In Wirklichkeit aber sind diese offiziellen Tätigkeiten nur eine Legende für seine Arbeit für den BND. Ernst Christoph Schepky arbeitet jahrelang als Informant und Mitarbeiter des deutschen Nachrichtendienstes. So ist er dauerhaft etwa für den BND in jener Abteilung tätig, die Spionage gegen die Tschechoslowakei betreibt. Dort arbeitet er eng mit dem BND-Abteilungsleiter Ernst Worm („V-3597“) zusammen. Aber auch Südtirol ist ein bevorzugtes Einsatzgebiet von Ernst Christoph Schepky. „V-21 503“ ist dabei äußerst vielseitig einsetzbar. Mit besten Kontakten in Wien – wo der ehemalige Nazi als Vertrauensjournalist der Sozialdemokratischen Partei Österreichs SPÖ gilt – gelingt es ihm, genauso eine Analyse über die Wiener Südtirol-Politik für Pullach anzufertigen wie über BAS-Interna zu berichten. Immer wieder taucht Schepky zwischen 1960 und 1967 für Recherchen auch in Südtirol auf. Schon bald wird er zum gefragten Ansprechpartner für viele SVP-Politiker und gewinnt deren Vertrauen.
Artikel von Ernst Christoph Schepky in NS-Blatt (rechts): Nach dem Krieg jahrelang für den BND als Südtirol-Informant tätig .
In einem Begleitbericht schreibt Schepkys Vorgesetzter Ernst Worm im November 1967:
Quelle weist darauf hin, dass sie Anfang Dezember Gelegenheit haben wird mit [Name geschwärzt – Anm. d. Autors] zusammenzutreffen und sich auch hinsichtlich dieser „neuen Aspekte“ des Südtirol-Problems eingehend zu informieren. Anschließend wird Quelle mit ihr persönlich nahestehenden führenden Persönlichkeiten der Südtiroler Volkspartei (SVP) beziehungsweise der Südtiroler Landesregierung – anlässlich der Tagung des Landesvorstandes der SVP – zusammentreffen. 14
„V-21 503“ meldet alles, was er erfährt, nach Pullach. Manchmal sind es ein halbes Dutzend Berichte, die er in einer Woche aus Bozen oder Wien dem BND übermittelt. In einer seiner ersten Meldungen denunziert er den in Südtirol verheiratete deutschen Schriftsteller und Rundfunkautor Otto Heinrich Klingele (1917−1995) als einen Unterstützer des BAS. 15Im November 1960 fertigt Schepky eine längere Analyse der Ergebnisse der Südtiroler Landtagswahlen vom 6. November 1960 an und informiert Pullach mehrmals über die Tätigkeit und Funktion von Wolfgang Pfaundler im BAS. Bereits im Mai 1960, also ein Jahr vor den Bombenanschlägen der Feuernacht, schreibt Ernst Christoph Schepky in einem BND-Bericht über den BAS:
Nach wie vor besteht eine Untergrundbewegung in Südtirol. Ihre zahlenmäßige Stärke und ihre faktische Stoßkraft sind jedoch nicht festzustellen. Zur Beurteilung dieser Frage ist ferner die Feststellung wichtig, dass häufig eine radikale Auffassung, besonders bei jüngeren Angehörigen der Volksgruppe, herrscht, dass diese radikale Auffassung aber nicht gleichgesetzt werden kann mit einer bestimmten militärischen oder auch nur aktivistischen Potenz. […] Die Untergrundbewegung verfolgt im Wesentlichen folgende Ziele: Es ist falsch und zu verurteilen, Sprengstoffanschläge gegen Eisenbahnen oder Kasernen der Italiener zu unternehmen. Es ist zu vermeiden, dass durch derartige Aktionen Menschen zu Schaden kommen. Vielmehr erscheint es zweckmäßig, Hochspannungsleitungen auf größere Strecken hin zu zerstören, um dadurch wirtschaftliche Verluste herbeizuführen: Verluste, die in erster Linie italienische Betriebe treffen, die auf diesen Strom angewiesen sind. […] Es scheint bereits ein entsprechender Plan ausgearbeitet zu sein. Es steht aber nicht fest, ob eine einheitliche Leitung derartiger Aktionen gesichert ist. In der Untergrundbewegung wird betont, dass Österreich und die BRD die moralische Verpflichtung hätten, in einem solchen Fall die Stimme zu erheben. Die großen weltpolitischen Probleme werden überhaupt nicht berücksichtigt: die Südtiroler können nicht warten, bis eine Änderung der internationalen Konstellation eingetreten sei. 16
„V-21 503“ beschreibt Ende 1960 die Situation und die Gangart im BAS äußerst realistisch und er informiert seinen Dienstgeber auch darüber, dass man innerhalb der Attentätergruppe bereits jetzt konkret über eine finanzielle Unterstützung der Familien aus Österreich und Deutschland nach möglichen Verhaftungswellen diskutiere.
