Manipuliert ein Interaktionspartner aber so stark, dass er den anderen »ausbeutet«, dann wird der über kurz oder lang unzufrieden und die Beziehung gerät in eine Krise.
Bei manchen Personen, vor allem bei jenen mit starken Persönlichkeitsstörungen, kommen solche problematischen Manipulationen durchaus vor, insbesondere bei Psychopathien (Sachse & von Franqué, 2019).
Ein Therapeut sollte sich daher immer fragen:
• Wie und wodurch manipuliert ein Klient?
• In welchem Ausmaß manipuliert ein Klient?
• Verletzt er die Reziprozitätsregel?
• Welche interaktionellen Kosten erzeugt der Klient durch seine Manipulation?
Denn: Verletzt ein Klient die Reziprozitätsregel, dann wird das Handeln mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (über kurz oder lang) zu Interaktionsproblemen und damit zu Interaktionskosten führen!
Ein manipulatives Handeln einer Person ist ein ganz spezielles Handeln, für das gilt:
• Dieses Handeln wird von einer Person ausgeführt, um einen Interaktionspartner zu einem für die Person bedürfnisbefriedigenden (komplementären) Verhalten zu veranlassen.
• Die Person glaubt dabei, dass der Interaktionspartner dieses komplementäre Verhalten ohne dieses spezielle Handeln gar nicht ausführen würde.
• Die Person verfolgt dadurch mit ihrem Handeln Absichten, die sie dem Interaktionspartner aber nicht offenlegt, sie möglicherweise sogar tarnt.
• Die Person behauptet dagegen dem Interaktionspartner gegenüber (verbal oder nonverbal), eine andere Absicht zu verfolgen, die sie aber in Wahrheit gar nicht oder nicht zentral verfolgt.
Dadurch wird der Interaktionspartner über die tatsächlichen Absichten der Person getäuscht; er »durchschaut« die Strategie nicht und er hat damit auch nur wenig Wahlmöglichkeiten: Er wird zu etwas veranlasst, von dem er gar nicht weiß, was es ist oder zu etwas, was er gar nicht tun will: Und damit wird er eindeutig manipuliert.
Hat der Interaktionspartner den Eindruck, dass er trotzdem ausreichend von der Beziehung profitiert, muss sich das aber nicht negativ auswirken: Da er auch manipuliert, gleicht sich das wieder aus.
Fühlt sich der Interaktionspartner jedoch ausgenutzt o. ä., dann wird die Manipulation »interaktions-toxisch«.
Manipulatives Handeln wird durch sogenannte Images und Appelle vermittelt: Diese beiden Strategien sind die Grundelemente jeder Manipulation.
Images und Appelle sind Botschaften, die die manipulierende Person an den Interaktionspartner »sendet«, um ihm ein bestimmtes Bild von sich zu vermitteln (Image) und um ihn zu bestimmten Handlungen zu veranlassen (Appell).
Images und Appelle sind »Beziehungsbotschaften«, sie werden auf der Beziehungsebene übermittelt und es sind vornehmlich implizite Botschaften, d. h. sie werden vermittelt durch Gestik, Mimik, Körperhaltung, Sprechweise, Stimmlage usw. und nur zu einem Teil über verbale Texte.
Macht eine Person ein Image auf, dann versucht sie, beim Interaktionspartner ein bestimmtes Bild von sich aufzubauen: Dadurch gibt sie dem Interaktionspartner vornehmlich solche Botschaften, die geeignet sein können, dieses Bild aufzubauen und sie versucht, solche Botschaften zu vermeiden, die dem Bild widersprechen könnten.
So kann sie z. B. die Absicht haben, beim Interaktionspartner das Bild aufzubauen, sie sei schwach, leidend, hilflos: Dann gibt sie dem Interaktionspartner Informationen folgender Art:
• Sie erzählt ihm, wie schlecht es ihr geht, welche Schmerzen sie hat.
• Sie berichtet, dass sie selbst versucht hat, ihre Probleme zu lösen, dass sie es aber nicht geschafft hat.
• Sie tut kund, dass sich ihr Zustand kontinuierlich verschlimmert usw.
