Duri Rungger
Mord am Bellevue
Duri Rungger
Mord am Bellevue
Kriminalroman
orte Verlag
Die Ereignisse und Personen dieses Romans sind fiktiv. Die genannten Hotels und ihr gepflegtes Ambiente, welches den Hintergrund zu einigen Szenen der Geschichte liefert, existieren wirklich, waren meines Wissens aber nie Schauplatz von Zwischenfällen der Art, wie sie hier beschrieben werden. Die Yacht «SeaDream» war zur angegebenen Zeit nicht von Athen nach Venedig unterwegs, sondern auf Kreuzfahrt in der Ägäis.
Herzlichen Dank an Lisi für ihre kritischen Kommentare und dem ungenannt sein wollenden Beamten der Kantonspolizei Zürich für seine hilfreichen Hinweise.
Der Autor
1. Auflage: 2018
© by orte Verlag, CH-9103 Schwellbrunn
Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Radio und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.
Umschlaggestaltung: Janine Durot
Satz: orte Verlag, Schwellbrunn
E-Book-Herstellung und Auslieferung:HEROLD Auslieferung Service GmbH, www.herold-va.de
ISBN: 978-3-85830-244-1
ISBN e-Book: 978-3-85830-245-8
www.orteverlag.ch
1
Kriminalkommissar Paul Kuhn – in der offiziellen Zürcher Amtssprache Adjutant mit besonderen Aufgaben der Ermittlungsabteilung Gewaltkriminalität, Dienst Leib/Leben – stand wie ein Fels in der Brandung im Gewimmel der Leute, die durch die Bahnhofhalle hetzten. Silvester 2016 fiel auf einen Samstag, und der Betrieb war entsprechend hektisch. Verkäuferinnen, Arbeiter und andere Unglücksraben, die an diesem Tag arbeiten mussten, kämpften sich durch das Gewühl, um ihren Zug nach Hause zu erreichen. In umgekehrter Richtung strömten festfreudige Gruppen und Einzelgänger in die grosse Stadt, wo sie den Jahresausklang gebührend feiern wollten. Dazwischen versuchten mit Koffern, Taschen und Skis beladene Touristen den Anschluss zu erreichen, der sie in ihre Ferienorte in den Bergen bringen sollte, wo sie mit der vorausgereisten Familie auf das neue Jahr anstossen wollten.
Der fahrbare Grillstand «Federal», vor dem Kuhn stand, befand sich mitten in der Bahnhofshalle, wo das Gedränge am dichtesten war. Manchmal bereitete es dem Kommissar Vergnügen, inmitten vieler Menschen zu sein, vor allem wenn diese weder Anlass noch Zeit hatten, mit ihm zu plaudern. Er kam auf dem Heimweg von der Arbeit oft hier vorbei, um zu Hause nicht für sich allein kochen zu müssen. Der Mann am Grill wusste inzwischen, dass er seine Wurst bedeutend dunkler gebraten wünschte, als die neuesten Richtlinien für gesundes Essen dies empfahlen. Kuhn beobachtete kauend das bunte Treiben um ihn herum. Plötzlich fühlte er, wie eine Hundeschnauze sanft sein Knie anstiess. Es war ein junger, schwarzer Setter, der sehnsüchtige Blicke auf die Wurst warf und derart wedelte, dass das ganze Hinterteil hin- und herwackelte. Anscheinend war das Tier allein unterwegs. Kuhn beugte sich zu ihm hinunter und hielt ihm den verbliebenen Wurstzipfel unter die Nase. Als dieser verschlungen war, kraulte er das Tier am Kopf, bis die Idylle von einem schrillen «Blacky, was tust du hier?» unterbrochen wurde. Eine feine Hand mit roten Krallen fasste den Hund am Halsband und riss ihn weg. Kuhn wusste nicht, ob der strafende Blick der Besitzerin dem ausgerissenen Liebling oder ihm galt, der es gewagt hatte, das Tier anzufassen – was hätte er wohl zu hören bekommen, wenn sie gesehen hätte, dass er es sogar gefüttert hatte? Doch die Frau war ihm gleichgültig. Ihn freute, dass Blacky so zutraulich zu ihm gekommen war. Mit Hunden kam er gut zurecht – wenn er sich nur mit Menschen auch so leicht austauschen könnte.
