1 ...7 8 9 11 12 13 ...20 Ein Sadist, der offenbar leidet.
Ich werfe einen kurzen, besorgten Blick zu Alain, suche seine Zustimmung, und als er nickt, umarme ich Travis freundschaftlich. „Bekenn dich doch endlich zu ihr.“
„Und dann führe ich was, eine Fernbeziehung mit Telefonsex? Ich will mir nicht auch noch den Strick um den Hals legen!“, knurrt er.
Erschrocken über seinen Koller, seine sich entladenden Emotionen, gebe ich ihn frei und ersuche stumm Hilfe bei Alain.
„Du bist unausgeglichen und launisch, White!“, wirft dieser ihm vor. „Du musst etwas dagegen unternehmen, sonst könnte es sein, dass du Hannah nächstes Mal überforderst, ihr gar …“
Travis hat genug gehört und unterbricht ihn: „Alain, was schlägst du vor? Ich bin offen für alles!“ Er klingt resigniert.
Die Diskussion wird auf Englisch fortgeführt. Zuerst versuche ich noch, dem Gespräch zu folgen, doch nach einer Weile lässt meine Konzentration nach. Mein Hirn ist nicht mehr imstande, die englischen Worte in deutsche umzuwandeln. Die Reise, der Sex, die ganzen neuen Eindrücke, die ich von Alain bekommen habe, haben mich ermüdet. Gähnend lehne ich mich gegen seine Schulter und irgendwann müssen mir dann auch die Augen zugefallen sein.
Geruckel und Schwerelosigkeit locken mein neugieriges Wesen und mein Bewusstsein kurz zurück an die Oberfläche, jedoch lasse ich meine Augen geschlossen.
„Bring sie nach oben in dein Zimmer.“
„Ich werde kürzertreten, Travis.“
„Das bist du doch schon. Du hast dich, seit du sie kennst, nicht mehr hier blicken lassen.“
„Ich denke sogar daran, meine Anteile zu verkaufen. Ich bin auf die Einkünfte nicht angewiesen.“
„Das ist keiner von uns.“
„Ich bin nur eingesprungen, da euch ein vierter Mann fehlte und weil ihr dachtet … Hmmm … Was, wenn sie jetzt dasselbe von mir denkt?“
„Das tut und das wird sie nicht, Alain. Sie hat es dir sogar auf der Fahrt hierher erläutert …“
„Irina!“ Liz späht durch den Türspalt. Ihre Stimme ist ein leises Flüstern und doch habe ich sofort darauf reagiert und die Augen aufgeschlagen. Ich brauche einen Augenblick, bis ich mich zurechtfinde. Alains Studentenzimmer.
Alain selbst schläft tief und fest neben mir. Ein seltener Anblick. Normalerweise bin ich der Morgenmuffel und er der Frühaufsteher.
Liz’ Zeigefinger gelangt kurz an ihren Mund. Ein lang gezogenes „Pssssssst!“ dringt zwischen ihren verführerisch vollen Lippen hervor. Gleich darauf bewegt sich ihr Finger zu einem Komm her! Ein breites Grinsen schleicht sich auf ihr sommersprossiges, ungeschminktes Gesicht. Doch sie wirkt in natura nicht minder bezaubernd.
Bedacht darauf, keinen Mucks von mir zu geben und mich nicht allzu heftig zu bewegen, schlüpfe ich unter Alains Arm und unter der Decke hervor.
Mein Brummbär gibt im Schlaf ein missmutiges Schnauben von sich, murmelt etwas Unverständliches, schnarcht dann aber zufrieden weiter.
Ich ziehe mir den schwarzen Seidenkimono über, der auf dem Nachtschrank liegt, und schleiche mich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer.
„Wie spät ist es?“, frage ich Liz gähnend, als ich die Tür leise hinter mir geschlossen habe.
„Acht. Bei euch zu Hause schon neun und du bist noch so verschlafen“, wirft sie mir grinsend vor.
„Ich habe Ferien!“, rechtfertige ich mich und stemme gespielt empört die Fäuste in die Hüften.
„Komm …“ Liz hakt sich bei mir unter und führt mich in die Küche. „Wir überraschen die Jungs mit einem Frühstück.“
„Sag bloß, du erledigst hier tagtäglich die ganze Hausarbeit und die faulen Macker lassen sich bedienen?! Welche Paschas!“
„Pssssssst. Leise. Dieses Haus hat Ohren. Nein, Irina. So ist es keinesfalls. Ich mach das gerne. Kochen ist sozusagen mein Hobby, lieber aber backe ich Kuchen, Muffins, Brownies und sonstige Leckereien. Ich steh mehr auf Süßes, denn ich bin gelernte Pâtissière.“ Ihre Augen strahlen. „Ansonsten hat hier jeder sein Ämtchen zu verrichten!“ Liz zeigt auf die Pinnwand und zwinkert mir zu.
