(Phero, 1357 - 1291.)
111. Nach dem Ende des Sesostris, sagten sie, sey an seinen Sohn Phero das Königthum gekommen; der durch keinen Kriegszug sich ausgezeichnet, aber den Unfall gehabt hat, blind zu werden durch folgende Geschichte. Als damals gerade der Fluß, im höchsten Stand bis auf achtzehn Ellen, die Felder überschwemmte, warf sich ein Sturmwind drauf, und der Fluß gerieth in Wallung. Da habe, sagen sie, dies sey König im Frevelmuth einen Speer ergriffen und mitten in die Wirbel des Stromes geworfen; worauf er alsbald an den Augen erkrankt und erblindet sey. Und zehn Jahre lang sey er blind gewesen; aber im eilften Jahr sey eine Weissagung aus der Stadt Buto ihm zugekommen: "es gehe die Zeit seiner Strafe aus, und er werde wieder sehend werden, wenn er sich die Augen mit dem Garn einer Frau warde, die nur mit ihrem Mann umginge, unberührt von andern Männern." So habe er's denn zuerst mit seiner Frau versucht; darauf, als er nicht wieder sehend wurde, der Reihe nach mit Auen es versucht. Wieder sehend geworden, habe er nun die Frauen, mit denen er den Versuch gemacht, Die ausgenommen, mit deren Harn gewaschen er sehend wurde, in eine Stadt zusammengebracht, die jetzt Erythre-bolus genannt wird; und daselbst sie Alle zu Hauf sammt der Stadt verbrannt. Die aber, mit deren Harn gewaschen er sehend ward, nahm er selbst zur Frau. Auch weihte er für die Errettung von seinem Augenübel Weihgeschenke in alle namhaften Heiligthümer; und darunter sind, was noch besonders merkwürdig ist, die sehenswerthen Werke, die er in's Helios-Heiligthum weihte, zwei steinerne Spitzsäulen, jede aus einem ganzen Stein, in der Länge jede hundert Ellen, und acht Ellen in der Breite.
(Proteus, 1291–1237.)
112. Von Diesem, sagen sie, sey an einen Memphier das Königthum gekommen, dessen Name nach der Hellenen Sprache Proteus sey; und Dieser hat jetzt in Memphis einen sehr schönen, wohl eingerichteten Hain, vom Hephastus-Heiligthum gegen den Südwind gelegen. Um diesen Hain herum wohnen Tyrische Phönicier; und die ganze Strecke dort heißt Tyrier-Lager. In demselben Haine des Proteus ist aber ein Heiligthum von Aphrodite, der Fremden, wie es genannt wird; von welchem ich vermuthe, daß es ein Heiligthum von Helena, Tyndareus Tochter, ist, da ich die Sage gehört habe, daß Helena sich bei Proteus aufhielt, besonders aber weil es den Zunamen hat von Aphrodite, der Fremden; denn sonst wird kein anderes Heiligthum der Aphrodite zubenannt "von der Fremden."
113. Nun sagten mir die Priester auf meine Erkundigung in Betreff der Helena, es sey so ergangen. Alexander sey mit Helena, die er aus Sparta geraubt, nach Hause geschifft. Da trieben ihn, als er im Aegäischen Meere war, widrige Winde in die Aegyptische See; von da (denn der Sturm ließ nicht nach) kam er nach Aegypten, und zwar daselbst in die jetzt sogenannte Kanobische Mündung des Nil und nach Taricheä." An diesem Gestade stand und steht jetzt noch ein Heracles-Heiligthum; und falls Einem in dasselbe ein Sklave flieht und sich die heiligen Mahlzeichen einäzt, womit er sich; dem Gott überantwortet, so ist er unantastbar. Dieser Brauch besteht auf gleiche Weise von jeher bis auf mich. Dem Alexander aber wurden Diener ungetreu, die von dem Brauch bei diesem Heiligthum gehört hatten; und, als Schützlinge im Tempel des Gottes, verklagten sie den Alexander, den sie in Noth bringen wollten, und erzählten die ganze Geschichte mit der Helena und seinem Frevel gegen Menelaus; und zwar verklagten sie ihn bei den Priestern und dem Wächter jener Mündung, dessen Name Thonis war.
114. Auf Dieses hin schickte Thonis eiligst nach Memphis an Proteus Botschaft ab, mit solchen Worten: "Es ist ein Fremdling da, ein Teukrer von Geschlecht, welcher eine sündige That in Hellas gethan, indem er seines Gastfreundes Weib verführt hat, und nun mit ihr rammt einer Menge Schätze von Winden hieher in dein Land verschlagen ist. Sollen wir denn Diesen ruhig abfahren lassen, oder aber ihm nehmen, Was er mitgebracht hat?" Dagegen schickte Proteus den Bescheid mit solchen Worten: "Diesen Menschen, Wer es auch ist, der sündlich an einem Gastfreund gehandelt hat, ergreifet und führet ihn zu mir, auf daß ich sehe, Was er wohl sagen wird."
