„Ich fass es nicht. Ich bin in London.“ An der getönten Fensterscheibe drücke ich mir die Nase platt. Sekunden später falle ich Alain überschwänglich um den Hals und bedanke mich bestimmt zum tausendsten Mal mit einem verzückten Kuss. Meine Euphorie ist nicht zu bremsen.
„Überraschung gelungen?“, murmelt er an meinen Lippen. Seine blauen Augen, umgeben von feinen Lachfältchen, strahlen mich an.
„Und wie! Was machen wir heute noch?“, frage ich aufgekratzt, während sich meine Finger in seinem Nackenhaar vergraben und ihn zärtlich kraulen. Alain bekommt eine Gänsehaut.
„Gegen 20 Uhr gehen wir essen“, antwortet er nüchtern.
„Und die vier Stunden davor?“ Ich schmiege mich aufreizend an ihn. „Wir könnten uns doch …“ … im Hotelbett vergnügen.
Aber meine Hoffnung darauf wird mit folgenden Worten einfach zerschlagen: „Ich hab mit den Jungs noch was Geschäftliches zu klären …“
Nicht wahr!
Schmollend gebe ich ihn aus der Umarmung frei, rutsche von seinem Schoß und blicke gekränkt aus dem Fenster. Meine Stimmungsschwankungen in letzter Zeit stehen seinen in nichts nach.
„… doch morgen und übermorgen gehöre ich dir“, versucht er mich zu besänftigen, streichelt mit dem Daumen zärtlich über meinen Handrücken.
Wer’s glaubt!, schnaube ich innerlich. Ich wage einen kurzen unauffälligen Blick zum Augenwinkel heraus und lasse mich von seinem treuen Hundeblick, mit dem selbst Bourbon nicht mithalten kann, erweichen. Resigniert seufze ich auf.
Alain Foster, versprich nicht etwas, was du nicht halten kannst!
Die Koffer liegen ausgebreitet vor uns auf dem Hotelbett. Meine Klamotten verfrachte ich stapelweise in den Schrank. Alain ergreift seinen Kulturbeutel und mein Reisenecessaire und räumt beides ins Bad.
„Zimmerservice?“, frage ich Alain, als es plötzlich klopft.
„Ich habe nichts bestellt“, ertönt seine gedämpfte Stimme aus dem Bad.
Bestimmt ist es, aufgeregt öffne ich die Tür, Travis.
Doch es sind nicht Travis’ smaragdgrüne Augen, die mich anstrahlen. Es steht eine wunderschöne und schlanke Blondine im Türrahmen. Dem berühmt-berüchtigten Londoner Wetter entsprechend, hat sie sich einen grauen Trenchcoat angezogen. Ein schwarzes Seidentuch schlingt sich um ihren Hals, was ich persönlich nur trage, wenn ich etwas zu verbergen habe, zum Beispiel einen Knutschfleck. Die Fremde lächelt freundlich, sodass ihre blauen Augen funkeln. Der blonde Pony bedeckt ihre Stirn, ihr Zopf ragt über die linke Schulter und die Sommersprossen auf ihrer Nase fallen einem sofort ins Auge, vor allem wenn sie sie, wie jetzt gerade, vor Verwunderung krauszieht.
„Schatz, wer ist … Liz?“ Alain schreitet mit schnellen Schritten auf diese Femme fatale zu und drückt ihr einen Kuss auf die Wange.
Ich bin geplättet vom vertrauten Umgang der beiden und fühle tief in meinem Innern Eifersucht aufkeimen. Ihr Name ist mir geläufig, aber trotzdem sollte er mich endlich mit der Dame bekannt machen.
Ein ungutes Gefühl beschleicht mich, dass mir mit dieser Reise vielleicht mehr offenbart wird, als mir lieb ist. Dass ich Gefühle kennenlerne, die ich bisher ganz gut unter Kontrolle hatte und die jetzt plötzlich drohen, an die Oberfläche zu dringen …
„Irina. Darf ich vorstellen, Liz Stone, Daniels Freundin. Liz, Irina Meyer, meine Freundin.“
Ich reiche ihr die Hand.
Das ist also die Frau, deren Knebel und Hogtie ich getragen habe? Dans Sub. Alain habe ich jedoch über mein Wissen noch nicht in Kenntnis gesetzt.
„Freut mich, dich kennenzulernen, Irina.“ Liz schenkt mir ein aufrichtiges Lächeln.
