Etwa ab 2012 kamen zwei Faktoren zusammen, die das internationale Engagement in Afghanistan weg vom Kampfeinsatz und hin zu einer Aufbau- und Ausbildungsmission für die afghanischen Sicherheitskräfte veränderten. Zum einen hatte das verstärkte Engagement in den ersten Jahren der Obama-Administration vermeintliche Erfolge gezeigt, die zum Optimismus Anlass gaben. Zum Zweiten zeigte sich nach über zehn Jahren des Konflikts eine gewisse Konfliktmüdigkeit bei den ISAF-Mitgliedern, die etwa im Fall Kanadas und Frankreichs zum völligen Rückzug bzw. zum Abzug der Streitkräfte aus der Mission führte. Die NATO gab die Sicherheitsverantwortung schrittweise an die afghanische Regierung zurück, und am 31.12.2014 endete die ISAF-Mission.
6. Operation Resolute Support
Am Folgetag begann die deutlich kleinere Operation Resolute Support (ORS). Ziel dieser Mission war vor allem die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte (TAA – Train, Advise, Assist). Wenn es gelänge, so die Logik der Operation, die afghanische Regierung mit einem schlagkräftigen Sicherheitsapparat aus Militär und Polizei auszustatten, dann könnte die Stabilität im Land von eigenen Kräften gewährleistet werden und würde immer weniger internationales Engagement erfordern. Obgleich die NATO ganz Afghanistan als Operationsgebiet festgelegt hatte, kehrte ORS wieder zu einem eher regionalen Ansatz zurück. Im sogenannten »Nabe-Speichen-Konzept« wurde die Nabe vom Hauptquartier in Kabul gebildet, während die vier Regionalkommandos Nord, Süd, Ost, West als Speichen bezeichnet wurden. Zwar konnte ORS durchaus Erfolge beim Aufbau der Sicherheitskräfte aufweisen, allerdings gab es auch immer wieder Rückschläge von desertierenden Einheiten oder korrupten Strukturen in ~.
7. Der Weg zum Abzug
Ein weiterer amerikanischer Strategiewechsel, der aufgrund der dominierenden Rolle der USA alle in ~ engagierten Nationen betraf, kam mit der Präsidentschaft Donald Trumps. Dieser hatte bereits im Wahlkampf angekündigt, die »unendlichen Kriege« der USA rasch beenden zu wollen und arbeitete gleich zu Beginn seiner Präsidentschaft in diese Richtung. Dabei lag das Problem weniger darin, dass der Präsident das amerikanische Engagement verringern wollte, sondern dass er stets neue Abzugsideen unabgestimmt, meist über Twitter, verkündete. In den ersten beiden Jahren gelang es den erfahrenen Regierungsmitgliedern noch, wie Verteidigungsminister James Mattis, die Vorstöße des Präsidenten zu verwässern oder hinauszuzögern. Nachdem Trump sein Kabinett aber allein mit willfährigen Vertretern bestückt hatte, setzte er seine Ankündigungen ohne Rücksicht auf Verbündete oder die Eigeninteressen der USA um. Dabei mischten sich durchaus vernünftige Vorstöße mit den oft verqueren Initiativen des Präsidenten. Im Juli 2018 begannen die USA Friedensgespräche mit den Taliban in der katarischen Hauptstadt Doha, die vom ehemaligen US-Botschafter Zalmay Khalilzad geleitet wurden. Die Vorgänger Trumps hatten stets direkte Verhandlungen mit den Taliban abgelehnt, da dies die Autorität der afghanischen Regierung untergraben würde – Trump setzte sich über diese Bedenken hinweg. Diese Verhandlungen sahen eine schrittweise Verminderung der amerikanischen Truppenpräsenz in Afghanistan vor, ohne dass die Bedingungen des Abzugs völlig eindeutig waren. Da die US-Streitkräfte für die Unterstützung der übrigen NATO-Mitglieder in Afghanistan unerlässlich sind, würden auch diese schrittweise abziehen müssen. Nachdem Präsident Trump den Friedensprozess einmal platzen ließ, gelang im Februar 2020 ein Durchbruch, der einen Teilabzug auf 8.600 US-Soldaten bis Mitte 2020 vorsah. Trump kündigte zwar im Oktober 2020 noch einmal den Abzug aller Streitkräfte bis Weihnachten an, dieser wurde aber von der militärischen Führung nicht umgesetzt. Stattdessen wurde die Zahl amerikanischer Soldaten bis zum 15. Januar 2021 auf 2.500 gekürzt.
