Seine belegte Stimme deutet auf Ersteres. „Irina. Bitte sprich mit mir darüber, vertrau dich mir an …“
Doch mir ist nicht nach Reden zumute. „Bitte, Alain, zeig mir, wie sehr du mich liebst. Ich will deine sanften Hände auf mir spüren, will, dass du mich überall berührst, mich von dem Gefühl seiner schwieligen Klauen auf meinem Körper befreist … Ich brauche dich, Alain, lass mich vergessen … liebe mich!“
Alain hebt mich auf seine Arme, doch wider mein Erwarten trägt er mich nicht ins Bett, sondern zur Badewanne. Er hat meine Worte völlig falsch interpretiert.
„Alain. Nein. Ich habe doch gerade geduscht …“
Die frei stehende Badewanne wurde bereits mit Wasser gefüllt.
Ach, deshalb wurde mein Duschwasser allmählich immer kälter. Also muss er sich auch nicht wundern, dass ich nachregeln musste …
Alains Zimmer duftet jetzt herrlich nach Rosen und ein Hauch von Rhabarber fließt mit ein.
Er lässt mich sachte zu Boden gleiten. „Vielleicht wirst du dich besser fühlen, wenn ich dich wasche. Und glaube mir, ich mache meine Sache gründlich.“ Ein verheißungsvolles Grinsen schleicht sich auf seine Lippen.
Er hat mich also doch verstanden, wird mit mir schlafen …
„Ich werde dir auf diese Art zeigen, wie sehr ich dich liebe, indem ich mich um dich kümmere, dich verwöhne … Jedoch schlafen werde ich mit dir heute Nacht nicht. Du brauchst Zeit, um das alles zu verarbeiten … Ich werde meine Liebe lediglich in Worte fassen …“
Ich streife den Bademantel ab, steige schmollend in die Wanne. Das Wasser hat genau die richtige Temperatur, mollige 37 Grad zeigt das Thermometer an, und sein Duft entführt mich in einen Rosengarten. Ich schließe die Augen, entspanne mich allmählich … und nur wenige Sekunden darauf spüre ich, wie sich Tränen ankündigen. Sie finden einen Weg unter meinen geschlossenen Augenlidern heraus und kullern über meine Wangen.
Alain nimmt mich in den Arm, hält mich einfach nur fest. „Irina. Endlich. Es hat mir richtig Angst gemacht, wie du das Geschehene im ersten Moment verdrängt hast. Liebes. Du kannst mir vertrauen. Ich bin für dich da, wenn du Probleme hast, wenn du reden möchtest. Ich bin da, um dich zu stützen, dir zu helfen, wenn du nicht mehr weiterweißt. Ich liebe dich, Irina.“
Ich öffne meine Lider und versinke in seinen gletscherblauen Augen, die entgegen der Farbe der Iriden pure Wärme ausstrahlen. „Ich liebe dich auch“, wispere ich.
Obwohl wir in dieser Nacht keinen Sex haben werden, könnte sie nicht vollkommener sein, denn sein Liebesschwur berührt mein Herz. Trotz seines anfänglichen Skrupels ist er in der Lage, eine Beziehung zu führen, und dieser steht jetzt nichts und niemand mehr im Wege.
Ich liebe diesen Mann über alles und möchte ihn in meinem Leben nicht mehr missen.
Für mein Glück brauche ich nur ihn.
Durch ihn bin ich vollkommen.
Ryan ist hinter Schloss und Riegel. Die Aussage gegen ihn kostete mich einiges an Überwindung, aber mit Alains tatkräftiger Unterstützung, mit ihm an meiner Seite, ist es mir gelungen, die äußerst unangenehme Angelegenheit ohne größeren emotionalen Schaden abzuwickeln.
Aufatmen ist angesagt!
Eigentlich sollte unserem Glück jetzt nichts mehr im Wege stehen, möchte man meinen, doch seit einer geschlagenen Woche hat Alain mich nicht mehr angerührt. Kaum zu glauben, dass folgende Worte noch vor Kurzem in meinem Kopf herumspukten: Obwohl wir in dieser Nacht keinen Sex haben werden, könnte sie nicht vollkommener sein … Ich möchte mich selbst dafür ohrfeigen! Wie konnte ich nur so blauäugig sein? Wenn ich von vornherein gewusst hätte, dass noch acht weitere keusche Nächte folgen würden, hätte ich das wohl nicht behauptet.
