und Zuständigkeiten
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Die Steuerfahndungsstellen sind anders als die Zollfahndungsstellen nicht den Finanzämtern gleichgestellt (§ 6 Abs. 2 Nr. 5 AO). Sie sind, wie auch die Straf- und Bußgeldsachenstellen, unselbstständige Dienststellen der Landesfinanzbehörden ohne eigene Behördeneigenschaft (§§ 208 Abs. 1 S. 2, 404 AO), deren Organisationsrecht nach Art. 70 Abs. 1 GG grundsätzlich den Ländern zusteht. In den einzelnen Ländern haben sich unterschiedliche Organisationsformen herausgebildet.[16] Überwiegend findet sich eine Eingliederung der Steuerfahndung als unselbstständige Dienststelle in die Finanzämter mit Zuständigkeit der Fahndungsstelle für den Bezirk mehrerer Finanzämter.[17] Daneben gibt es selbstständige Finanzämter für Steuerfahndung und Prüfdienste oder für Fahndung und Strafsachen.[18] Unter dem Druck von Personaleinsparungen sind verschiedene Landesfinanzbehörden dazu übergegangen, die Trennung zwischen den Straf- und Bußgeldsachenstellen sowie den Steuerfahndungsstellen aufzuheben und sogenannte Mischsachgebiete oder Einheitssachgebiete zu schaffen, in denen ein Sachgebietsleiter sowohl über die „Staatsanwaltschaft“ als auch über die „Polizei“ die Dienstaufsicht ausübt.[19] In strafprozessualer Hinsicht ist diese Organisationsform nicht unproblematisch.[20]
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Die Steuerfahndungsstellen werden im Ermittlungsbereich kraft gesetzlichen Auftrags aus eigener Willensentschließung „als Funktion des Finanzamts“ tätig und ermitteln hierbei „für die Finanzämter“, denen allerdings die letzte Entscheidung verbleibt. Der Aufgabenbereich der Steuerfahndungsstelle ist im Gegensatz zu den Finanzämtern nicht auf einen örtlichen Bezirk begrenzt. Die Beamten der Steuerfahndung sind bei der Vornahme von Amtshandlungen im Rahmen ihrer Zuständigkeit nicht an den Bezirk ihrer Dienststelle gebunden.[21]
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Bei Amtshandlungen in einem anderen Bezirk ist jedoch die für den Bezirk zuständige Steuerfahndungsstelle um Amtshilfe zu ersuchen oder vorher zu unterrichten; Anträge auf gerichtliche Untersuchungshandlungen, insbesondere Anträge auf Durchsuchung und Beschlagnahme, hat die ersuchende Stelle zu veranlassen; Durchsuchungen, Beschlagnahmen und Vernehmungen in einem anderen Bundesland dürfen außer bei Gefahr im Verzug, nur im Benehmen mit der örtlich zuständigen Steuerfahndungsstelle erfolgen. Werden die Steuerfahndungsbeamten im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren tätig, soll die zuständige Steuerfahndungsstelle unterrichtet werden.[22]
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Die Aufgabenzuweisungsnorm des § 208 AO weist der Steuerfahndung sowohl strafrechtliche als auch steuerliche Ermittlungsfelder zu.
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Nach § 208 Abs. 1 Nr. 1 AO besteht die Hauptaufgabe der Steuerfahndung in der Erforschung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten gem. §§ 369 ff. AO.[23] Eine Tätigkeitsbefugnis der Steuerfahndungsstellen besteht auch, soweit andere Gesetze die Straf- und Bußgeldvorschriften der AO für anwendbar erklären.[24] Bestehen Vermutungen für das Vorliegen einer Steuerhinterziehung, fehlen jedoch die konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte für einen Anfangsverdacht, so kann die Steuerfahndung sogenannte Vorermittlungen[25] durchführen. Hierbei handelt es sich um eine zulässige strafrechtlicheErmittlungsmethode.[26] Rechtsgrundlage für Ermittlungen (z.B. in sozialen Netzwerken im Internet, s. Rn. 138) bilden die Generalbefugnisse der §§ 161, 163 StPO.
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Daneben wird die Steuerfahndung gem. § 208 Abs. 1 Nr. 2 AO als Steuerermittlungsorgan tätig, indem sie in den Fällen des § 208 Abs. 1 Nr. 1 AO die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln hat. Aus dem Zusammenspiel beider Aufgaben ergibt sich eine Doppelfunktion: Die Steuerfahndung ist Strafverfolgungs- und Fiskalbehörde, die in zwei Verfahren – Steuerstraf- und Besteuerungsverfahren – tätig wird.[27] Diese beiden Verfahren verlaufen parallel mit unterschiedlichen Rechten und Pflichten für die beteiligten Parteien (§ 393 AO). Problematisch wird die Verzahnung beider Bereiche in der Praxis etwa bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen (10 Jahre) im Fall steuerstrafrechtlich bereits verjährter (5 Jahre) Zeiträume,[28] aber auch in allen anderen Fällen, in denen ein strafrechtliches Verfahrenshindernis vorliegt (Strafklageverbrauch, verstorbener Beschuldigter). Im Besteuerungsverfahren ist der Untersuchungsgrundsatz sowie der Grundsatz der gleichmäßigen Besteuerung zu beachten. In der Rechtsprechung und überwiegend auch in der Literatur wird der Steuerfahndung in diesen Fällen ein eigenständiges Recht zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen im Rahmen einer Straftat zugestanden (sog. isolierte Fiskalermittlungen).[29]
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