Komm schon, Mann, ich will nicht wissen was hilfreich wahr, sondern was so zwingend ist, dass die „Wächter der Schöpfung“ mich da runter schicken. Vielleicht ist es ja sogar der Schlüssel zu meiner Traumbotschaft.
»Für uns entscheidend ist aber das sehr schnelle Eingreifen des US-Pharmaunternehmens ERHC, das sich in Afrika bereits seit über zwanzig Jahren auf dem Gebiet der Krankheits- und Arzneimittelforschung engagiert. Deren offizielles Leitmotiv ist es, dort zu forschen, zu testen und zu entwickeln, wo entsprechende Medikamente den betroffenen Menschen auch helfen sollen. Dieser Grundsatz ist im Übrigen auch in den Buchstaben ERHC enthalten: „Environmental Research for Human Care“, also übersetzt so viel wie „Umweltforschung zum Wohle des Menschen“. - Diese Leute haben strengste Quarantäne-Bestimmungen im nördlichen Teil des Departement durchgesetzt, die von beninischem und französischem Militär umgesetzt werden. Alle Zugangswege einschließlich des Luftraumes wurden hermetisch abgeriegelt. Nun zum spannendsten Teil: Die ERHC hat einen experimentellen Impfstoff eingesetzt, der noch nach Krankheitsausbruch wirksam zu sein scheint. Die Quarantäne soll so lange bestehen bleiben, bis keine Neuerkrankungen mehr gemeldet werden und alle verbliebenen Opfer geheilt sind.«
Kaster und Konstantin sahen zu, wie ihr Agent sich erhob, um sich seine Meinung ziellos auf und ab gehend zu bilden. Als er sich mit dem Rücken an eine der Wände gelehnt hatte, suchte er abwechselnd Blickkontakt zu den Gesprächspartnern: »Es dauert doch Monate, bis man genügend Impfstoff kultivieren und herstellen kann – vorausgesetzt man hatte vorher ausreichend Zeit, um Herkunft, Charakter und Wirkungsweise des Erregers zu entschlüsseln. Im Fall der ERHC würde das also heißen, man hätte schon viel länger von der Existenz exakt dieses Erregers gewusst. Und dann ginge es in Benin nicht um eine neue Krankheit. Und warum greift diese Seuche gerade dort um sich, wo verhältnismäßig wenig Menschen leben und kaum Bevölkerungsaustausch stattfindet? Das Departement Atakora ist ja nicht gerade ein internationaler Knotenpunkt. Außerdem, na ja ohne Experte zu sein, ich würde so einen Erreger eher im Regenwaldgebiet des Kongobeckens vermuten – Demokratische Republik Kongo, Kamerun, …«
»… oder Gabun«, führte der Verlagschef zu Ende. »Ja, das hat uns auch beschäftigt. Und siehe da, unser Netzwerk in Benin hat uns Informationen geliefert, wonach das besagte Pharmaunternehmen nicht nur eine Afrikazentrale in Benins Wirtschaftszentrum Cotonou unterhält, sondern auch kleinere Niederlassungen und Büros in Ländern des Kongobeckens – nicht unter der Firmierung ERHC, wohlgemerkt. In einer halboffiziellen Unternehmensinformation heißt es knapp, man sei dort bereits vor drei Jahren auf dieses neuartige Virus gestoßen. Man sei außerdem in der Holzwirtschaft vor Ort aktiv, quasi als stiller Teilhaber. So wolle man die Chance nutzen, in neu erschlossenen Gebieten nach unbekannten tropischen Heilpflanzen und Krankheitserregern zu forschen …«
»Mit Verlaub, das stinkt doch zum Himmel«, fiel Bonifacius ihm höhnisch auflachend ins Wort. »Zum Wohle der Afrikaner rodet ein US-Pharmariese afrikanischen Regenwald. Wer kauft denn so was?!«
»Na zunächst einmal jeder, der davon profitiert«, übernahm Katrin Kaster das Wort. »Folgenden Vorfall haben wir recherchiert: In einem der Holzfäller-Camps tief in den Regenwäldern Gabuns – die Einheimischen nennen das Gebiet Bienenwald und meiden es, weil angeblich nie ein Mensch von dort zurückgekehrt ist – ist der jetzt wieder aktive Erreger erstmals ausgebrochen. Alle Infizierten sind damals noch vor Ort verstorben. Aufgrund der akuten und absolut tödlichen Ansteckungsgefahr hat man Leichen und Camp restlos verbrannt und das Gebiet zur Todeszone erklärt – inklusive Nachrichtensperre. Zuvor hatte die ERHC noch Blut- und Gewebeproben entnommen, um mit der Erforschung beginnen zu können. – Wir haben die Geschichte mit unseren Kontaktleuten in Benin und Zentralafrika abgeglichen. Es ist tatsächlich passiert, und die ERHC hat diese Information unter dem Eindruck der aktuellen Krisensituation auch so an die Regierung Benins und die WHO kommuniziert – als Geheimdossier.«
Andreas Konstantin wartete ab, bis sich „Shango“ wieder gesetzt und den Rest seines Fruchtsaftes ausgetrunken hatte. In der Tat schien alles an der ERHC koscher zu sein. Aber alles, was in einer Krise zu perfekt daherkam, ließ auch ihn zweifeln. Nichtsdestotrotz waren Zweifel zunächst nur Vermutungen.
