Er vollführte ein paar Sprünge und Drehungen, stieß dabei mit dem Rücken an den Schrank und verzog schmerzhaft das Gesicht.
»O Scheiße, das war wohl nicht besonders, was? Ich bin eben aus dem Training. Aber ich schwör’s Ihnen, ich kann tanzen. Ich lüge Sie nicht an.«
»Schon gut, Rocky«, sagte Helen sanft. Ach, wie sie das kannte – dieses sich Anpreisen, das Herumtönen, man sei der Größte, könne alles und habe alles schon gemacht ...
Sie sah, daß Rockys Hände zitterten, als er den Kaffee in die Becher schenkte, und diesmal war es nicht, weil er Entzugserscheinungen hatte. Der Junge flog vor Aufregung.
Lee muß was für ihn tun, dachte sie. Er muß ihm helfen. Sie nahm ihren Kaffee und trank einen Schluck.
»Sie glauben mir doch, oder?« fragte Rocky. »Wenn sie wollen, spreche ich Ihnen was vor. Ich kann Ihnen auch Kritiken zeigen ... von der Tournee. Natürlich sind es Provinzzeitungen, aber die Burschen haben sich förmlich überschlagen.«
»Das ist nicht nötig«, sagte sie. »Ich denke, daß Mr. Bannister einen Videoclip von Ihnen machen lassen wird. Da können Sie dann eine Szene aus ›Endstation Sehnsucht‹ spielen – und vielleicht was aus der ›West Side Story ‹.«
»Klar mach’ ich das, und ich schwöre Ihnen, der alte Lee wird aus den Latschen kippen!«
Das Telefon im Wohnzimmer schrillte, und Rocky ging an den Apparat.
Helen wollte nicht zuhören, aber durch die offene Tür bekam sie das meiste von dem mit, was er sagte.
»Ja, Lenny ... Klar, daß du sauer bist ... Mensch, ich sag’ dir doch, ich war betrunken. Schrei nicht so, verdammt noch mal!«
Er schwieg eine Weile und antwortete dann: »Na gut, okay. Da kann man nichts machen. Aber wenn du’s dir noch mal anders überlegst ... «
Er stockte, fragte: »Hallo, Lenny, bist du noch dran?«, und warf dann den Hörer auf die Gabel zurück, weil auf der anderen Seite offenbar aufgelegt worden war.
»Das war Lenny, Sie wissen schon«, erklärte er, als er in die Küche kam. »Er wußte bereits Bescheid. Die Morris muß ihm ganz schön eingeheizt haben. Er war jedenfalls stinkwütend und hat mich rausgeschmissen. Aber damit ist er mir natürlich nur zuvorgekommen. Ich wollte ihm sowieso den Kram hinschmeißen, nachdem Sie ...«
Helen schob ihre Tasse zurück. »Dann lassen Sie uns jetzt fahren, Rocky. Packen Sie ein paar Sachen zusammen, ja?«
Sie fing seinen fragenden Blick auf und fügte hinzu: »Ich habe ein Strandhaus in Malibu. Dort können Sie erst mal bleiben. Ich rufe Dr. Fowler an. Er wird mit Ihnen den Entzug machen. Wenn Sie clean sind, spreche ich mit Bannister über Sie.«
»Quatsch, ich brauche keinen Arzt.« Rockys Augen flackerten. »Ich schaff’ das auch allein, mit links schaff’ ich das, jetzt, wo ich ein Ziel habe. Ich versprech ’s Ihnen, Miß DeCorey. Ich rühre kein H mehr an.«
»Steve Fowler ist ein ausgezeichneter Arzt. Sie brauchen keine Angst zu haben, Rocky. Er wird Ihnen helfen. Ich kenne ihn lange und weiß, daß er absolut vertrauenswürdig ist. Von ihm erfährt niemand etwas von Ihren Schwierigkeiten.«
»Aber ...«
»Kein Aber, Rocky. Ich habe gesagt, daß ich Ihnen helfen will, und das werde ich tun. Aber als Gegenleistung müssen Sie auch meine Bedingungen akzeptieren.«
Das Haus in Malibu lag direkt am Meer. Das Hausmeisterehepaar, Mr. und Mrs. Juarez, beide mexikanische Einwanderer, wohnte in einem Anbau über den Garagen.
Das Haus selbst war in spanischem Stil erbaut, mit einem geräumigen Patio, einer Dachterrasse, mehreren Schlafzimmern und einem riesigen Living-room zur Strandseite.
»Super«, sagte Rocky, als Helen ihn herumführte.
»Im Keller ist noch ein privater Film-Vorführraum«, erklärte sie. »Sie finden dort jede Menge Filme – nicht nur von mir, falls es Ihnen mal zu langweilig wird.«.
»Werden Sie nicht hierbleiben?« fragte er, und sie schüttelte den Kopf.
