Duri Rungger
Der afrikanische Janus
Duri Rungger
Der afrikanische Janus
Kriminalroman
orte Verlag
Handlung und Personen dieses Romans sind frei erfunden. Allfällige Ähnlichkeiten mit lebenden Personen wären zwar erwünscht, doch rein zufällig. Die erwähnten Statuen und Masken stehen in Museen oder Privatsammlungen und gehörten weder einem Herrn HK noch dem ebenso fiktiven Industriellen Gerster.
Herzlichen Dank an Lisi, Sibe, Charlotte und Heiner für kritische Kommentare zum Manuskript, Yvonne Steiner für das konstruktive Lektorat sowie dem Musée Barbier-Müller Genève, dem Grassi Museum für Völkerkunde Leipzig – Staatliche Kultursammlungen Dresden und dem Rietberg Museum Zürich für die Erlaubnis, ihre Kunstwerke hier abzubilden.
Der Autor
© 2015 orte Verlag, CH-9103 Schwellbrunn
Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Radio und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.
Umschlaggestaltung: Janine Durot
Satz: orte Verlag, Schwellbrunn
Gesetzt in Times New Roman
ISBN: 978-3-85830-185-7
ISBN eBook: 978-3-85830-190-1
www.orteverlag.ch
eBook-Herstellung und Auslieferung:
HEROLD Auslieferung Service GmbH
www.herold-va.de
Bagorda Paura, Angstmacher Maske
A.A. Willi, alias il Natè,
Domat-Ems, Schweiz
Museum Rietberg, Zürich
Der Angstmacher
«Porca miseria …», schimpfte Bondolfi halblaut vor sich hin. Er blieb stehen und schnappte mühsam nach Atem. Der Weg von Davos-Glaris über den Höheggen zum Wiesener Viadukt stieg zwar nur sanft aber stetig an und verlief durch dichten Fichtenwald. Doch selbst im Schatten war es unerträglich heiss. Der rechte Hang des Landwassertals war frontal der Morgensonne ausgesetzt, und kein Lüftchen brachte Erleichterung.
Der gemütliche und dank seiner Vorliebe für fette Speisen übergewichtige Puschlaver vermied normalerweise jegliche körperliche Ertüchtigung und war entsprechend ausser Form geraten. Heute war er gezwungen, eine Ausnahme zu machen, weil er als Klassenlehrer der Maturaklasse 1986 seine Schüler auf den Herbstausflug begleiten musste. Auch dieses Jahr hatte er keinen jüngeren Kollegen gefunden, der ihm diesen Strafmarsch abgenommen hätte. Nächstes Jahr würde er sich krank melden. Er sah beim besten Willen nicht ein, wieso ein alter Stubenhocker und Vielfrass wie er diese jungen Bergziegen begleiten sollte. Wenn es jemanden zu retten galt so höchstens ihn …
Er hatte den Chemielehrer Sattler eingeladen, auf den Ausflug mitzukommen. Dieser war derart unbeliebt, dass das Rektorat darauf verzichtet hatte, ihn als Klassenlehrer einzusetzen. Bondolfi gab sich Mühe, eine einigermassen gute Beziehung mit diesem stacheligen Sonderling zu unterhalten, der ihm trotz allem leid tat. Zudem hatte er gewusst, dass er auf dieser Wanderung weit hinten nachhinken würde, und gehofft, mit Sattler plaudern und so die Anstrengung leichter bewältigen zu können. Doch heute hatte sein Kollege wieder einmal einen aussergewöhnlich schlechten Tag erwischt. Schon am Bahnhof in Chur war er griesgrämig angekommen, hatte in der Eisenbahn kein Wort geredet und nur nervös an seinem Rucksack herumgefingert, in welchem er wohl eine gehörige Notration Alkohol mit sich führte. Da er nicht wagte, vor den Schülern zu früher Morgenstunde davon zu naschen, war seine Laune immer schlechter geworden.
Inzwischen hatte Sattler ihn eingeholt und blieb keuchend stehen. Kleingewachsen und knochig wie er war, hätte er mit seinem Leichtgewicht die Steigung mühelos bewältigen können, doch sein übertriebener Alkoholkonsum hatte beträchtlichen Schaden angerichtet, und zudem litt er heute unter Kopfschmerzen, die er sich wohl mit dem üblen Fusel vom Vorabend eingehandelt hatte. Er knurrte Bondolfian: «Wie weit müssen wir noch diesen verdammten Berg hochsteigen, bis wir endlich einkehren und etwas trinken können?»
