GESA RENSMANN (HRSG.)
WAHRNEHMUNGSFÖRDERUNG
GRUNDLAGEN UND
MEHR ALS 80 SPIELE
Liebe Leserin, lieber Leser,
schon Leonardo da Vinci wusste: „All unser Wissen gründet sich auf Wahrnehmung. Die fünf Sinne sind die Sachverwalter der Seele“. Dieser Satz gilt heute noch genauso wie zu Lebzeiten des großen Künstlers und Universalgelehrten im 15. Jahrhundert.
Doch noch nie waren die verschiedenen Wahrnehmungsbereiche so unterschiedlich stark beansprucht wie heute. Unsere moderne Welt betont vor allem den Seh- und den Hörsinn, die Bewegungssinne, das Riechen, Schmecken und Fühlen kommen dagegen oft viel zu kurz. Dies betrifft auch schon unsere Kinder. Sie wachsen auf in der in hohem Maße technisierten Welt von uns Erwachsenen.
Gott sein Dank haben aber immer noch viele Kinder die Möglichkeit, draußen zu spielen; einen Schmetterling nicht nur aus dem Fernseher zu kennen, sondern im Garten in der Realität zu erleben; seine Zartheit und seinen sanften, stillen Flug zu beobachten; das feine Kitzeln zu spüren, wenn er auf der nackten Haut landet. All das muss man selbst, mit den eigenen Augen schauen, mit den eigenen Ohren hören und auf der eigenen Haut spüren. Erst im Zusammenspiel all dieser Sinneseindrücke ergibt sich ein Gesamtbild des Schmetterlings, erst dann können Kinder Analogien zwischen ihm und anderen Lebewesen herstellen, erst dann können sie ihre Beobachtungen in einen größeren Lebenszusammenhang einordnen.
Und nicht zu vergessen: Erst durch vielfältige Sinneserfahrungen kann sich auch die Sprache der Kinder entfalten: Wer nicht am eigenen Leib erfährt, was „hart“ oder „weich“, „zart“ oder „rau“ bedeutet, der kann sich auch die Worte dafür nicht richtig einprägen. Sie bleiben für ihn bedeutungslos.
Doch es gibt auch die Kinder, die zu wenige Gelegenheiten haben, immer wieder all ihre Sinne einzusetzen, sie in Beziehung zu setzen und daraus zu lernen. Gerade für diese Kinder ist es wichtig, alle Sinne gleichermaßen ins Spiel zu bringen, sie zu fördern und damit Lernen zu ermöglichen. Wer Kindern eine Sinn-volle Erziehung schenken möchte, muss sich ganz bewusst darum bemühen. Dieses Buch kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten.
Die Spiele in diesem Band sind für den Kindergarten und/oder die Grundschule geeignet.
Gesa Rensmann
Spiele für den Sehsinn und die Auge-Hand-Koordination
Unsere visuelle Wahrnehmung ist heute eigentlich ständig überfordert. Das moderne Leben ist durch ein Übermaß an optischen Reizen gekennzeichnet, ist überall kunterbunt, oft sogar schrill. Das Auge auf etwas ruhen zu lassen, etwas mit Muße zu betrachten – das ist eigentlich kaum noch vorgesehen. Unseren Augen wird heute ein ähnliches hohes Tempo zugemutet, wie es uns das ganze Leben abverlangt: immer schneller immer mehr.
Die Medien geben dabei den Takt an. Vergleichen Sie einmal Fernsehsendungen, die Ihre Kinder ansehen, mit solchen aus Ihrer eigenen Kindheit. So viele Bildschnitte im Sekundentakt wie heute gab es nie zuvor. Wie aber sollen Kinder etwas schätzen lernen, wenn alles nur an ihnen vorbeirauscht, wenn sie keine Chance haben, sich in Ruhe an etwas sattzusehen?
Ruhe und Muße sind auch Voraussetzungen für eine differenzierte Hand-Auge-Koordination. Die im Folgenden vorgestellten Spiele fördern das genaue Betrachten, das Wahrnehmen von Merkmalen, das Zusammenspiel von visueller und taktiler Wahrnehmung und die sprachliche Ausdrucksfähigkeit.
