Kanzler Konrad Adenauer und Staatssekretär Hans Globke: Aufregung um angebliche Terroristenschule in Deutschland .
Nach der Order von Adenauer aktiviert der BND umgehend seine offiziellen Verbindungsleute und Quellen in der deutschen Bundeswehr, darunter einen BND-Mitarbeiter mit dem Decknamen „Horn“. Dahinter verbirgt sich Adolf Heusinger (1897–1982), Org.-Mitarbeiter und zu diesem Zeitpunkt erster Generalinspekteur der deutschen Bundeswehr. Heusingers schriftliche Antwort ist eindeutig: Es kann mit Sicherheit eine Beteiligung deutscher Offiziere sowohl in Uniform als auch in Zivil bei Ausbildung der Südtiroler Attentäter ausgeschlossen werden.
Im Fernschreiben an Reinhard Gehlen heißt es dann:
Die Erkenntnisse wurden Globus 15 Minuten nach Übergabe des Telegramms der Botschaft mitgeteilt. Aufgrund dieser Sachlage hielt er für ausgeschlossen, dass nunmehr seitens der Italiener offizielle Vorstellungen [sollte wahrscheinlich Vorwürfe heißen – Anm. d. Autors] erhoben werden können. Er bittet BND nur noch um Feststellung, ob und in welchem Umfang etwaige ehemalige deutsche oder österreichische Offiziere an der Ausbildung führend teilnehmen. 7
Keine sieben Tage später liegt dieser Bericht vor. Verfasst vom Leiter der Abteilung „Politische Beschaffung“ im „Strategischen Dienst“, Kurt Weiß (1916–1994, DN „Winterstein“ und Tarnziffer „181“). „Winterstein“ ist zudem Stellvertreter von Wolfgang Langkau (1903–1991), dem Leiter des „Strategischen Dienstes“ und ein Intimus von BND-Chef Reinhard Gehlen. Berühmtheit erlangte Weiß, weil er persönlich jahrzehntelang die Pressekontakte des BND führt. Es sind fast 100 Journalisten und Journalistinnen, die auf der Payroll des deutschen Nachrichtendienstes stehen. 8
Der Bericht von Kurt Weiß liefert detaillierte Informationen:
Nach Berichten verschiedener gut orientierter Quellen, die soeben nochmals bestätigt wurden, sind an der Ausbildung von Terroristengruppen keine deutschen Offiziere beteiligt. Es ist bekannt, dass ein Major des österreichischen Bundesheeres bis zu seiner kürzlich erfolgten Reaktivierung Gruppen der Untergrundbewegung geschult hat .
An der Ausbildung sind österreichische ehemaliger Offiziere der früheren Wehrmacht beteiligt, jedoch nur, soweit Schulungen und Übungen auf österreichischem Boden stattfinden. Die Ausbildung in Südtirol wird ausschließlich von Südtirolern durchgeführt. Unter diesen Ausbildnern sollten allerdings ehemalige Optanten für Deutschland (italienischer Staatsangehörigkeit) sein .
Anfang November 60 fand, wie im Einzelnen ermittelt werden konnte, in einem Gebirgstal in Nordtirol eine mehrtägige Übung für Angehörige illegaler Gruppen statt, deren Teilnehmer im Handgranatenwerfen und am MG von zwei ehemaligen Pionieroffizieren ausgebildet wurden. Auch in Südtirol fanden zur gleichen Zeit Übungen statt, z. B. in einem Ausbildungslager in Mühlwald bei Bruneck und im Pfitschtal. 9
Dem BND gelingt es damit, die möglichen Anschuldigungen Italiens zu entkräften und das Bundeskanzleramt zu beruhigen. Aus dem Aktenbestand in Pullach geht jedoch hervor, dass das Thema „Ausbildung und Unterstützung der Südtirol-Terroristen in Deutschland“ in den nächsten sechs Jahren immer wieder aufbranden wird. Mehrmals muss der BND entweder auf Weisung des Bundeskanzleramtes oder auf direkte Anfrage des italienischen Partnerdienstes SIFAR tätig werden, um öffentliche Vorwürfe italienischer Stellen zu entkräften. In fast allen Fällen gelingt das auch.
