AROMA GEMÜSE
GEMÜSE – GENUSS FÜR ALLE SINNE
Gemüse ist unglaublich vielfältig: Es gibt Samengemüse (Hülsenfrüchte) wie Erbsen und Bohnen, Fruchtgemüse wie Gurken, Paprika, Tomaten und Kürbis, Blattgemüse wie Spinat, Mangold, diverse Salate und Grünkohl, aber auch Blütengemüse, nämlich Brokkoli, Blumenkohl oder Artischocke, Stängelgemüse wie Spargel und Chicorée, Blattstiele von Mangold und nicht zuletzt Stielgemüse wie Rhabarber, Bleichsellerie oder Stielmus. All diese Arten schmecken und duften unterschiedlich, von süß über sauer bis bitter und herzhaft, blumig, schwefelig, nach Schokolade oder cremig wie ein schwerer Whisky, sie sind knackig oder weich, wässrig oder cremig, machen die Zähne stumpf oder die Zunge rau, brennen, kühlen oder schmeicheln.
Ziel dieses Buchs ist es, Gemüse aus kulinarischer Sicht durch und durch kennen zu lernen. Wie riechen Auberginen, wie schmecken Zwiebeln, wie nehmen wir Aroma, Geschmack und Textur wahr, was ändert sich bei der Zubereitung und wie lassen sich Gemüse zu raffinierten Tellern und genussreichen Menüs zusammenstellen? Enthält das Gemüse besonders viele bestimmte Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente, werden diese am Rande erwähnt. Das Hauptinteresse gilt jedoch Geschmack und Aroma und dem daraus resultierenden großen Küchenpotenzial. Und nicht zu vergessen: Wenn das Gemüse mit Verstand behandelt wird, gut riecht und schmeckt, ist es garantiert nicht ungesund.
MIT SINN(EN) UND VERSTAND
Der Genuss von Nahrung ist vielschichtig. Viele Prozesse laufen gleichzeitig oder in kürzester Zeit ab und müssen vom Gehirn rasch zu einem Gesamteindruck zusammengefügt werden. Verfolgt man den Weg eines Stückchens Gemüse vom Anblick auf dem Teller über den ersten Mundkontakt, das Beißen und Kauen bis hin zum Schlucken, zeigt sich eine Kaskade unterschiedlicher sensorischer Ereignisse, die wir – oft unbewusst – mit all unseren Sinnen wahrnehmen. Nach dem Schlucken des Nahrungsbreis verbleiben Reste im Mund, ein Film kleidet den Mundraum aus und sorgt für den „Nachgeschmack“, bis auch dieser früher oder später verschwindet. Es macht daher durchaus einen Unterschied, ob auf einem Gemüseteller erst die Avocado und dann die Gurke gegessen wird oder umgekehrt oder sogar gleichzeitig. All diese Sinneseindrücke und -erfahrungen werden im Gehirn abgespeichert. War das Mahl exzellent, erinnern wir uns – oftmals sehr lange – an den in Gedanken abrufbaren Geruch und den Geschmack auf der Zunge.
Um zu verstehen, wie wir essen und die Nahrung wahrnehmen, ist es nötig, sich dieses Zusammenspiels unserer Sinneswahrnehmungen beim Essen bewusst zu werden. Als erste Instanz „isst“ bereits das Auge mit und prüft: Gefallen die Farben und Formen des Gemüses? Gleichzeitig werden die Ohren gespitzt, wenn es in der Pfanne brutzelt, wenn zischend flambiert wird oder es beim ersten Biss in ein frisches rohes Radieschen oder in knusprige Maischips (ganz unterschiedlich) kracht. Und manchmal weiß man sogar die haptischen Eigenschaften eines Gerichts zu schätzen – Gemüse wird oft als Rohkost zum Naschen gereicht, und selbst in der gehobenen Küche gibt es Fingerfood. Die zentrale Rolle beim Essen spielen aber Geruch, Geschmack und auch die Textur des Gemüses, die hier genauer unter die Lupe genommen werden sollen.
