Die Schemata, insbesondere die Beziehungsschemata, die persönlichkeitsgestörte Klienten aufweisen, besagen, dass sie in Interaktionen mit Problemen rechnen müssen: Dass sie abgewertet werden, ignoriert, bevormundet usw. Diese Schemata führen damit bei allen persönlichkeitsgestörten Klienten zu einem (mehr oder weniger) ausgeprägten Misstrauen: Die Klienten gehen in die Therapie nicht mit einem Vertrauensvorschuss (»Der Therapeut wird mich schon gut behandeln.«), sondern mit Misstrauen.
Andererseits möchten die Klienten, dass der Therapeut eine gute Beziehungsgestaltung realisiert und das bedeutet auch, sie möchten dem Therapeuten im Grunde vertrauen. Damit sind die Klienten aber in einem Dilemma: Einerseits wollen sie vertrauen, andererseits können sie das wegen ihrer Schemata aber nicht.
Prinzipiell haben die Klienten nun zwei Möglichkeiten, mit dem Dilemma umzugehen: Sie können abwarten, wie sich die Beziehung entwickeln wird und meist nimmt durch die komplementäre Beziehungsgestaltung dann das Misstrauen ab – das tun die meisten Klienten. Oder sie sind ungeduldig und wollen sofort Klarheit: Dann testen sie den Therapeuten.
Tests treten damit nicht sehr häufig auf, aber wenn, dann stellen sie in aller Regel sehr schwierige Situationen für den Therapeuten dar. Besteht ein Therapeut den Test nicht, kann das das Ende der Therapie bedeuten. Daher ist es sehr wichtig, dass ein Therapeut einen Test besteht.
»Test« bedeutet, dass Klienten etwas tun, was die therapeutischen Regeln verletzt, was den Therapeuten provoziert oder was man allgemein in Interaktionen nicht tun sollte: Sie werten z. B. den Therapeuten ab, kritisieren ihn ohne triftigen Grund, überschreiten Grenzen usw.
Klienten testen aber nicht, um Regeln zu verletzen oder um einen Therapeuten zu verärgern: Sie tun das nur, um festzustellen, wie der Therapeut daraufhin mit ihnen umgeht.
Tests sind daher keineswegs »bösartig« und die Klienten machen das auch nicht »zum Spaß«: Sie tun es nur, um für sich selbst Klarheit und Sicherheit zu gewinnen.
Diese Erkenntnis hilft Therapeuten oft, Tests auch nicht persönlich zu nehmen, denn das sind sie nicht: Jeder Therapeut würde in der Situation getestet.
Die Logik des Vorgehens ist Folgende: »Wenn ich den Therapeuten verärgere, kritisiere o. ä. und der Therapeut dann trotzdem freundlich und zugewandt bleibt und die Beziehung nicht kündigt, ist das ein Zeichen dafür, dass ich dem Therapeuten vertrauen kann.«
Tests dienen also nur einem Zweck: Festzustellen, ob ein Klient dem Therapeuten trauen kann. Kann er das, dann kann der Klient sich weiter auf die Beziehung einlassen. D. h. besteht der Therapeut den Test, entwickelt sich die Beziehung weiter. Besteht der Therapeut den Test nicht, verschlechtert sich die Beziehung oder ist sogar zu Ende.
Tests dienen somit zentral dazu, »Sicherheit« zu schaffen an Stellen, an denen die Person misstrauisch ist.
Tests sind immer Prüfungen der Beziehung, sie beziehen sich immer darauf, Einstellungen oder Eigenschaften des Interaktionspartners im Hinblick auf die Gestaltung von Beziehung zu testen. Die Klienten nutzen dabei oft Inhalte für den Test (»Sie verstehen mich nicht.« o. ä.), es geht aber nie um die Inhalte, es geht immer um Beziehung. Daher muss ein Therapeut auch auf der Beziehungsebene reagieren, nicht auf der Inhaltsebene.
Er sollte auch keine Inhalte diskutieren, didaktisieren o. ä.: Das ist alles Unsinn, denn darum geht es dem Klienten nicht. Der Therapeut sollte stattdessen durch eine gezielte Beziehungsbotschaft auf den Test eingehen (s. u.).
Dabei kann der Interaktionspartner auf ganz Verschiedenes hin getestet werden, z. B.:
• Ob er auch in kritischen Situationen zugewandt bleibt.
• Ob er wirklich verlässlich ist.
• Ob er solidarisch ist.
• Ob er kompetent ist.