„Oooooh. Wenn das so ist, wie kann ich behilflich sein?“
„Würdest du im Gemeinschaftszimmer den Tisch decken? Da du barfuß bist, würde ich dir nicht gerade den Herd empfehlen. Fettspritzer.“ Sie deutet auf das Tablett mit Tellern, Besteck, Tassen und Gläsern.
Ich nicke und zähle unbewusst die Anzahl Tassen, vergleiche sie mit den Tellern und dem Besteck. „Sieben?“
Travis, James, Liz, Daniel, Alain und ich. Das sind sechs. Also wer ist der Siebte?
Liz nickt nur abwesend. Sie ist ganz in ihre Leidenschaft, das Kochen, versunken.
Mit zitternden Fingern trage ich das Tablett in den angrenzenden Raum. Nur noch wenige Schritte trennen mich vom großen Marmortisch.
„Na, welch süße Versuchung haben wir denn hier?“, ertönt es auf Englisch. Die dunkle, brummige Stimme, der von Travis sehr ähnlich, dringt mir bis ins Mark und lässt mich erschrocken zusammenfahren.
Der siebte Mann: Master Dave!
„Alains sündige Versuchung!“
James!
Das Tablett entgleitet meinen plötzlich schweißnassen Fingern und landet auf dem teuren Parkett. Der Aufschlag verursacht einen Heidenlärm und das Geschirr zerspringt in tausende Teile.
Starr und schwer atmend, paralysiert wie ein Reh im Scheinwerferlicht, bleibe ich stehen. Das Herz klopft mir bis zum Hals. Ich wage es nicht mehr, mich nur einen Millimeter zu rühren, denn rund um meine nackten Füße verteilen sich lauter kleine Scherben.
„Halt still, Süße. Bloß nicht bewegen, du könntest dich verletzen.“ Davids Stimme ist unverhofft sanft und beruhigend und passt keineswegs mehr zu dem bulligen Kerl, den ich gestern an der Bar im Club erblickt habe.
Von der Neugier gepackt, wage ich einen Blick über meine Schulter. Die falsche Seite, denn ich erblicke James. Ein Zittern erobert meinen Körper, meine Beine schlottern und drohen nachzugeben.
Auf der anderen Seite vernehme ich das knirschende Geräusch von Scherben unter Gummisohlen. Ich kann einen überraschten Aufschrei nicht unterdrücken, als starke Arme meine Taille umschlingen und mich ruckartig hochheben. Master Dave, Travis’ stämmiger Vetter, trägt mich aus der Gefahrenzone.
Der ohrenbetäubende Lärm riss wohl auch Alain jäh aus dem Schlaf, und er kann die Lage noch nicht richtig einschätzen. „Was zum Teufel! Dave, lass sie sofort …“ Doch sein Blick wandert auf den Boden. Er scheint die Situation zu begreifen und verstummt abrupt.
„Was geht denn hier ab?“ Travis steht verschlafen und splitterfasernackt im Türrahmen. Er kratzt sich am Hinterkopf. Seine Nacktheit macht ihn in keiner Weise verlegen. Warum sollte sie auch?
Jesus, Maria und Josef! Es ist wie verhext. Ich kann meine Augen nicht von ihm lassen, dem großen kleinen Travis. Der Vergleich hinkt etwas, aber es ist wie bei einem grässlichen Autounfall. Ich werde von meiner Neugier getrieben und starre unverschleiert, keineswegs heimlich, auf seine gewaltige … ich schlucke trocken … Männlichkeit.
Selbst Alain entgehen meine Stielaugen nicht. „Zieh dir was über! Ich bekomm sonst Komplexe!“, knurrt er eher im Scherz und verpasst seinem Kumpel einen Seitenhieb.
Für einen kurzen Augenblick habe ich tatsächlich vergessen, in wessen Armen ich liege. David stellt mich sachte vor Alain wieder auf die Füße. „Ich hol dann mal Besen, Handfeger und Staubsauger. Schließlich bin ich schuld an der Misere. Sorry, Kleines, dass ich dich erschreckt habe.“ Er macht auf dem Absatz kehrt, doch ich ergreife beherzt seinen Arm.
„Warte … Danke, Master David“, sage ich schüchtern und wage es nicht, den Kopf zu heben.
Sein Zeigefinger gleitet unter mein Kinn und er hebt es behutsam an. Ich muss meinen Kopf ganz schön in den Nacken legen, um einen Blick in seine smaragdgrünen Augen zu werfen. Der blonde Hüne überragt mich bei Weitem. „David. Für dich nur David, Kleines. Oder Dave.“
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