Solange sie Kosten und Probleme external attribuiert, sind andere dafür verantwortlich, und dann sollen sich aus Sicht der Person auch die anderen ändern. Änderungsmotivation erfordert also,
• dass man Probleme und Kosten wahrnimmt,
• dass diese einen signifikant stören und
• dass man die Ursachen der Kosten und Probleme auf sich selbst attribuiert.
Ist ein Problem jedoch ich-synton, dann ist genau das aber nicht der Fall: Die Person erkennt nicht, dass sie selbst etwas ändern sollte oder muss.
Damit weisen PD zu Therapiebeginn so gut wie keine Änderungsmotivation auf: Sie wollen ihre Kosten loswerden, wollen aber nichts dafür tun; sie wollen, dass der Therapeut »die Probleme wegmacht«, wollen aber dafür nichts tun. Die Devise ist: »Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!«
Der Klient weist damit eine sogenannte »Kosten-Reduktionsmotivation« auf, d. h. er will lediglich seine Kosten loswerden, unter Umständen auch dadurch, dass sich seine Interaktionspartner ändern. Der Klient kann jedoch auch eine Stabilisierungsmotivation (s. u.) aufweisen, also eine Motivation, gar nichts zu verändern.
Daher muss ein Therapeut davon ausgehen, dass Klienten mit PD keine Änderungsmotivation in die Therapie mitbringen: Zu Therapiebeginn ist Änderungsmotivation gering.
Damit ist Änderungsmotivation ein Therapieziel, keine Therapievoraussetzung: Therapeuten müssen (in der zweiten Therapiephase) eine Änderungsmotivation aktiv schaffen.
Dazu ist es erforderlich, aus einer ich-syntonen eine (zumindest zum Teil) ich-dystone Störung zu machen. Der Klient muss erkennen, dass er nicht nur Kosten hat, sondern dass er Kosten selbst erzeugt und dass er sein Handeln und die dafür verantwortlichen Prozesse aktiv angehen und ändern muss: Er muss erkennen: »Entweder ändere ich was oder ›es‹ ändert sich nichts.«
Die Schaffung von Änderungsmotivation ist damit eine zentrale, aber auch schwierige therapeutische Aufgabe!
2.12 Kurzer Überblick über die Persönlichkeitsstörungen
Wie ausgeführt soll nicht im Detail auf einzelne Persönlichkeitsstörungen oder auf die damit verbundenen spezifischen therapeutischen Strategien eingegangen werden.
An manchen Stellen ist es jedoch unvermeidlich, zumindest oberflächlich auf Unterschiede in den einzelnen Störungen hinzuweisen. Daher soll hier ein kurzer Überblick gegeben und im weiteren Verlauf immer wieder auf spezielle Aspekte einzelner Störungen eingegangen werden.
Es werden zwei Arten von PD unterschieden: Es gibt die sogenannten »reinen Persönlichkeitsstörungen«, also solche, die sich durch rein psychologische Konzepte erklären lassen und für die es rein psychotherapeutische Vorgehensweisen gibt. Diese sind (mit Abkürzungen):
• narzisstisch (NAR)
• histrionisch (HIS)
• dependent (DEP)
• selbstunsicher (SU)
• schizoid (SCH)
• passiv-aggressiv (PAS)
• zwanghaft (ZWA)
• paranoid (PAR)
Außerdem gibt es die sogenannten »hybriden PD«, also solche, für die man psychologische und neuropsychologische Erklärungsansätze benötigt und für deren Behandlung man spezifische Trainingsmethoden braucht. Dies sind:
• Borderline (BOR)
• Psychopathie (PSY)
Auf diese Störungen soll hier nicht weiter eingegangen werden.
Die »reinen PD« lassen sich unterteilen in Nähe- und Distanz-Störungen.
Klienten mit Nähe-Störungen (NAR, HIS, DEP, SU) suchen aktiv Beziehungen, lassen sich auf Beziehungen ein und reagieren vergleichsweise gut auf eine komplementäre Beziehungsgestaltung.
Klienten mit Distanz-Störungen lassen sich nur schwer auf Beziehungen ein, halten Distanz und/oder kontrollieren Interaktionspartner stark. Sie reagieren auch nur langsam auf eine komplementäre Beziehungsgestaltung.
Kurz kann man die einzelnen Störungen wie folgt charakterisieren.
1. Narzisstische PD:
Die Person hat viele Zweifel an sich selbst oder ihren Fähigkeiten (d. h. sie weist ein negatives Selbstschema (SK-) auf). Sie kompensiert dies durch die Entwicklung eines positiven Selbst-Schemas (SK+), also dadurch, dass sie andererseits von sich annimmt, »toll« und »kompetent« o. ä. zu sein.