«Ich bin nicht sicher. Die Schüler haben die Route ausgewählt, und ich habe zu Hause nur kurz in die Karte geschaut. Ich schätze, wir haben etwa die Hälfte des Aufstiegs hinter uns. Oben geht es dann schön flach über offeneres Gelände mit hübscher Aussicht und danach bis Wiesen nur noch bergab.» Er wagte es nicht zu erwähnen, dass der Abstieg eher steil sei, fühlte sich aber verpflichtet auf den zweiten Teil der Frage zu antworten. «Ob es da oben ein Bergrestaurant gibt, weiss ich leider auch nicht.»
Sattler hatte die Einladung seines Kollegen nur angenommen, weil er sicher war, der bequeme Paolo habe eine leichte Route ausgesucht. Entsprechend frustriert raunzte er diesen an: «Was für eine schwachsinnige Idee, die Schüler alles selbst entscheiden zu lassen! Nächstens lässt du dir von ihnen auch noch ihre Noten diktieren.»
Bondolfi machte eine wegwerfende Handbewegung und liess Sattler stehen. Langsam hatte er genug von seinem lieben Kollegen Satyr, wie die Schüler ihn abschätzig nannten, und bereute, ihn überhaupt eingeladen zu haben. Er beschleunigte seinen Schritt, soweit er dazu fähig war. Sie waren schon viel zu weit hinter ihren Schutzbefohlenen zurückgeblieben, und der sauertöpfische Begleiter durfte seine Galle gern noch ein wenig ausschwitzen.
Die Klasse war inzwischen schon oben ankommen, wo der Wald mit steilen Bachrunsen und sanften Alpwiesen abwechselte. Kleine, blaue und braune Schmetterlinge gaukelten um die Herbstzeitlosen, Thymian, Feldenzian und Silberdisteln, mit denen die Wiesen übersät waren. Der Blick ins Tal und auf die gegenüber aufragenden Berge des Stulsergrats war beeindruckend. Am tiefblauen Himmel zog ein Adler seine Kreise, doch die Mädchen und Burschen nahmen die prächtige Umgebung kaum wahr. Sie schwatzten laut durcheinander, spotteten über die neue, unsportlich beleibte Freundin des Turnlehrers und den blamablen Korb, den sich Felix bei der umschwärmten Barbara eingefangen hatte. Das wichtigste Thema war die Serie von Flugunfällen, die sich in knapp zwei Monaten in Indien, den USA und zuletzt in Japan ereignet und zusammen fast tausend Opfer gefordert hatten. Die Entführung des Kreuzfahrtschiffs Achille Lauro durch Palästinenser unter der Führung von Abu Abbas gab Anlass zu einer heftigen Diskussion über die heikle Frage, ob ein vertriebenes und verfolgtes Volk nicht vielleicht doch das Recht hatte, die Weltöffentlichkeit auf sein wohlweislich totgeschwiegenes Problem aufmerksam zu machen. Die Matura wurde mit keinem Wort erwähnt. Sie fand ja auch erst am Ende des Schuljahres im nächsten Sommer statt. Da blieb noch genügend Zeit, sich Sorgen zu machen.
Gion folgte seiner Klasse in sicherem Abstand. Er hasste es, den ganzen Tag mit Kollegen zusammen zu verbringen, die keine waren und denen er im Schulalltag so weit wie möglich aus dem Weg ging. Es war nicht, dass sie ihn hänselten. Im Gegenteil, er hatte das Gefühl, sie ignorierten oder, was fast noch schlimmer zu ertragen war, bemitleideten ihn. Vielleicht waren sie auch ganz nett, und es war sein Fehler, dass er mit niemandem Kontakt aufnehmen konnte. Er war einfach unfähig, länger als nötig mit andern Leuten zusammen zu sein, geschweige denn, ungehemmt mit ihnen zu reden.
Er schaute sich um. Zu weit durfte er nicht zurückbleiben, sonst wurde er von den begleitenden Lehrern eingeholt. Bondolfi mochte er zwar gut, aber dass dieser ausgerechnet den fleischgewordenen Albtraum von Sattler eingeladen hatte mitzukommen …
Satyr suchte sich in jeder Klasse einen Sündenbock aus, den er demütigen konnte. Natürlich war in seiner Klasse die Wahl auf Gion gefallen, obwohl seine Leistungen gut waren. Sattler hatte ein untrügliches Gefühl für Leute, die unfähig waren, sich zu wehren, und nützte das schamlos aus, sie vor der ganzen Klasse blosszustellen, und ihnen nebenbei auch noch ungerechte Noten aufzubrummen.
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