• Ob er stark genug ist.
• Ob er sich durchsetzen kann usw.
Viele Klienten mit PD realisieren auch in der Therapiesituation (für eine Störung charakteristische) Tests. Diese Tests stellen besonders hohe interaktionelle Anforderungen an Therapeuten: Bestehen Therapeuten diese Tests nicht, verschlechtert sich die Therapeut-Klient-Beziehung und ein Klient kann die Therapie abbrechen.
Alle Klienten mit PD weisen negative Annahmen in ihren Selbst- und Beziehungsschemata auf. Diese Annahmen suggerieren den Klienten, dass es in Beziehungen Probleme geben wird und auch, dass es in der therapeutischen Beziehung die entsprechenden Probleme geben wird.
Je negativer diese Annahmen sind, desto mehr und desto drastischere Probleme erwartet der Klient. Das bedeutet aber, dass der Klient aufgrund dieser Schemata immer ein bestimmtes Ausmaß an Misstrauen dem Therapeuten gegenüber aufweist: Er nimmt an, dass er in bestimmter, unangenehmer Weise vom Therapeuten behandelt werden könnte. Dabei weisen bestimmte Störungen (sogenannte Nähe-Störungen, s. u.) ein eher leichtes Ausmaß, andere Störungen (sogenannte Distanz-Störungen, s. u.) ein eher starkes Misstrauen auf.
Aus diesem Grund muss ein Therapeut in jeder Therapie mit einem PD-Klienten durch gezielte Beziehungsgestaltung erst Vertrauen aufbauen (s. u.).
Wenn ein Klient ein Problem hat, er erkennt, dass er ein Problem hat, dass er das Problem selbst erzeugt und ihn das Problem stört, dann bezeichnet man das Problem als »ich-dyston«: Das Problem steht nicht in Einklang mit der Person. »Ich-dyston« bedeutet damit in aller Regel auch, dass der Klient eine Motivation hat, etwas gegen das Problem zu tun.
Hat eine Person jedoch ein Problem, das ihr Kosten bereitet und nimmt sie nur die Kosten wahr, aber nicht, dass sie Teil des Problems ist, das Problem selbst bedingt oder die Verantwortung für das Problem hat, dann ist die Störung »ich-synton«: Die Störung selbst stört die Person gar nicht, weil sie diese gar nicht als Störung oder als Problem erkennt. Das Einzige, was sie sieht und was sie stört, sind die Kosten. Damit ist die Person dann aber auch gar nicht motiviert, an ihrer Störung zu arbeiten, sondern nur daran, ihre Kosten »irgendwie« loszuwerden: Sie ist damit nicht änderungsmotiviert, sondern »kostenreduktions-motiviert«.
Alle PD sind ich-synton, d. h. alle PD zeigen Probleme mit Änderungsmotivation. Klienten mit PD weisen jedoch oft manipulative Strategien u.ä. auf, die ihnen massive Kosten verursachen. In der Biographie waren diese Strategien aber extrem hilfreich und das sind sie heute z. T. immer noch. Daher kann die Person solche Handlungen nur sehr schwer als problematisch sehen. Die Handlung selbst stört die Person deshalb gar nicht, sie ist »ich-synton«. Die Person sieht zwar die Kosten, erkennt aber nicht, dass sie die Ursache der Kosten ist, dass sie selbst die Kosten erzeugt. Sie attribuiert die Kosten nicht auf sich, sondern auf »Umstände« oder andere Personen.
Damit ist sie oft auch der Ansicht, nicht sie müsse sich ändern, sondern die Interaktionspartner müssten sich ändern. Da die Kosten den Klienten schon stören, ist er meist »therapie-motiviert«, d. h. er ist motiviert, eine Therapie aufzusuchen. Dennoch ist er damit nicht änderungsmotiviert, also er sieht nicht, dass er selbst etwas tun muss. Er möchte oft, dass der Therapeut »die Kosten weg macht« oder eine Lösung präsentiert, für die er sich nicht ändern muss.
Änderungsmotivation, also die Motivation, an sich selbst und seinem Verhalten etwas zu ändern und in der Therapie daran aktiv zu arbeiten oder mitzuarbeiten, setzt voraus, dass man nicht nur Kosten erkennt: »Leidensdruck« erzeugt allein noch keine Änderungsmotivation.
Die Person muss auch erkennen, dass sie selbst Verantwortung für Probleme und Kosten hat, um zu schließen, dass sie selbst etwas tun und ändern muss.
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