Sie ist aufgrund ihres negativen Selbstschemas kritikempfindlich, stark bestimmend und oft schnell zu verärgern.
Bei »erfolgreichem« Narzissmus ist die Person hochgradig anstrengungsbereit, handlungsorientiert, entscheidungsfreudig, risikobereit, eher kreativ und wird (im Rahmen ihrer Kompetenzen) auch beruflich erfolgreich.
Bei »erfolglosem« Narzissmus glaubt die Person meist, nichts erreichen zu können und ist nur wenig anstrengungsbereit: Sie bildet damit ein kompensierendes positives Selbstschema, in dem sie annimmt, selbst Fähigkeiten zu haben, die sie nicht hat.
2. Histrionische PD:
Die Person zeigt im Verhalten eine (hohe) Dramatik, ist hoch manipulativ, versucht Aufmerksamkeit zu erlangen und fühlt sich schnell nicht ernst genommen. Sie verfügt meist über eine Vielzahl manipulativer Strategien, setzt viele Regeln und reagiert oft relativ heftig negativ auf Regel-Verletzungen.
Bei »erfolgreicher« Histrionik realisiert die Person überwiegend sogenannte positive manipulative Strategien, also solche, die auf Interaktionspartner zunächst positiv wirken wie attraktiv sein, unterhaltsam sein etc.
Bei »erfolgloser« Histrionik realisiert die Person überwiegend sogenannte »negative Strategien« wie fordern, nörgeln, jammern u.ä.
3. Dependente PD:
Die Person hat massiv negative Beziehungsschemata der Art »Beziehungen sind nicht verlässlich.« und hat dadurch starke Angst, verlassen zu werden. Um Beziehungen zu stabilisieren, vermeidet sie Konflikte, ordnet sich anderen unter, versucht, die Erwartungen von Interaktionspartnern zu erfüllen. Sie kann schwer Entscheidungen treffen und weiß nicht, was sie möchte. Sie versucht mit Interaktionspartnern alle Probleme zu vermeiden, sich durch ihr Handeln »unentbehrlich« und damit eine Beziehung stabil zu machen. Sie zeigt ein hohes Maß an Selbsttäuschung (Sachse, 2020c), indem sie sich selbst vormacht, sich für den Partner aufopfern zu wollen, mit allem zufrieden zu sein und keine Probleme zu haben.
4. Selbstunsichere PD:
Die Person weist negative Attraktivitätsschemata auf der Art »Ich bin nicht männlich/weiblich genug.«, »Ich bin uninteressant.«, »Ich sehe schlecht aus.« u.ä. Die Person hält sich für sozial ungeschickt, unattraktiv; sie fürchtet soziale Blamage und versucht, Aufmerksamkeit zu vermeiden. Vor allem hat sie Annahmen, sie sei für potentielle Partner unattraktiv; sie möchte sehr gerne Kontakt, hat jedoch massive Angst vor Ablehnung. Durch ihr ungünstiges Sozialverhalten erzeugt sie in hohem Maße selbsterfüllende Prophezeiungen und stabilisiert damit stark ihre negativen Schemata.
5. Schizoide PD:
Die Person hat Schemata der Art, dass Beziehungen nichts bringen und sogar unangenehm und gefährlich sind. Die Person geht wenig in Beziehungen, versucht, allein »mit allem klarzukommen«; sie unternimmt viel allein und braucht scheinbar wenig Kontakte. Tatsächlich hat sie jedoch ein Bedürfnis nach Beziehungen, glaubt aber, Beziehungen seien ungünstig und gefährlich. Deshalb hält sie Distanz zu Interaktionspartnern, meist dadurch, dass sie wenig an verbalen, paraverbalen und nonverbalen Signalen zeigt.
6. Passiv-aggressive PD:
Die Person hat Schemata der Art, dass andere ihre Grenzen verletzen werden und sie sich nur schlecht dagegen schützen kann. Die Person fühlt sich schnell bevormundet und kontrolliert. Sie versucht, ihre Grenzen auf unoffene Weise zu schützen, indem sie vorgibt, kooperativ zu sein, sabotiert aber Aktionen verdeckt. Sie ist manchmal pessimistisch (»negativistisch«). Die Person hat ständig Angst, dass Interaktionspartner ihre Grenzen überschreiten und dadurch Schaden anrichten und versucht das mit Strategien unoffener Sabotage zu verhindern.
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