VON GÄRTEN UND ARCHEN
Um seltene und alte Gemüsesorten wieder bekannt zu machen und um neues Saatgut ernten zu können, sind im deutschsprachigen Raum sogenannte Vielfaltgärten entstanden: in der Schweiz etwa der Nutz- und Lustgarten Schloss Wildegg im Aargau, betrieben von ProSpeciesRara mit über 400 verschiedenen Sorten und Arten. Das österreichische Gegenstück ist der Arche-Noah-Schaugarten in Schiltern in der Wachau mit 750 seltenen Gemüse-, Getreide- oder Färberpflanzen. In Deutschland wird im Samengarten in Eichstätten am Kaiserstuhl, der von ProSpeciesRara Deutschland betrieben wird, auf 8 000 qm 2Saatgut für die Region erzeugt. Auf Spitzbergen, etwa 1 000 Kilometer vom Nordpol entfernt, wurde 2008 eine internationale „Arche Noah“ errichtet. Dort deponieren Forscher aus aller Welt das Saatgut der wichtigsten Nutzpflanzen, um es möglichst lange zu konservieren.
Die „Arche des Geschmacks“ wiederum ist ein Katalog bzw. ein Warenzeichen, das der weltweit agierende Verein Slow Food ins Leben gerufen hat. Bedrohte Arten und Sorten mit regionaler Bedeutung werden als „Passagiere“ in die „Arche“ aufgenommen. Schwerpunkt der Arbeit ist das Sammeln, Beschreiben und Erhalten ausgewählter Tiere und Pflanzen. Und das ist keinesfalls eine trocken-museale Arbeit, sondern eine sehr pragmatische und genussorientierte. Weltweit können so über 1 000 regional wertvolle Lebensmittel, Nutztierrassen und Kulturpflanzen erhalten und von Feinschmeckern zubereitet und verzehrt werden – getreu dem Slow-Food-Motto „Essen, was man retten will“.
Immer mehr Menschen in und außerhalb der Landwirtschaft erkennen, dass es nicht nur auf den Ertrag und die einfache maschinelle Verarbeitung von möglichst gleich aussehenden Pflanzen ankommt, sondern letztendlich doch auf das Aroma, den Geschmack und die Vielfalt. Alte, oft regional verankerte Gemüsesorten passen gut zur bei uns gerade populären regionalen Küche. Und in jeder Frucht steckt ein anderes Aroma – je nachdem, ob sie wie etwa bei den Tomaten gelb, braun, rot, schwarz, gestreift, geriffelt oder pflaumenförmig ist. Dieser Variantenreichtum, der sich mittlerweile sogar in den Supermarktregalen zeigt, ist keine Erfindung von Marketingstrategen, sondern uralt. In unserem Buch versuchen wir, einen kleinen Eindruck von der Sortenvielfalt der verschiedenen Gemüsearten zu geben. Sorten, die sich aromatisch, optisch oder aus anderen Gründen für den kulinarischen Einsatz besonders auszeichnen oder für den Anbau im eigenen Garten eignen, stehen dabei im Vordergrund.
Der Renaissance der alten Sorten und der Biodiversität in unseren Gärten und langsam auch wieder auf den Äckern und in den kommerziell betriebenen Gewächshäusern kommt die steigende Beliebtheit von Gemüse in unseren Küchen entgegen, ebenso wie die Bereitschaft kritischer Verbraucher, etwas mehr für gute Nahrungsmittel auszugeben. Man braucht hier gar nicht den steigenden Anteil der Vegetarier oder gar Veganer in der westlichen Welt zu bemühen. Es reicht schon der Hinweis auf immer mehr Hobbygärtner, sogar in der Großstadt, wo sie sich dem Urban Gardening hingeben – der zeitgemäßen Interpretation des Selbstversorger-Schrebergartens.