»Nein, aber ich komme sicherlich ein paarmal heraus, um nach Ihnen zu sehen. Und natürlich können Sie mich immer anrufen, wenn Sie sich nicht gut fühlen.«
Mit Dr. Fowler hatte sie schon telefoniert, und er hatte versprochen, am Abend vorbeizukommen, um sich Rocky anzusehen. Möglich, daß der Arzt sogar über Nacht im Haus blieb, solange Rocky den Entzug machte. Aber tagsüber war er sich selbst überlassen, da Steve Fowler in seine Praxis in L. A. mußte.
Helen ging zu der eingebauten Stereoanlage und legte eine Platte auf.
Stevie Wonder sang: ›That Girl‹.
Sie summte ein paar Takte mit, während Rocky in der offenen Glastür des Living-rooms stand und auf die tief dunkelblauen, mit weißer Gischt gekrönten Wellen des Pazifiks blickte. Sie war sich nicht sicher, ob er sein Spritzenbesteck und einen Vorrat an Dope, falls er noch welches hatte, mitgenommen hatte. Sie fragte ihn auch nicht danach.
Es war Sache von Dr. Fowler – und natürlich vor allem von Rocky. Wenn er von dem Zeug loskommen wollte, mußte er es selbst wollen. Auch Doc Fowler konnte ihm dabei nur Hilfestellung leisten und die teilweise grauenhaften Entzugserscheinungen zu mildern versuchen. In der Endkonsequenz hing alles von Rocky selbst ab.
»Das ist alles so unwirklich«, sagte Rocky leise. »Heute nacht liege ich vor Ihrem Haus, weil mich eine enttäuschte alte Megäre aus ihrem Wagen geschmissen hat – und jetzt bin ich hier, und Sie haben gesagt, Sie wollten mich mit Lee Bannister zusammenbringen. Ich glaub’s nicht! Ich glaub’s einfach nicht! Warum sollten Sie das für mich tun?«
»Sie stellen immer dieselben Fragen.« Helen lachte. »Im übrigen kann ich Ihnen nur den Weg zum Wasser zeigen; schwimmen müssen Sie selbst.«
»Klar, aber trotzdem ... Himmel, was hab’ ich mich abgestrampelt, um an einen einigermaßen vernünftigen Agenten zu kommen – und jetzt auf einmal soll das ganz von selbst laufen? Und Sie meinen wirklich, daß Bannister was für mich tut?«
»Warten Sie es doch ab«, sagte Helen. Sie kam zu ihm und blickte gleichfalls auf das Meer. Eine Motorjacht kreuzte in einiger Entfernung vor der Bucht. Ein paar Surfer hielten sich in Strandnähe auf. Sie sahen gegen das gleißende Mittagslicht fast schwarz aus.
»Wann fahren Sie zurück?« fragte Rocky.
»Erst heute abend, wenn Dr. Fowler hier war. Ich habe Mrs. Juarez Bescheid gesagt, daß sie uns etwas zu essen machen soll. Sie ist eine ausgezeichnete Köchin. Lassen Sie sich von ihr nur nicht mit der üppigen mexikanischen Küche vollstopfen. Es wäre schade um Ihre gute Figur.«
Rocky lachte sorglos. »Ach, ich kann essen, was und wieviel ich will. Ich halte mein Gewicht.«
Helen seufzte. »Dann genießen Sie das. In der Regel bleibt es nicht so.«
Er blickte sie von der Seite an. Es war ein Blick, der Helen ein angenehmes kleines Prickeln über die Haut jagte. Himmel, wie lange hatte sie so etwas nicht mehr empfunden!
»Na, Sie müssen sich doch bestimmt nicht mit einer Diät herumschlagen«, meinte er ein wenig unsicher.
»Glauben Sie?« Sie trat von ihm zurück in das Innere des Raumes. »Reden wir nicht davon.«
Er kam ihr nach. »Aber Sie haben eine Klassefigur, ehrlich.«
»So, finden Sie?« War sie denn verrückt geworden? Sie fischte nach Komplimenten wie ein alberner Teenager.
»Als ob Sie das nicht wüßten«, sagte Rocky. »Natürlich klingt es ein bißchen blöd, wenn ich das sage. So als wollte ich mich bei Ihnen einkratzen. Aber es ist die reine Wahrheit: Ich hab’ Sie ja schon einige Male im Film gesehen, aber in Wirklichkeit sehen Sie fast noch toller aus.«
»Machen Sie uns einen Drink zurecht«, bat Helen, um das Thema zu beenden. »Mir ein Lemon Orange mit Eis und einem Spritzer Gin. Die Bar ist drüben neben der Stereoanlage.«
Bevor er die Drinks brachte, legte er eine neue LP auf. Rod Stewart sang ›Passion‹.
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