Der Bericht von Kurt Weiß macht deutlich, dass der BND bereits in der Organisationsphase des „Befreiungsausschusses Südtirol“ über detaillierte Informationen aus dem Innenleben der illegalen Untergrundbewegung verfügt. „Winterstein“ beschließt das Schreiben an seinen Chef Reinhard Gehlen mit dem vielsagenden Satz:
Über die bestehende Untergrundbewegung in Südtirol liegen noch zahlreiche Einzelerkenntnisse (über Ausbildung, Absichten usw.) vor, die zusammengestellt und nachgemeldet werden können. 10
Der Leiter der „Politischen Beschaffung“ kann nämlich auf ein ganzes Netz von Informanten, Agenten und Zuträgern zurückgreifen, die periodisch Berichte aus und über Südtirol liefern. Allein zwischen 1956 und 1969 lassen sich über 50 verschiedene Personen ausmachen, die als V-Leute beim BND registriert sind und zumeist für Geld jahrelang Informationen über Südtirol liefern. Das inhaltliche Spektrum reicht dabei von detaillierten Beschreibungen der Personen, die sich im BAS engagieren, über Meldungen zu geplanten Anschlägen bis zu rein politischen Berichten über die Südtiroler Volkspartei (SVP) und ihre verschiedenen parteiinternen Grabenkämpfe.
In den Akten finden sich auch Berichte von sogenannten Sonderverbindungen (SV). Es sind BND-Mitarbeiter mit einem besonderen Status, zu deren Aufgabe es auch gehört, Stellungnahmen zu Berichten anderer Informanten zu verfassen. So finden wir Berichte, die über 30 Seiten lang sind und etwa die politische und gesellschaftliche Situation in Südtirol rund um Sprengungen in der sogenannten Feuernacht im Juni 1961 detailgenau beschreiben und analysieren. Anhand der Pullacher Akten lassen sich aber auch bisher unbekannte einzelne Operationen nachzeichnen, die der BND zum Südtirol-Komplex geplant und durchgeführt hat.
Es würde den Rahmen dieses Buches sprengen, auf die Vielzahl der Informanten detailliert einzugehen. Anhand einiger Fallbeispiele von V-Leuten, die im Südtirol-Komplex eine besonders wichtige Rolle spielen, soll die Spitzelarbeit des BND rund um Südtirol anschaulich gemacht werden. So etwa stammt die Information über die BAS-Ausbildung in Nord- und Südtirol aus einem Bericht des Informanten „V-21 503“. Der BND-Zuträger meldet am 24. November 1960:
Die illegale Bewegung in Südtirol erfährt weitgehende Unterstützung von Nordtirol. Im Kreis der deutschen Politiker in Südtirol wird erklärt, dass diese Unterstützung von Innsbruck her die eigentliche Hauptgefahr sei; ohne diese Unterstützung wäre die Entwicklung in Südtirol gar nicht so sehr forciert worden. Vor einigen Wochen fand in einem Gebirgstal in Nordtirol ein mehrtägiges Manöver für Angehörige der illegalen Bewegung statt, dessen Teilnehmer in Handgranatenwerfen und am MG ausgebildet wurden. Auch in Südtirol fanden in letzter Zeit Übungen statt, so in einem Ausbildungslager in Mühlwald. Eine weitere Gefechtsübung wurde im Tauferertal und eine dritte in Passeier durchgeführt. 11
Der BND-Informant führt im Bericht zudem aus, dass die Nordtiroler Polizei kurzzeitig zwei junge Burschen verhaftet habe, die Sprengstoff nach Südtirol schmuggeln wollten, und dass die Sache in Österreich bewusst vertuscht wird.
Hinter „V-21 503“ verbirgt sich der deutsche Journalist und Schriftsteller Ernst Christoph Schepky (1897–1970). 12Auch er ist einer derjenigen ehemaligen Nazis, die im Nachkriegsdeutschland im BND eine zweite berufliche Heimat finden. Der in Kieslingswalde in Schlesien (heute das polnische Sławnikowice) geborene Schepky meldet sich im Ersten Weltkrieg als Kriegsfreiwilliger und gerät in der Türkei in englische Kriegsgefangenschaft. Danach arbeitet er als Schriftleiter und als Korrespondent verschiedener Zeitungen. Ab 1930 lebt er in Wien und engagiert sich dabei offen für die NSDAP. Im August 1933 wird er aus Österreich ausgewiesen, weil er „vertrauliche Lageberichte“ veröffentlicht hatte. Nach seiner Ausweisung geht er nach Budapest, wo er ab Mai 1937 Pressereferent und Kulturreferent der Landeskreisleitung der NSDAP in Ungarn wird. Mit dem Anschluss Österreichs an Deutschland kehrt Ernst Christoph Schepky nach Wien zurück und arbeitet als „Südostberichterstatter“ für eine Reihe reichsdeutscher Zeitungen, wie der „Essener National-Zeitung“ oder dem NS-Kampfblatt „Volksgemeinschaft: Heidelberger Beobachter“. Auch nach 1945 ist er offiziell weiterhin als Journalist tätig. Zwischen 1954 und 1960 betreibt er in Stuttgart ein „Büro für Presseauswertung“ und fungiert ab 1966 als Herausgeber und Chefredakteur einer „Internationalen Presseschau“. 13
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