Nach dem Präsidentenwechsel in den USA wurde die Entscheidung zum endgültigen Abzug der USA aus Afghanistan, der zwangläufig auch den Abzug der NATO zur Folge hat, sehr rasch getroffen. In Abstimmung mit den Verbündeten erklärte Präsident Biden im Frühjahr 2021, den militärischen Einsatz in Afghanistan zu beenden und die Truppen bis zum 11. September 2021, also genau 20 Jahre nach dem Angriff auf die Twin Towers in New York, nach Hause zu holen. Die NATO folgte, indem sie am 14. April 2021 ebenfalls ihren Rückzug verkündete. Im August 2021 spitzte sich die Situation in ~ noch einmal dramatisch zu. Die von der internationalen Gemeinschaft ausgebildeten afghanischen Streitkräfte wurden von den herannahenden Taliban überrannt und ergaben sich kampflos. Die Taliban-Führer übernahmen in Kabul innerhalb von Tagen die Macht, nachdem die Regierung geflohen war. Der Deutsche Bundestag mandatierte daraufhin mit großer Mehrheit einen Evakuierungseinsatz mit bis zu 600 Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan, um deutsche und internationale Staatsbürger sowie afghanische Ortskräfte außer Landes zu bringen. Bis zum Ende dieser gefährlichen Mission am 26. August 2021 hatte die Bundeswehr über 5.300 Personen evakuiert.
Grundsatzartikel »Afghanistan«
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Afghanistankonzept der Bundesregierung
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African Union Mission Sudan (AMIS)
Bezeichnung für eine Friedensmission der Afrikanischen Union (AU) in der westsudanesischen Region Darfur zur Überwachung des am 25. April 2004 in N’Djamena (Tschad) von der sudanesischen Regierung, der Sudanesischen Befreiungsbewegung ( Sudan Liberation Movement – SLM/ Sudan Liberation Army – SLA) und der Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit ( Justice and Equality Movement – JEM) vereinbarten Waffenstillstands. Darüber hinaus sollte ~ im Einsatzgebiet der Zivilbevölkerung in unmittelbarer Notlage helfen und humanitäre Hilfeleistungen ermöglichen.
Der Einsatz von ~, die auch eine bewaffnete Schutztruppe umfasste, war vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 30. Juli 2004 mit Resolution 1556 (2004) gemäß Kap. VII der Charta der Vereinten Nationen gebilligt worden. Zuvor hatten am 28. Mai 2004 die Konfliktparteien und die Afrikanische Union in Addis Abeba eine Vereinbarung getroffen, mit der die Erstgenannten dem Einsatz einer AU-geführten Friedensmission zustimmten.
Die AU hatte im August 2004 zunächst 300 Soldaten und 80 Militärbeobachter in den Sudan entsandt (AMIS I). Da mit diesem Einsatz die Lage in der Region nicht beruhigt werden konnte, beschloss der Friedens- und Sicherheitsrat der AU am 20. Oktober 2004 eine weitere Aufstockung des ~-Kontingents (AMIS II).
Das Gesamtkontingent der ~ wuchs bis auf etwa 7.000 Soldaten. Darüber hinaus stellen zahlreiche afrikanische Länder Polizisten bei. Großbritannien, die Niederlande und – seit Dezember 2004 – auch Deutschland unterstützten mit Transportleistungen.
Der Deutsche Bundestag stimmte am 3. Dezember 2004 mit großer Mehrheit einer Beteiligung der Bundeswehr an der Lufttransportunterstützung für ~ mit bis zu 200 Soldaten zu. ~ konnte nie die erhoffte Wirkung entfalten. Grund dafür waren neben fehlendem Friedenswillen der Konfliktparteien vor allem Defizite in der Führung, Struktur, Ausrüstung und Versorgung dieser afrikanischen Friedenstruppe, die dem herausfordernden Szenario in dieser Region, die groß wie Frankreich ist, aber kaum über Transportwege und Infrastruktur verfügt, nicht gewachsen war. ~ wurde am 1. Januar 2008 von der United Nations and African Union Mission Darfur (UNAMID) als Nachfolgemission abgelöst.
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