Diese Unterschiede werden im Lexikonteil dieses Buches (
ab Seite 117 GEMÜSE A BIS Z „Gemüse ist das neue Fleisch“, heißt es nicht nur unter Vegetariern. Längst ist Gemüse aus dem kulinarischen Dornröschenschlaf erwacht. Alte und neue Karottensorten, wiederentdeckte Rüben oder Kreuzungen aus verschiedenen Kohlarten werden in der gehobenen Gastronomie gefeiert, von (Hobby-)Gärtnern angebaut und finden sich im Gemüseregal der Supermärkte oder auf Märkten. Und Gärtnereien bieten immer mehr „exotische“ Sorten an: als zarte Pflänzchen für den Eigenanbau oder ausgereift zum Sofortverzehr. Unser Ziel ist es, diese wunderbare Vielfalt darzustellen – vom Wurzel- bis zum Fruchtgemüse, vom Allerweltsweißkohl bis zur Lotoswurzel. Auf den folgenden Seiten präsentieren wir in alphabetischer Reihenfolge 67 Gemüsearten. Wir geben Hinweise zur Geschichte und Botanik, Tipps zum Anbau im eigenen Garten oder zum Einkauf und stellen die wichtigsten Sorten vor. Vor allem aber geht es uns um die kulinarische Verwendung: Ausgehend von einer chemischen Aromaanalyse zeigen wir, wie sich das jeweilige Gemüse am besten zubereiten und kombinieren lässt, von ganz klassisch bis hin zu „Crossover“-Experimenten. Das Farbleitsystem zu Geschmack und Aroma soll dabei eine optische Hilfestellung geben, und unsere Rezepte (immer für 4 Personen) können erste Ideen liefern. Aber Ihrer Experimentierfreude wollen wir dabei nicht vorgreifen – im Gegenteil!
) kenntlich gemacht. Die Attribute der Duftmoleküle sind dort jeweils der orthonasalen (
) und retronasalen (
) Wahrnehmung zugeordnet, d. h. an erster Stelle stehen die orthonasalen, dann die retronasalen und zuletzt die oralen und die trigeminalen Eindrücke (
), die der jeweilige Duftstoff hervorruft, also z.B.: (E,Z)-2,6-NONADIENAL (
grün, gurkenartig,
melonenartig,
fettig).
Zwei unterschiedliche Wege zur Geruchswahrnehmung: orthonasal und retronasal. Orthonasal: Duftstoffe strömen über die Luft in die Nase und treffen auf den Riechkolben, den Bulbus, und das Riechepithel. Dieses Gebilde besteht aus vielen Riechzellen, die in Zilien enden. Letztere sind von Schleim (einer protein-reichen Flüssigkeit) umgeben, der in der Lage ist, Duftstoffe zu lösen. Retronasal: Die aromatischen Verbindungen gelangen über die Mundhöhle und den Rachenraum zu den Rezeptoren.
Riechen spielt sich natürlich nicht allein im Detektor Nase ab, die Signale müssen im Gehirn auch umgesetzt werden. Dazu werden die Signale verstärkt und über Nervenleitungen von den Riechzellen in das Gehirn gesendet. Dort wird der Duft zunächst mit den anderen Sinneseindrücken verbunden. Dieser Eindruck wir dann weiterverknüpft mit dem Bereich für Emotionen und demjenigen für Hormone. Dabei wird wichtig, dass jede Riechzelle mit nur einem Typus ausgestattet ist, sodass die Verschaltung zum Gehirn „einfach“ erfolgen kann.