Ziele: Visuelle und akustische Wahrnehmung, taktile Sensibilität
Material: Alltagsgegenstände, Tücher in gleicher Anzahl wie Gegenstände, Musik
Viele unterschiedliche Alltagsgegenstände werden im Abstand von mindestens einem Meter auf dem Boden ausgelegt. Jeder Gegenstand ist mit einem Tuch abgedeckt und dadurch „verzaubert“. Die Kinder laufen zur Musik durch den Raum, ohne dabei die am Boden liegenden Dinge zu berühren oder auf sie zu treten. Stoppt die Musik, ist der Zauber aufgehoben, und der Gegenstand, neben dem die Kinder jeweils stehen, dürfen nun durch Ertasten erraten werden. Um zu kontrollieren, ob man richtig geraten hat, darf dann das Tuch weggenommen werden.
Eins, zwei, drei – Zauberei!
Ziele: Visuelle Wahrnehmung, Merkfähigkeit
Material: Tablett, unterschiedliche Alltagsgegenstände, ein Tuch
Der „Zauberer“, der Spielleiter, zeigt dem Kind, wie gut er zaubern kann: Er zeigt ein Tablett mit vielen verschiedenen Gegenständen darauf. Dann legt er ein Tuch darüber, spricht einen Zauberspruch und zaubert einen Gegenstand weg. Das Kind muss nun nachschauen und erraten, welches davon weggezaubert wurde. Die Anzahl der Gegenstände wird je nach Alter und Entwicklungsstand des Kindes variiert.
Varianten:
Der Zauberer kann auch immer einen Gegenstand dazuzaubern, statt ihn wegzuzaubern. Das Kind versucht nun, den Gegenstand herausfinden, der vorher noch nicht auf dem Tablett gelegen hat.
Der Zauberer nimmt hinter einem vorgehaltenen Tuch an sich selbst eine Veränderung vor, und das Kind versucht diese Veränderung herauszufinden.
Ziele: Visuelle Wahrnehmung, Hand-Auge-Koordination
Material: Papier- oder Pappkarten
Der Spielleiter mischt Karten, auf denen unterschiedliche geometrische Figuren aufgezeichnet sind, z. B. ein Kreis, Dreieck, Viereck, Kreuz usw. Danach zieht er eine Karte und zeigt sie einem Kind, ohne dass er selbst und die anderen Kinder die Figur sehen können. Nun zeichnet das Kind die Figur mit seinen Fingern in der Luft nach. Die Kinder versuchen nun zu erraten, um welche Figur es sich dabei handelt. Danach kommt das nächste Kind an die Reihe.
Variante:
Die Figur wird nacheinander, einmal mit der rechten, dann mit der linken Hand und danach mit beiden Händen, in der Luft gezeichnet.
Wer schafft den Weg blind?
Ziele: Visuelle Wahrnehmung, Koordination und Orientierung im Raum
Material: unterschiedlich große Gegenstände, Rollbrett, Bildkarten, Kreide, Klebeband
Auf dem Boden werden unterschiedliche Gegenstände als Hindernisse verteilt und zwischen diesen wird mit einem Klebeband oder mit Kreide ein Weg markiert. Diesen Weg soll das Kind, das in Bauchlage auf dem Rollbrett liegt, nachfahren. Danach fährt das Kind zum Startpunkt zurück und versucht, den gleichen Weg „blind“ zu fahren. Gelingt dies, wartet ein Bild einer Bildgeschichte. Das Ganze wird nun so lange wiederholt, bis das Kind alle Bilder der Geschichte gesammelt hat. Jetzt wird die Geschichte gemeinsam betrachtet. Vielleicht kann sie sogar in einem Rollenspiel nachgespielt werden. Wenn kein Rollbrett vorhanden ist, kann der Weg auch im Vierfüßergang oder krabbelnd bewältigt werden.
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