Früher war er fröhlich und umgänglich gewesen, doch nach dem tragischen Verschwinden seiner Frau hatte er sich zurückgezogen und allmählich den Kontakt mit Freunden und Kollegen verloren. Jetzt konnte er kaum noch ungezwungen mit jemandem reden. Er bedauerte dies, wusste aber nicht, wie er die Sache wieder zurechtbiegen könnte. Doch heute wollte er auf keinen Fall allein bleiben und Trübsal blasen. Er überlegte, ob er eine Bar oder ein Striplokal an der Langstrasse besuchen sollte, wie er dies manchmal tat, wenn er sich einsam fühlte. In der lockeren Atmosphäre solcher Nachtlokale brachte selbst er es zustande, mit jemandem zu plaudern. Das Problem war, dass am heutigen Abend im «Chreis Chaib», wie die Zürcher das Quartier abschätzig nannten, die Atmosphäre wohl ziemlich angeheizt sein würde. Als Polizeibeamter in Zivil konnte er es sich nicht leisten, in eine Schlägerei verwickelt zu werden. Es gehörte ja nicht zu seinen offiziellen Aufgaben, für Recht und Ordnung im Milieu zu sorgen. Vielleicht war es besser, den Abend anderswo zu verbringen. Da fiel ihm ein, dass er letzthin bei einem Abendspaziergang im Niederdorf einen neueröffneten Nachtklub mit dem kecken Namen «Hot Chicks» entdeckt hatte. Zur Abwechslung könnte er ja dort hineinschauen. Das Lokal bot zudem den Vorteil, dass der Heimweg vom Niederdorf zu seiner Wohnung an der Trittligasse kurz war.
Der Türsteher des «Hot Chicks» war einen Kopf kürzer als der Kommissar, aber seine Schultern und Nacken waren wie die eines Stiers. Der Kerl hätte bestimmt keine Mühe gehabt, einem trotz seines Alters noch beweglichen und gut trainierten Mann wie Kuhn den Eintritt zu verwehren, doch er musterte den neuen Gast nur flüchtig und forderte ihn mit einer einladenden Handbewegung auf einzutreten.
Unter der Tür blieb der Kommissar stehen und sah sich um. Er hatte keine Lust, in einer schäbigen Bruchbude Neujahr zu feiern, doch der erste Eindruck war einladend. Das Lokal war modern und geschmackvoll eingerichtet – keiner dieser altmodischen Plüschsalons. Projizierte, bunte Farbtupfer, Linien und Spiralen glitten langsam über die grauen Wände, ohne zu nerven. Der Laden war gut besucht, was am Altjahrabend auch nicht weiter erstaunlich war. Nur an der Bar waren noch zwei Plätze frei. Kuhn beeilte sich, einen davon in Beschlag zu nehmen. Er sass am liebsten an der Bar. Wenn man an einem kleinen Tisch in unangenehmer Gesellschaft landete, war es schwierig, diese wieder los zu werden. Einen Barhocker konnte man leicht in eine angenehmere Nachbarschaft verschieben, ohne aufzufallen. Zudem kamen auch die Tänzerinnen an die Bar und, in seltenen Fällen, unternehmungslustige Besucherinnen, mit denen man ins Gespräch kommen konnte.
Kaum hatte Kuhn seinen Drink bestellt, als die erste Darbietung angesagt wurde. Aisha war Senegalesin und sah Grace Jones zum Verwechseln ähnlich, zumindest wie die sehnige Gegenspielerin von James Bond damals im Film ausgesehen hatte, dessen Titel ihm inzwischen entfallen war. Aisha tanzte zu einem afrikanischen Lied, dessen Geschichte von sprechenden Trommeln und einem Balafon erzählt wurde. Das hätte die Hausband niemals hingekriegt und deshalb lief die Musik ab Band. Kuhn verstand die Sprache der Trommeln leider nicht und konzentrierte sich auf den Tanz. Die Frau hatte den Rhythmus im Blut! Eine derart temperamentvolle Tänzerin hatte er noch nie gesehen.
Aishas Auftritt wurde durch die Ankunft einer Gruppe bereits leicht angetrunkener junger Männer gestört, die reichlich Zeit brauchten, um an den für sie reservierten Clubtischen Platz zu nehmen. Sie unterhielten sich lautstark und schenkten der Darbietung wenig Beachtung. Erst als die Tänzerin, begleitet von einem Trommelwirbel, begann mit dem ganzen Körper zu vibrieren, verstummten sie, und als Aisha danach erstarrte und wie eine schwarze Skulptur regungslos stehen bleib, schenkten sie ihr frenetischen Applaus.
Kuhn sah sich die jungen Leute genauer an. Es waren anscheinend Yuppies, die versuchten, den Stress des vergangenen Jahres loszuwerden. Die übrigen Gäste im Club waren zumeist noch älter als er – und Ende des kommenden Jahres wurde er pensioniert! Doch daran wollte er im Moment nicht denken, sonst würde er zu viel trinken. Er nippte vorsichtig an seinem Caipirinha. Das war ein weiterer Vorteil, wenn man an der Bar sass. Man konnte den Barmann direkt bitten, eine doppelte Menge Cachaça in den Drink zu mixen, und musste nicht erst der Serviererin erklären, dass dies der Rohrzuckerschnaps sei, den der Barkeeper bitte reichlich hineingeben solle.
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