115. Darauf ergreift denn Thonis den Alexander, und nimmt seine Schiffe in Beschlag; und hernach brachte er ihn nach Memphis rammt der Helena und den Schätzen, nebst den Schützlingen. Da nun Alle herbeigeführt waren, fragte Proteus den Alexander, Wer er sey und woher er komme? Der sagte ihm sein Geschlecht her, gab auch den Namen seines Vaterlandes an, dazu erzählte er ihm auch, woher er komme auf seiner Fahrt. Hernach fragte ihn Proteus, woher er die Helena habe; und da nun Alexander in seiner Rede aus dem Gleise kam und nicht die Wahrheit sagte, widerlegten es jene Schützlinge, indem sie die ganze Geschichte des Frevels erzählten. Zuletzt aber gab ihnen Proteus feinen Ausspruch in folgenden Worten: "Wäre mir's nur nicht eine so theure Sache, Keinen von all den Fremden zu tödten, die noch jemals durch Sturm in mein Land kamen, so hätte ich dich wollen für den Hellenen büßen lassen, du Ausbund von Schlechtigkeit, der du, gastfreundlich aufgenommen, die sündlichste That gethan hast. Zu deines Gastfreundes Weit bist du gegangen; und selbst Das war dir nicht genug; sondern du hast sie so weit getrieben, daß du jetzt mit ihr davon gehen kannst. Ja, es war dir nicht einmal so genug, sondern du mußtest auch vorher noch das Haus des Gastfreundes plündern. Nun aber, da es mir einmal eine theure Sache ist, keinen Fremdenmord zu begehen, so laß ich dich die Frau und die Schätze nicht mehr fortnehmen, sondern ich will sie dem Hellenischen Gastfreund aufbewahren, bis er selbst kommt, um sie fortzunehmen; dich aber und deine Gefährten bescheide ich in dreien Tagen, aus meinem Lande nach einem andern abzusteuern, widrigenfalls ihr als Feinde behandelt werden sollt."
116. Das ist die Art, wie die Priester sagten, daß Helena zu. Proteus gekommen; und ich glaube, auch Homer hat von dieser Sage Runde gehabt, nur daß sie nicht eben so gut für sein Dichterwerk sich schickte, als jene andere, welche er nahm; so daß er sie liegen ließ, aber doch anzeigte, wie er auch mit dieser Sage bekannt sey. Das zeigt sich nämlich, wiefern er in der Ilias dichtete, und sich sonst nirgends wieder darauf einließ, von der Irrfahrt des Alexander, daß er mit Helena verschlagen worden, und außer anderweitigem Verirren, auch nach Sidon im Phönicischen gekommen sey. Und Dessen gedenkt er in "Diomedes Heldenpreis," 73wo die Worte also lauten:
Wo die Gewande, die kunstreichschimmernden, Werte der Frauen
Sidon's, lagen, die selbst der göttliche Held Alexandros
Her von Sidon gebracht, da er fuhr auf räumiger Meerfluth,
Damals, als er sich Helena holte, die Edelgeborne.
Auch in der Odyssee 74gedenkt er Dessen in folgenden Worten:
Solche Kräuter besaß Zeus Tochter zu weisem Gebrauche,
Gute: es hatte sie einst die Hausfrau Thon's, Polydamna,
Ihr in Aegypten geschenkt; dort trägt in Menge das Fruchtfeld Kräuter, viele zu gutem Gebräu, und viele zu bösem.
Und wiederum Folgendes sagt Menelaus zu Telemachus: 75
Noch in Aegypten, als hieher schon ich trachtete, hielten
Götter mich auf, da ich nicht sie geehrt mit Festhekatomben.
In diesen Worten zeigt er an, daß er bekannt war mit der Irrfahrt des Alexauder nach Aegypten. Denn Syrien grenzt mit Aegypten zusammen, und diejenigen Phönicier, welchen Sidon angehört, wohnen in Syrien.
117. An diesen Worten und an dieser Stelle nicht zuletzt, sondern hier vornämlich, zeigt es sich, daß die Cyprischen Gesänge nicht von Homer sind, sondern von einem Andern. Denn in den Cyprischen Gesängen steht, in dreien Tagen sey Alexander mit Helena nach Ilium gekommen bei günstig wehendem Wind und ruhiger See. In der Ilias aber heißt es, er sey irrgefahren mit ihr. Doch lassen wir nun den Homer und die Cyprischen Gesänge!
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