Ähnlich wie beim Geschmack hat der Mensch ein „Geruchsgedächtnis“, d. h., er kann bekannte Gerüche einordnen und assoziiert sie sogar mit einer schönen Erinnerung – oder mit Gefahr. Allerdings existieren, wie bereits gesagt, Tausende verschiedener Düfte. Daher spielt bei der Dufterkennung auch das Sprachzentrum eine wichtige Rolle. Kann ein Duft nicht benannt werden, wird er zwar genauso wahrgenommen, aber viel ungenauer „abgespeichert“ und wahrscheinlich nicht wiedererkannt oder mit einem ähnlichen Duft verwechselt. Ein Problem stellt dabei das begrenzte Vokabular der gegenwärtigen westlichen Sprachen dar, das kaum ausreicht, um all die Duftnuancen treffend zu umschreiben. In den Sprachen mancher Naturvölker wie der Jahai gibt es ungleich mehr Geruchsadjektive, die Bewohner können Düfte ebenso leicht wie Farben benennen. In der englischen (wie auch in der deutschen) Sprache gibt es im Vergleich dazu viele Adjektive für Farben, jedoch kaum für Gerüche. Daher neigen wir bei der Duftbeschreibung zu Vergleichen und Umschreibungen wie „fuselartig“, „zimtig“ oder „frisch gemähtes Gras“.
Bisweilen fehlen auch schlicht Analogien, auf die zurückgegriffen werden kann: Der Geruch einer Gurke lässt sich tatsächlich am genauesten mit „gurkenartig“ beschreiben – ein Geruch, der auch in Melone, Borretsch und Avocados zu finden ist. Und mögen die poetischen Anflüge in Weinführern und Parfümbeschreibungen auch oft belächelt werden, einige Gerüche lassen sich einfach am besten als „grün“, „warm“ oder „schwer“ charakterisieren.
In der Chemie werden Moleküle gewöhnlich nicht nach Ähnlichkeiten bei ihrer Flüchtigkeit und nach ähnlichen Duftcharakteristika unterteilt, sondern gemäß ihrer funktionellen Gruppe. Für die Küchenanwendung ist das unpraktikabel, das System soll aber einmal vorgestellt werden. Die jeweilige Gruppe lässt sich oft an der Endung erkennen: Moleküle, die auf -ol enden, sind Alkohole, Ketone enden auf -on, Schwefelverbindungen auf -thiol. Diese Einteilung ist aber zu verschieden, als dass sie parallel zum Aromagruppen-System bestehen könnte.
ACHT CHARAKTERISTISCHE MOLEKÜLGRUPPEN PLUS EINS
Die große Zahl der Duftmoleküle, die in jedem einzelnen Gemüse und dazu noch in mannigfaltigen Kombinationen vorliegen, erscheint auf den ersten Blick vollkommen unübersichtlich. Sie lässt sich aber aus der Sicht der Chemie – mit kulinarischem Bezug – in acht Gruppen plus eine Gruppe, Geruchs- und Strukturfamilien, einordnen. Jede dieser Gruppen von Duftstoffen zeichnet sich einerseits durch ähnlich chemische Strukturen und andererseits durch einigermaßen abgrenzbare olfaktorische Eigenschaften aus, d. h., man kann aufgrund der Gruppenzugehörigkeit schon erahnen, wie ein Aromastoff oder ein Gemüse, das diesen enthält, wohl duften wird.
Eine genauere Kenntnis der Duftstoffe erweist sich in vielen Fällen als nützlich. So eröffnen sich über die Prinzipien des Food-Pairings und des Food-Completings (
Seite 99 „UNECHTE“ MILCHSÄUREGÄRUNG: Pickling und saures Einlegen von Gemüse unterscheidet sich grundlegend vom Fermentieren, denn hier werden Säure, Aroma und Geschmack durch die Gärsuds herangetragen. Legt man aber Gemüse statt in Essig- oder Zitronensaft in Milchsäure ein (z. B. mit Molke), bringt diese über ihren Ursprung der Gärung eigene „fermentierte“ Noten ins Spiel, ohne dass fermentiert werden muss. Das Einlegen in Molke eignet sich für süßlich wirkende Gemüse, wie Pastinaken, Silberzwiebeln, Karotten oder Rote Bete.
) ganz neue und außergewöhnliche Kombinationen, wie sie bisher, je nach Kulturkreis, kaum eingesetzt werden. Tatsächlich erlaubt das Zusammenwirken kleiner Moleküle große Effekte auf den Tellern.
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