Sie macht dieses Image aber keineswegs nur verbal deutlich, vielmehr
• wird sie das alles mit leidender, weinerlicher Stimme erzählen, die manchmal brüchig wird und versagt,
• wird sie bei der Erzählung ein leidendes Gesicht präsentieren, mit tiefen Sorgenfalten,
• wird sie gebeugt sitzen, niedergedrückt, sodass man ihr das Leiden ohne Schwierigkeiten ansehen kann.
Daher muss man deutlich machen: Die Präsentation eines Images ist ein Gesamtkunstwerk, bei dem verbale, paraverbale und nonverbale Aspekte verwendet werden und zusammenwirken.
Ein Image wird präsentiert durch verbale, nonverbale und paraverbale Kommunikation, also z. B.
• durch den Text, den man produziert, durch Wortwahl, Ausdruck,
• durch Stimmlage, Stimmhöhe, Modulation, Pausen, sogenannte »angehauchte Konsonanten« (»Ich weiß nicht, wie lange ich noch hhhhhier bin.« u.ä.),
• durch Stöhnen, Schluchzen, Heulen (von sehr dezent bis massiv),
• durch Mimik, Gestik, Körperhaltung,
• durch Kleidung oder Accessoires (wie große Agenda, riesiger Aktenkoffer, teure Uhr usw.).
Appelle sind solche Botschaften von Personen an Interaktionspartner, die letztere zu Handlungen veranlassen sollen: Die Interaktionspartner sollen dazu veranlasst werden, sich komplementär zu verhalten.
Interaktionspartner können aber auch durch Appelle dazu veranlasst werden, bestimmte Handlungen nicht auszuführen, sie zu unterlassen: In der Regel sollen sie solche Handlungen unterlassen, die Images in Frage stellen oder Bedürfnisse der Person frustrieren können.
Appelle werden noch in weit stärkerem Ausmaß implizit gesendet als Images: Dies beruht wahrscheinlich darauf, dass Appelle in aller Regel auf Images aufbauen und es daher von den Images zu den Appellen nur noch ein kleiner Schritt ist: Stellt sich jemand als hilflos dar, dann bedarf es in der Regel nur noch eines leisen Stöhnens, um den Interaktionspartner aufzufordern, einzugreifen. Natürlich können Appelle auch als explizite, verbale Aufforderungen formuliert werden, aber das ist eher die Ausnahme: Eher stöhnt die Person, um dem Partner zu zeigen, dass sie Hilfe braucht, macht schon durch ihr Leiden deutlich, dass man sie erlösen soll usw. Meist werden explizite Appelle erst dann gegeben, wenn die Impliziten »nicht (mehr) funktionieren«.
2.7 Manipulationen im Therapieprozess
Haben Klienten in nennenswerter Weise manipulative Strategien in ihrer Biographie gelernt, dann muss man annehmen, dass sie diese auch in vielen Interaktionssituationen einsetzen (hoch automatisiert, oft nicht bewusst). Wahrscheinlich werden sie diese Strategien immer dann einsetzen,
• wenn sie interaktionelle Motive befriedigt haben wollen,
• wenn sie annehmen, dass der Interaktionspartner diese nicht ohne diese Strategien befriedigen wird und
• wenn sie annehmen, dass der Interaktionspartner sich komplementär verhalten wird.
Daher kann man annehmen: Klienten mit PD werden Therapeuten gegenüber mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit vom Beginn des Therapieprozesses an manipulative Handlungen realisieren; sie werden also in hohem Ausmaß Images und Appelle realisieren und versuchen, den Therapeuten zu einem komplementären Verhalten zu veranlassen.
Denn aufgrund ihrer Schemata werden sie annehmen, dass authentisches Handeln nichts bewirkt, dass manipulatives Handeln jedoch zielführend ist.
Auch im Hinblick auf den Therapeuten muss man annehmen, dass Klienten ein »doppeltes Überzeugungssystem« haben: Einerseits wissen sie, was Therapeuten in der Regel tun oder nicht tun. Das ist aber irrelevant, da Therapeuten als Interaktionspartner eben Schemata automatisiert aktivieren und damit die rationalen Erkenntnisse »schreddern«: Damit werden Schemata und Strategien auch auf den Therapeuten in vollem Umfang angewandt.
Interaktionstests oder Tests sind bestimmte Handlungsstrategien, mit deren Hilfe Klienten mit Persönlichkeitsstörung herausfinden wollen, wie der Therapeut zu ihnen steht.
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