SO WIRD DAS GEMÜSE GENUTZT
Gemüse wird nach seiner Nutzart „kategorisiert“. So zählt etwa die Artischocke zum Blütengemüse, Kohlrabi zum Kohlgemüse oder Radieschen zum Wurzelgemüse. Viele Gemüse können aber von der „Wurzel bis zum Blatt“ in der Küche verwendet werden (siehe Gemüse von A bis Z, ab Seite 117 GEMÜSE A BIS Z „Gemüse ist das neue Fleisch“, heißt es nicht nur unter Vegetariern. Längst ist Gemüse aus dem kulinarischen Dornröschenschlaf erwacht. Alte und neue Karottensorten, wiederentdeckte Rüben oder Kreuzungen aus verschiedenen Kohlarten werden in der gehobenen Gastronomie gefeiert, von (Hobby-)Gärtnern angebaut und finden sich im Gemüseregal der Supermärkte oder auf Märkten. Und Gärtnereien bieten immer mehr „exotische“ Sorten an: als zarte Pflänzchen für den Eigenanbau oder ausgereift zum Sofortverzehr. Unser Ziel ist es, diese wunderbare Vielfalt darzustellen – vom Wurzel- bis zum Fruchtgemüse, vom Allerweltsweißkohl bis zur Lotoswurzel. Auf den folgenden Seiten präsentieren wir in alphabetischer Reihenfolge 67 Gemüsearten. Wir geben Hinweise zur Geschichte und Botanik, Tipps zum Anbau im eigenen Garten oder zum Einkauf und stellen die wichtigsten Sorten vor. Vor allem aber geht es uns um die kulinarische Verwendung: Ausgehend von einer chemischen Aromaanalyse zeigen wir, wie sich das jeweilige Gemüse am besten zubereiten und kombinieren lässt, von ganz klassisch bis hin zu „Crossover“-Experimenten. Das Farbleitsystem zu Geschmack und Aroma soll dabei eine optische Hilfestellung geben, und unsere Rezepte (immer für 4 Personen) können erste Ideen liefern. Aber Ihrer Experimentierfreude wollen wir dabei nicht vorgreifen – im Gegenteil!
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BLÜTENGEMÜSE
Artischocke, Kürbisblüte, Zucchiniblüte, Brokkoli, Blumenkohl
FRUCHTGEMÜSE
Nachtschattengewächse: Aubergine, Gemüsepaprika, Tomate, Pepino
Kürbisgewächse: Gurke, Kürbis, Melone, Zucchini
Weitere: Avocado, Brotfrucht, Kaktusfeige, Kochbanane, Papaya
GEWÜRZGEMÜSE
Doldenblütler: Fenchel
ZWIEBELGEMÜSE
Lauchgewächse/Alliaceae: Knoblauch, Lauch, Schalotte, Winterzwiebel, Zwiebel
BLATTGEMÜSE
Blätter: Blattsalat, Feldsalat, Löwenzahn, Mizuna, Portulak, Rucola, Schnittmangold, Spinat, Zichorien
Blattstiele: Cardy, Mangold, Rhabarber, Stangensellerie
HÜLSENFRÜCHTE
Hülsenfrüchte: Bohne, Erbse, Kichererbse, Linse, Sojabohne
KOHLGEMÜSE
Kopfkohl: Chinakohl, Pak Choi, Rotkohl, Weißkohl, Wirsing, Rosenkohl
Blattrosette/Blätter: Blätterkohl, Grünkohl
Sprossknolle: Kohlrabi
WURZELGEMÜSE
Verdickte Wurzel/Knolle: Haferwurzel, Kartoffel, Möhre, Pastinake, Schwarzwurzel, Topinambur, Taro, Wurzelpetersilien
Rübe: Kerbelrübe, Knollensellerie, Radieschen, Rettich, Rote Bete, Speiserübe
GEMÜSEKÜCHE HEUTE – REGIONAL UND INTERNATIONAL
Der hohe Stellenwert, den Gemüse heute in breiteren Bevölkerungsschichten genießt, ist etwas durchaus Neues. Gemüse litt – abgesehen von einigen Ausnahmen und Moden reicher Leute und an adeligen Höfen – bis weit ins 20. Jahrhundert unter einem miserablen Image. Es galt als das Los derer, die sich nichts „Besseres“, sprich: Fleisch, leisten konnten. Und bei den Ärmeren haftete dem Gemüse jenseits der Hülsenfrüchte, vor allem dem Blattgemüse, der Ruf an, nicht nahrhaft zu sein: Tatsächlich sättigt es ja im Unterschied zu Getreide nicht – zumindest nicht in diesem Maße (was jeder weiß, der einmal eine gemüsebasierte Diät gemacht hat). Deshalb blieb es auch das Stiefkind der Gastronomie und fristete bis ins 20. Jahrhundert ein Dasein als Beilage, höchstens war es Zwischengang oder geduldete, wenigstens farbenfrohe Garnitur der Fleisch- und Fischgänge. Grimod de La Reynière, Autor des „Almanach des Gourmands“, schrieb 1803: „Denn ein Mann, der wirklich des Titels eines Feinschmeckers würdig ist, betrachtet Gemüse und Obst immer nur als Mittel zum Zähnereinigen und Mundspülen, nicht aber als Erzeugnisse, die befähigt wären, einen starken Appetit zu stillen.“
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