Das hat sich entscheidend geändert. Nicht nur Flexitarier (also Menschen, die nur ab und zu tierische Erzeugnisse essen) und nicht nur Eltern (die schon immer ihre Kinder zu mehr Obst und Gemüse überreden wollten) sehen das genau umgekehrt: Für viele Spitzenköche sind mittlerweile Fleisch und Fisch in sehr guter Qualität eine willkommene Ergänzung zu einem ansonsten eher pflanzlich dominierten Gericht.
Aber auch abgesehen von vegetarischen, veganen oder anderen Ernährungsgewohnheiten bereichert Gemüse seit einigen Jahrzehnten unsere Speisekarten auswärts und zu Hause. Mit den Migranten sind neue Gemüsesorten aus dem Mittelmeerraum oder noch weiter entfernten Gegenden zu uns gekommen oder wir haben sie auf unseren Urlaubreisen kennen- und schätzengelernt. Auberginen, Artischocken, Avocados, Süßkartoffeln, Radicchio, Romanesco, Chinakohl oder diverse Asiasalate erfreuen sich mittlerweile im deutschsprachigen Raum großer Beliebtheit, gehören ganz selbstverständlich zu unserem Speiseplan und werden auch nördlich der Alpen kommerziell angebaut. Und unsere heimischen und lange schlecht beleumundeten Sorten wie Kohl, Rüben, Pastinaken, Topinambur oder Schwarzwurzeln erleben eine ganz erstaunliche Renaissance.
Das Angebot an frischem Gemüse im Supermarkt, in Bauernläden, Gartenbaubetrieben und bei Direktvermarktern explodiert geradezu. Auch die Sortenvielfalt nimmt wieder zu oder bleibt zumindest erhalten, weil sie nachgefragt wird. Immer mehr Menschen entdecken die Geschmacksnuancen von unterschiedlichen Kartoffelsorten, verschiedenfarbigen Karotten, Tomaten oder Rüben. Wie man deren Aromen vielfältig in der Küche hervorheben und einsetzen kann, dazu möchte unser Buch auf den folgenden Seiten im Detail einige Hilfestellungen und Ideen liefern.
„Gemüse ist das neue Fleisch“, heißt es nicht nur unter Vegetariern. Längst ist Gemüse aus dem kulinarischen Dornröschenschlaf erwacht. Alte und neue Karottensorten, wiederentdeckte Rüben oder Kreuzungen aus verschiedenen Kohlarten werden in der gehobenen Gastronomie gefeiert, von (Hobby-)Gärtnern angebaut und finden sich im Gemüseregal der Supermärkte oder auf Märkten. Und Gärtnereien bieten immer mehr „exotische“ Sorten an: als zarte Pflänzchen für den Eigenanbau oder ausgereift zum Sofortverzehr. Unser Ziel ist es, diese wunderbare Vielfalt darzustellen – vom Wurzel- bis zum Fruchtgemüse, vom Allerweltsweißkohl bis zur Lotoswurzel. Auf den folgenden Seiten präsentieren wir in alphabetischer Reihenfolge 67 Gemüsearten. Wir geben Hinweise zur Geschichte und Botanik, Tipps zum Anbau im eigenen Garten oder zum Einkauf und stellen die wichtigsten Sorten vor. Vor allem aber geht es uns um die kulinarische Verwendung: Ausgehend von einer chemischen Aromaanalyse zeigen wir, wie sich das jeweilige Gemüse am besten zubereiten und kombinieren lässt, von ganz klassisch bis hin zu „Crossover“-Experimenten. Das Farbleitsystem zu Geschmack und Aroma soll dabei eine optische Hilfestellung geben, und unsere Rezepte (immer für 4 Personen) können erste Ideen liefern. Aber Ihrer Experimentierfreude wollen wir dabei nicht vorgreifen – im Gegenteil!
DAS FARBSCHEMA: SO FUNKTIONIERT’S
Durch das gesamte Buch zieht sich ein Farbschema: Es teilt alle Duftstoffe in acht farblich gekennzeichnete Gruppen ein – die neunte Gruppe beinhaltet den Trigeminusreiz, also scharf oder adstringierend wirkende Aromastoffe.
Diese Farbgruppen kommen in der Randspalte neben jedem Gemüse zum Einsatz: So machen sie es möglich, „Gemüsechemie“ ohne die genaue Kenntnis chemischer Details anzuwenden und verschiedenste Zutaten miteinander zu kombinieren.
Harmonien und Spannungen zwischen Gemüsen und Gewürzen können auf einen Blick erkannt werden: Ähnliche Farben deuten auf eine Verstärkung des Dufts hin, unterschiedliche Farben auf eine Ergänzung des Aromenspektrums um neue Noten.
Selbst wenn das Gemüse weniger bekannt ist, weiß man anhand der Farben genau, wozu es passt und wie man es verwenden kann.
Da bei Gemüse vor allem auch der Geschmack eine wichtige Rolle spielt, kann dieser und die jeweilige Ausprägung an der Balkengrafik abgelesen werden.
Aromen gekocht: HEXANAL
grün, blattartig,
fettig, apfelschalenartig, (Z)-3-HEXENOL
grün, grasig, frisch gemähtes Gras, laub-BISABOLEN T
holzig-fruchtig, zitrusartig,
balsamisch, grüne Banane,
tropisch,
Beim Beispielgemüse Aubergine sind die Farben für wachsig, grün, schwefelig sowie dunkel, schwer-floral aktiv. Wer es genauer wissen möchte, kann sich darunter die einzeln aufgeschlüsselten Duftnoten jedes Aromas ansehen und wo sich diese auf welche Weise entfalten. Das Dreieck zeigt dabei die orthonasale Wahrnehmung und das Viereck die retronasale. Das auf der Spitze stehende Viereck verweist auf den trigeminalen Reiz. Hat ein Aroma zudem noch ein kleines, hochgestelltes „T“, löst dieses einen deutlichen Trigeminusreiz aus.
GESCHMACK
Auberginen duften erdig-grün, das Fruchtfleisch entwickelt beim Garen eine cremige Textur, die Schale bleibt trotzdem hart. Je nach Sorte können Auberginen auch leicht bitter schmecken.
Im Abschnitt „Geschmack“ gibt es eine Kurzbeschreibung des Gesamtaromas und -geschmacks. Zudem kann man an der Balkendarstellung erkennen, welche Ausprägung die fünf Grundgeschmacksrichtungen jeweils haben. Ist der Geschmack stark ausgeprägt, wird es in einem kräftigen Grün angezeigt, ist er eher schwach, in einem helleren Grünton, wie hier der leicht bittere Geschmack bei der Aubergine. Ist ein Grundgeschmack nicht aktiv, bleibt die Fläche weiß.
HARMONIE
Dieser Abschnitt zeigt die Harmonien, die das jeweilige Gemüse eingeht: Haben die Gemüse die gleichen Farben, würde sich das typische Aroma dieser Gruppe in einer Kombination weiter verstärken. Sind Farben im jeweils anderen Gemüse nicht enthalten, findet in deren Kombination eine gegenseitige Erweiterung um die jeweiligen Aromen statt.
GRUPPE 1: ALIPHATISCHE KOHLENWASSERSTOFFE
(E)-3-Hexenal:
grün, fruchtig,
apfelartig 1-Octen-3-ol:
grün, erdig, champignonartig,
gemüseartig, pilzig,
brühenartig, saucenartig
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