Was wäre ein Essen ohne Duft? Nur eine halbe Sache. Vor dem ersten Bissen prüft die Nase bereits: Riecht das Gemüse angenehm? Ungewöhnlich? Welche Erinnerungen, Assoziationen und Emotionen weckt der Duft? Wird die Speise anschließend gekaut, ermöglicht das retronasale Riechen im Rachenraum ( Seite 9 Wichtig für die Zwecke dieses Buches ist festzuhalten: Dockt ein Duftstoff an dem für ihn bestimmten Rezeptorprotein an, werden entsprechende Nervenreize ausgelöst. Liegt keine passende Form vor, ist ein Andocken nicht möglich. Die chemische und molekulare Struktur der Duftstoffe steht also in engem Zusammenhang mit ihrem Geruch. Das ist grundlegend für die Einteilung der Düfte in acht charakteristische Duftgruppen, wie sie auf den folgenden Seiten vorgestellt wird.
) die Verbindung von Aromen mit dem auf der Zunge wahrgenommenen Grundgeschmack ( Seite 22 GESCHMACKSSINN UND GRUNDGESCHMACK „Geschmack“ ist vermutlich eines der am häufigsten missverständlich verwendeten Wörter, wenn es um Essen und Trinken geht. Meist bezeichnen wir damit den ganzen Genuss, ohne zwischen Aroma und Geschmack einer Speise bzw. dem menschlichen Geruchs- und Geschmackssinn zu differenzieren. Ein einfaches Beispiel dafür, dass es einen wesentlichen Unterschied gibt, ist die Tomate: Riecht man daran, duftet sie „grün, fruchtig, einen Hauch floral“. Nimmt man sie bei zugehaltener Nase in den Mund, schmeckt sie lediglich „süß“ „sauer“ und irgendwie „herzhaft“. Öffnet man dann die Nase, nimmt man mit der Zunge weiterhin den süßen, sauren und umami-Geschmack wahr, während gleichzeitig die duftenden Aromen über den hinteren Rachenraum – „retronasal“ – in die Nase gelangen und wiederum ganz anders wirken als „orthonasal“ ( Seite 9 Wichtig für die Zwecke dieses Buches ist festzuhalten: Dockt ein Duftstoff an dem für ihn bestimmten Rezeptorprotein an, werden entsprechende Nervenreize ausgelöst. Liegt keine passende Form vor, ist ein Andocken nicht möglich. Die chemische und molekulare Struktur der Duftstoffe steht also in engem Zusammenhang mit ihrem Geruch. Das ist grundlegend für die Einteilung der Düfte in acht charakteristische Duftgruppen, wie sie auf den folgenden Seiten vorgestellt wird. ). Kurz gesagt: Aromen oder Duftstoffe werden – ortho- und retronasal – mit der Nase wahrgenommen, Geschmack wird nur mit der Zunge geschmeckt. Und dann kommt es noch darauf an, wie man kaut und „oral prozessiert“. Die Wahrnehmung ist komplexer, als es scheint.
). Doch was genau verbirgt sich hinter dem Begriff Aroma, wie funktionieren der Geruch und die olfaktorische Wahrnehmung?
Die biologische Funktion des menschlichen Geruchssinns ähnelt der des Schmeckens: Gerüche warnen uns einerseits vor Gefahren. So kann der Mensch faulige Gerüche schon bei äußerst geringer Konzentration wahrnehmen, denn diese deuten auf Gifte hin. Andererseits weisen uns angenehme Gerüche auf wertvolle Stoffe hin, etwa wenn der Duft eines Gerichts uns nicht nur sprichwörtlich das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt.
Gerüche werden durch eine Vielzahl von Molekülen ausgelöst, wobei der Begriff „Vielzahl“ ernstzunehmen ist. Tatsächlich gibt es Zigtausend verschiedener Duftmoleküle, von denen wir als Menschen gar nicht alle wahrnehmen können. Für das Riechen sind spezielle Geruchsrezeptoren verantwortlich. Diese haben die Aufgabe, geruchsaktive Moleküle – Aromaverbindungen – zu erfassen. Eine als Duftmolekül erkannte chemische Verbindung kann nur an einem einzelnen, speziell für ihre Wahrnehmung bestimmten Detektor andocken, woraufhin ein Signal an das Gehirn gesandt wird, in dem die Sinneswahrnehmung als Duft interpretiert wird.
Hat der Duftstoff angedockt, wird auf der „Unterseite“ der Membran ein Ionenfluss von Natrium und Calcium ausgelöst. Dem Gehirn wird ein Duft signalisiert. (R = Rezeptor, G = G-Protein, AC = Adenylatcyclase)
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