Fortsetzung
Der deutsche Journalist Herbert Lucht ist eine der Spitzenquellen des BND in Sachen Südtirol. Gleichzeitig arbeitet Lucht aber auch für die tschechoslowakische Staatssicherheit StB .
Das Schreiben geht an Bruno Kreisky (1911–1990) persönlich. Der Absender: Herbert Lucht. Der Journalist übermittelt dem österreichischen Außenminister die Abschrift eines Interviews, das er kurz vorher mit ihm geführt hat, und einen weiteren Artikel über einen Vortrag von Kreisky in Budapest. Dass Lucht einen besonderen Draht zu Kreisky hat, geht aus dem Begleitschreiben hervor. Dort schreibt der Journalist:
Inzwischen hatte ich durch einen Zufall mit dem übergeschnappten Dr. Burger Berührung (in der Bundesrepublik allerdings), der mir großzügig sogar ein „Interview“ gewährte. Vielleicht haben Sie in den Zeitungen darüber gelesen. In Südtirol – doch das, bitte, nur zu Ihrer persönlichen Information – lagern 2.000 kg Sprengstoff („Für weiteren Nachschub ist gesorgt …“), die durchwegs aus Österreich stammen sollen. In einem persönlichen Gespräch bin ich gerne bereit, Ihnen nähere Angaben zu machen. Interessant mag vielleicht noch sein, dass Mittelsmänner der sowjetischen Botschaft in Wien 1960, bereits vor der ersten „Terrorwelle“ also, an die „Bumser“ herangetreten seien und ihnen finanzielle und auch materielle Unterstützung unter der Bedingung zugesagt haben sollen, dass sie ihre „Aktionen“ auch auf die in Südtirol befindlichen Nato-Basen ausdehnten. Sie hätten diese Forderung abgelehnt und seither die Feindschaft der Kommunisten gegen sich. 17
Bruno Kreisky nimmt das Schreiben so ernst, dass er den Brief mit einem großen P versieht, was so viel wie „Panzerschrank“ bedeutet.
Herbert Lucht ist ein Vollblutjournalist. Der 1925 in Danzig geborene Lucht lebt seit Mitte der 1950er-Jahre in Wien und arbeitet dort als Korrespondent für ein Dutzend deutscher Zeitungen. Seine Artikel erscheinen im „General Anzeiger“ (Bonn), im „Wiesbadner Kurier“, in der „Passauer Neuen Presse“, im „Echo der Zeit“ aber auch in der „Züricher Woche“, der Münchner Wochenzeitung „Aktuelle“ oder der Wiener „Wochenpresse“. Lucht schreibt über österreichische Innenpolitik, beginnt sich ab 1960 aber auch brennend für Südtirol zu interessieren. Immer wieder hält sich der Wiener Journalist in Südtirol auf. Im Frühjahr 1962 kommt es zu einem Zwischenfall, der internationales Aufsehen erregt. Herbert Lucht schreibt für die „Wochenpresse“ unter dem Titel „Schmutzige Hände“ einen Artikel über die Misshandlungen der Südtiroler BAS-Leute in den Carabinieri-Kasernen. Der Artikel erscheint am 17. Februar 1962 und wird in den Wochen darauf von unzähligen Zeitungen im deutschsprachigen Raum übernommen.
Unmittelbar nach Erscheinen des Artikels leitet die Staatsanwaltschaft Bozen Ermittlungen gegen Herbert Lucht wegen Schmähung der Carabinieri und der italienischen Gerichtsbarkeit ein. Als sich der deutsche Journalist im April 1962 wieder in der Südtiroler Landeshauptstadt aufhält, wird er in die Quästur gebracht und dort vom Leiter der politischen Polizei Giovanni Peternel (*1915) verhört. Die Staatsanwaltschaft erhebt später auch Anklage gegen Herbert Lucht. Als prominente in- und ausländische Journalisten eine Solidaritätskampagne für ihren Kollegen lostreten und der Fall international zum Thema gemacht wird, schlägt man das Verfahren still und leise nieder. 18
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