Im ersten Moment bin ich überrascht, dass sie die deutsche Sprache so einwandfrei und akzentlos beherrscht. Sie spricht Hochdeutsch. Doch da kommt mir die Unterhaltung mit Daniel wieder in den Sinn. Er hat davon gesprochen, dass seine Freundin halb Deutsche, halb Engländerin ist …
„Ich freue mich auch, Eliz…“
Liz lässt mich nicht ausreden. „Meine Mutter ist Sissi-Fan, also nix mit Queen Elizabeth … Sie ist die Einzige, die mich bei vollem Namen ruft oder die verhasste Abkürzung Sissi verwendet. Boah! Selbst wenn ich es ausspreche, schüttelt’s mich durch. Das hört sich für mich so an, wie wenn jemand mit den Fingernägeln über Tontöpfe kratzt. Also bitte, bitte nenn mich Liz“, fleht sie mich an.
Schon allein beim Gedanken an Fingernägel und Blumentöpfe bekomme ich eine unangenehme Gänsehaut. „Liz“, wiederhole ich, reibe mir nebenbei die nackten Arme, bis der Schauder von mir ablässt.
Sie lächelt zufrieden und ihre strahlend weißen Zähne blitzen hervor.
„Wo ist Daniel? Ich dachte, wir treffen uns alle erst später zum Essen?“ Alain klingt skeptisch.
„Mas…“ Liz fühlt sich von Alains kaltem Blick eingeschüchtert, gerät ins Stocken und korrigiert sich. „Daniel wartet unten im Wagen. Er findet, dass ich Irina ein wenig Gesellschaft leisten könnte, während ihr euch euren Geschäften widmet.“ Verschwörerisch zwinkert sie mir zu, deutet mit dem Kinn zur Jacke.
Es geht raus! London, ich komme!
„Das ist ja toll.“ Entschlossen nehme ich meinen schwarzen Trenchcoat vom Garderobenhaken. Ich bin Feuer und Flamme, Alain hingegen scheint von der Idee nicht begeistert, noch weniger, als er rafft, dass es nach draußen geht.
„Wo willst du hin?“
„Mir mit Liz die Zeit vertreiben.“
„In diesem Outfit?“ Er zeigt auf den kurzen Mini, mit dem ich ihn damals in der Bar überrascht habe, und reibt sich provokativ die Hände. Sein Blick sagt: Bei wie viel sind wir wohl stehen geblieben?
Ich denke an seine Worte zurück: Beim nächsten Mal, wenn du so einen kurzen Rock anziehst, werden es zwei Hiebe sein und das Mal darauf drei … Und immer so weiter … Ich kann deinem hübschen Hintern einfach nicht widerstehen. Also, wenn du die Züchtigung nicht scheust, reize mich nur weiter mit solch breiten Gürteln …
„Alain. Wir gehen nur in die Mall. Shoppen“, versucht Liz ihn zu besänftigen.
Alain hat das Nachsehen, steigt mit uns in den Lift und lässt es sich nicht nehmen, dass Daniels Wagen uns zur Mall fährt. Die Begrüßung mit Dan fällt relativ kühl aus, wahrscheinlich die besagte Ruhe vor dem Sturm. Ich möchte nicht wissen, was die beiden diskutieren, wenn wir aus dem Wagen steigen. Wird wohl ziemlich hitzig werden, vermute ich, denn Dan hat Alains Pläne gnadenlos durchkreuzt und so was kann mein Kontrollfreak gar nicht leiden.
Ich setze mich Alain gegenüber in die Limousine, schlage ladylike die Beine übereinander und wundere mich über Liz’ Haltung. Sie sitzt Daniel anmutig mit leicht geöffneten Schenkeln gegenüber, die Hände auf den Knien. Wenn sie kein Höschen tragen würde, hätte Daniel freie Sicht auf ihre Scham.
Ach herrje! Mir wird heiß und ich fächere mir mental Luft zu.
Daniel bemerkt meine Verlegenheit, haben mich doch meine tiefroten, erhitzten Wangen verraten. Er grinst schelmisch und fragt äußerst scheinheilig: „Irina. Wie war der Flug?“
„Ähm …“ Ich ordne meine Gedanken und schiebe das gerade Gedachte weit nach hinten. „First Class. Ich bin schon einmal mit meinen Eltern nach Paris geflogen, jedoch Economy, und das ist etliche Jahre her“, antworte ich wahrheitsgetreu, aber heiser.
„Paris?“ Dan versucht, mich in ein Gespräch zu verwickeln.
„Disneyland.“ In Erinnerungen schwelgend lächle ich. „Ich war neun Jahre alt. Der Besuch bei den Großeltern und meinem Patenonkel war eher Nebensache … Und dann, mit fünfzehn, war ich noch einmal in der Stadt der Liebe, jedoch lediglich auf Klassenfahrt. Wir reisten mit dem TGV, dem Hochgeschwindigkeitszug, nach Paris und haben die Sehenswürdigkeiten, insbesondere den Louvre, besichtigt …“
„Du hast Verwandte dort?“ Alains Augen blitzen erstaunt auf. „Du bist zum Teil Französin?“
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