»Fakt ist, mit der Unternehmensinfrastruktur und einem Zeitfenster von drei Jahren hätte man einen wirksamen Impfstoff herstellen können. Und der Krankheitserreger könnte durchaus natürlichen Ursprungs sein. Nicht umsonst sagen Experten dieses Jahrhundert als das der unbekannten Krankheiten voraus. Schauen wir uns doch die fortschreitende Regenwaldvernichtung an. Mit Eindringen in unberührte Urwaldgebiete nimmt das Phänomen zwangsläufig zu.«
»Trotzdem sitzen wir hier zusammen«, ließ sich Bonifacius nicht beirren. Er spürte, dass das Wesentliche noch immer nicht gesagt worden war.
Darüber musste nun das Ratsmitglied lachen. »Sehr richtig, das tun wir. – Weil sich die ERHC gerade so erfolgreich als alleiniger Lebensretter und Heilsbringer inszenieren kann, wird sie niemand in Frage stellen. Aber Pharmariesen streben letztlich immer nach Gewinnmaximierung. Diese Zunft hat schon die Lebensmittelindustrie erobert, und verbrecherische Arzneimittelforschung an lebenden Testpersonen in Ländern Afrikas ist ein offenes Geheimnis. Weshalb sollte der nächste Schritt also nicht sein, Menschen gezielt krank zu machen, um sie anschließend mit exorbitantem Profit wieder zu heilen? Ein Szenario wie jetzt in Benin gibt der ERHC alle Trümpfe in die Hand. Und was könnte die Verantwortlichen davon abhalten, die biologische Bombe als nächstes in Cotonou, Kapstadt oder überall auf der Welt zu zünden? Monopolstellung und beste Reputation lässt sie über jeden Zweifel erhaben erscheinen.«
»Und was noch?«
Konstantin sah zur Sicherheitschefin hinüber, um ihr das letzte Wort zu überlassen. Ein Spiel, welches beide bestens beherrschten. »Innerhalb der letzten zwei Jahre sind zwei leitende Angestellte von ERHC Afrika und ein hoher Beamter des beninischen Gesundheitsministeriums ums Leben gekommen. Der Regierungsbeamte war für alle ausländischen Unternehmen und Organisationen zuständig, die in Benin im Gesundheitsbereich tätig sind – also auch für die ERHC. Eine weitere Verbindung sind die mysteriösen Todesumstände. Der Regierungsmann sprang aus dem sechsten Stock seines Bürofensters, kurz nachdem er gutgelaunt eine Besprechung mit Repräsentanten verschiedener Firmen verlassen hatte. Er stand kurz vor der Nominierung für ein höheres Regierungsamt, war beliebt und galt als unbestechlich. Laut Sekretärin war niemand bei ihm im Zimmer, als es geschah. Der erste Angestellte unseres Pharmaunternehmens brach urplötzlich mit Schmerzen im Bauchbereich zusammen. Während der Fahrt in eine Privatklinik hat er sich unter Krämpfen die eigene Zunge abgebissen. Kurz darauf ist er verstorben. Zur Todesursache konnte oder wollte das Klinikpersonal keine genauen Angaben machen. Dann der zweite ERHC-Angestellte, der dem Wahnsinn verfallen sein soll. Es begann wohl damit, dass er nur noch mit imaginären Wesenheiten sprach. Er wurde schreckhaft und nervös, bekam Schweißausbrüche und zitterte. Nach wenigen Tagen war seine Sprache für niemanden mehr verständlich. Am Ende fand ihn seine Ehefrau Tod und unnatürlich verkrampft auf dem Schlafzimmerboden.«
Das Gehörte war Bonifacius nicht fremd, unabhängig von seinem jüngsten Traum. Die Angst davor gehörte in Westafrika zum alltäglichen Leben. Von seinem beninischen Adoptivvater wusste er, dass man hinter vorgehaltener Hand auch von der „Afrikanischen Krankheit“ sprach. Doch was hatten Aberglaube und spirituelle Kräfte mit einem westlichen Pharmaunternehmen und einer tödlichen Seuche zu tun?
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