Verdammt! Ich hungere nach ihm, nach seinem Körper, nach seiner Zuneigung. Zärtlich ist Alain nach wie vor und äußerst einfühlsam, aber ich verzehre mich danach, seine starken Hände, seine feuchte, warme Zunge auf meinem Körper zu spüren, noch mehr dürste ich nach der Reizüberflutung, die eintritt, wenn sie im Zusammenspiel jede noch so kleine Pore erkunden. Ich vermisse Alains Liebesgeflüster, das Piksen seines Dreitagebarts auf meiner Haut, seine Liebesbisse, das neckische Knabbern an meinen Ohrläppchen, an meiner Unterlippe, an meinem Hals, an den empfindlichen Knospen meiner Brüste und an meiner Klit. Mir fehlt sein lüsterner Blick, in dem sich sein Hunger und seine Gier nach mir widerspiegeln. Eine unstillbare Glut, die mir das Gefühl gibt, die begehrenswerteste Frau der Welt, noch besser, des ganzen Universums zu sein. Wie könnte er es angemessener ausdrücken als mit einer Erektion, die er an mir reibt, die er tief in mir versenkt …
Allein die Gedanken daran und die Vorstellung erregen mich schon ungemein, verursachen dieses verheißungsvolle Kribbeln in meinem Unterleib und lassen ein drängendes Pochen zwischen meinen Schenkeln entstehen … sorgen für manch feuchtes Höschen. Künstlich schüre ich meinen Hunger, bausche ihn immer weiter auf … ein verdammter Teufelskreis!
Doch anstatt meinem Sehnen nachzukommen, anstatt dieses Feuer, das wild in mir tobt, zu löschen, packt Alain mich in Watte!
Irina. Ich möchte dir Zeit lassen, das Geschehene zu verarbeiten. So hat er es ausgedrückt, als ich wiederholt einen Versuch startete, mit ihm zu schlafen. Die Abweisung tat weh, und seither habe ich es nicht mehr probiert, das heißt, nicht mehr mit offensichtlichen Avancen, sondern mit kleinen Leckerbissen wie einem Negligé, neckischen Dessous, Strings, ja sogar nackt habe ich mich ins Bett gelegt. Statt Alain hat sich dann plötzlich Bourbon an mich gekuschelt. Der Husky hatte wohl Angst, ich könnte mitten in einer schwülen Sommernacht erfrieren. Doch das übertriebene Kauen und das Geschmatze des Hundes machten mich stutzig, und tatsächlich fand ich am Morgen danach Krumen auf dem Kissen, Überbleibsel eines Leckerlis.
Na warte, Alain! Die Quittung dafür wirst du noch bekommen, den armen Hund als Liebestöter zu gebrauchen.
Aber diese verzweifelte Tat und das unentwegt rauschende Duschwasser nebenan zeigen mir auch, wie sehr er mit sich zu kämpfen hat …
Mein Umfeld hüllt sich in eisernes Schweigen. Es wägt jedes einzelne Wort sorgfältig ab. Nur Travis lässt sich von seinem besten Freund keinen Maulkorb verpassen. Unsere Telefonate sind weiterhin relativ unverblümt, und vor allem habe ich ihn mit meinem Verdacht konfrontiert …
Dem Büro hätte ich, laut Alains Ansage, mindestens eine Woche fernbleiben sollen. Seine freudigen Luftsprünge blieben aus, als er mich dienstags nach seiner Kaffeepause, wo ich dachte, er wäre außer Haus, am Schreibtisch vorfand. Alains einzige Bemerkung dazu: ein Augenrollen, das so viel bedeutete wie: Genauso gut hätte ich Bourbon von einem Cervelat fernhalten können, der gepellt zu Hause auf dem Esstisch liegt, und auch ungeschält, gar noch in Folie verpackt, hätte er ihm nicht widerstehen können. Ganz nach dem Sprichwort: Ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf dem Tisch! Tatsächlich fiel Alains Blick auf den Husky im Hundekorb hinter dem Bürotisch, der im Schlaf geschmatzt hatte, weil er wohl von einer leckeren Wurst träumte …
Nichtsdestotrotz werde ich das Gefühl nicht los, dass Alain mit dieser kurzfristig geplanten Reise sein schlechtes Gewissen mir gegenüber beruhigen möchte, und tief in mir hege ich Hoffnung, dass er spätestens auf neutralem Boden meinen noch etwas unausgereiften Verführungskünsten erliegt. Doch die Reise geht nicht in die Stadt der Liebenden, nach Paris, sondern nach London, die Stadt von Alains experimentierfreudigem Studentenleben, und somit ist sie keineswegs neutral …
So sitze ich hier mit ihm in einer Limousine auf dem Weg ins Hilton London Metropole.
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