Susanne Scheibler
Saga
Preis der Leidenschaft
Preis der Leidenschaft
Copyright © 2021 by Michael Klumb
vertreten durch die AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de)
Die Originalausgabe ist 1989 im Lübbe Verlag erschienen
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Copyright © 1989, 2021 Susanne Scheibler und SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726961287
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
www.sagaegmont.com
Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.
Himmel, ging ihm die Alte auf den Geist! Er war müde, und ihm war übel. Es waren die verdammten Wodkatinis, die er auf der Party bei Jack Holeman in sich hineingeschüttet hatte.
Warum, zum Teufel, hatte er so viel getrunken! Er wußte doch, daß er nichts vertrug, vor allem nicht, wenn er sich vorher einen Druck gesetzt hatte.
Und jetzt wollte die Alte auch noch Sex im Auto!
Rocky schloß die Augen. Er spürte, wie Pat Morris an ihm herumfummelte. Sie hatte lange rotgefärbte Nägel, die unter sein Hemd glitten und über seine Brust strichen. Dann ging die Hand tiefer.
Rocky unterdrückte den Impuls, sie einfach wegzuschieben und aus dem parkenden Auto zu springen.
Schließlich hatte die Alte dafür bezahlt. Und – verdammt noch mal –, er brauchte die Kröten.
Vierhundert Dollar ...
»Was ist denn, Rocky-boy?« keuchte Pat Morris. Sie lag halb über ihm und bewegte die Hüften. »Na los, komm schon. Gib mir einen Kuß.«
Er spürte ihre feuchten, offenen Lippen, die Zunge zwischen seinen Zähnen, und seine Übelkeit wuchs.
Pat Morris behauptete, zweiundvierzig zu sein, aber das war eine faustdicke Lüge. Zehn Jahre mehr hatte sie bestimmt auf dem knochigen Rücken. Sie war Fotografin, eine ziemlich bekannte sogar, und vierhundert Dollar mochten für sie ein Pappenstiel sein. Für Rocky bedeuteten sie Überleben. Essen, Miete – und vor allem H.
Vor einem halben Jahr hatte er mit Heroin angefangen, und er bildete sich ein, noch immer jederzeit damit aufhören zu können. Er brauchte das Zeug nur, um die ganze Scheiße zu ertragen, in der er steckte. Andere ließen sich vollaufen, er setzte sich ab und zu einen Schuß.
Lenny Hutchkin hatte ihn an Pat vermittelt. Sie war eine regelmäßige, gut zahlende Kundin für das, was Lenny schlicht ›Party-Service‹ nannte.
Eine Zeitlang war Pat Morris mit Stan Rileigh herumgezogen, aber jetzt hatte sie mal jemand anderen gewollt. »Stan war ihr zu intellektuell«, hatte Lenny am Telefon gesagt. »Sie steht mehr auf Naturburschen wie dich. Such dir ’n paar anständige Klamotten raus, sie will zuerst mit dir zu irgend ’ner Party in Beverly Hills.« Er hatte gelacht. »Wer weiß, vielleicht triffst du ein paar Leute, die was für dich tun. Pat kennt ’ne Menge, die beim Film was zu sagen haben.«
Ach, verdammt! Wer in diesem lausigen Hollywood kannte keinen, der beim Film was zu sagen hatte! Oder wenigstens einen, der wieder jemanden kannte. Nur brachte das nichts, wenn man Rocky Marfield war.
Er kannte das bis zum Erbrechen: »Wer ist denn Ihr Agent? Wo haben Sie gespielt? Ach, und was machen Sie jetzt?«
Und da Rocky auf keine dieser Fragen eine befriedigende Antwort geben konnte, fiel die Klappe. Das Hollywood-Zahnpasta-Reklamelächeln erlosch auf den ewig braungebrannten, ewig grinsenden Gesichtern, und man ließ ihn stehen. Kategorie uninteressant.
Heute auf der Party bei Jack Holeman, Studioboß bei irgendeiner Filmgesellschaft, war Rocky ein paarmal versucht gewesen, auf die obligatorische Frage: »Was tun Sie jetzt?« zu antworten: »Ich bumse für vierhundert Dollar alte Weiber wie Pat Morris.«
Um es nicht zu sagen, hatte er einen Wodkatini nach dem anderen in sich hineingeschüttet.
Und jetzt war ihm übel. Gott, war ihm übel!
Rocky spürte, wie sich Speichel in seinem Mund sammelte.
»Laß uns weiterfahren«, murmelte er, während ihm der Schweiß in kleinen Bächen über Stirn und Nacken lief. »Wir können doch bei dir ...«
Pat kicherte. »Später, Honey. Erst mal will ich’s jetzt und hier. Ich tu’s gern im Auto, weißt du ... Also komm schon.«
Ihre Hände waren heiß und lüstern, und der Ekel in ihm wuchs. Verdammt, er konnte nicht!
Rocky spürte, wie sie ihn zwischen den Beinen berührte, und dachte: Los doch, Junge. Denk an die vierhundert Dollar. Oder bilde dir ein, es wäre ein junges knackiges Mädchen, das wild nach dir ist. Vergiß Pat, vergiß die ganze Scheiße, in der du steckst. Stell dir eine süße Blonde vor mit weicher Haut und festen Brüsten. So eine, die nach Jugend riecht und Sauberkeit. Bei der du weißt, daß nicht schon eine Legion von Kerlen drübergerutscht ist. Eine, die es nicht bloß macht, weil sie geil ist und dich bezahlen kann, sondern weil sie dich gern hat und in dich verliebt ist – so richtig mit allem, was dazugehört ...
Für ein paar Sekunden war seine Phantasie stark genug, daß er eine Erektion bekam. Aber dann hörte er Pat aufstöhnen, spürte, wie sie ihn gierig betastete, und alles war vorbei.
»Was ist denn?« fragte Pat mit einem hysterischen Unterton. »Sag bloß, du kannst nicht.«
»Ich will nicht«, sagte Rocky sehr klar und plötzlich ganz nüchtern. »Hau ab, verschwinde! Du kotzt mich an.«
Es war eine sehr klare, warme Nacht. Der Mond schien, und in Pats Wagen, den sie irgendwo am Mulholland Drive geparkt hatte, war es hell genug, daß Rocky ihr Gesicht sehen konnte.
Irgendwie sah sie dümmlich aus, fand er, mit halb offenem Mund, bei dem der Lippenstift verschmiert war, und blaßblauen Augen, in denen erst Nichtbegreifen, dann Überraschung und zu guter Letzt Wut standen.
Eine dümmliche, alternde Frau, die gleich zu zetern anfangen würde.
»Du Bastard«, sagte Pat Morris. »Du dreckiger kleiner Hurenbengel!« Rocky rollte sich zur Seite, als sie nach ihm schlagen wollte, und sie traf nur seinen Hinterkopf.
Sie kroch über ihn und öffnete die Autotür. »Raus!« schrie sie. »Raus! Raus!«
Und als er nicht sofort reagierte, trat und stieß sie nach ihm. Eine Flut von Beschimpfungen ergoß sich über ihn, und Rocky schaffte es nicht mehr, sich hochzusetzen und auszusteigen.
Er kippte einfach aus dem Wagen auf das Straßenpflaster und dachte nur noch: Ich muß mich zur Seite rollen, sonst fährt sie über mich weg.
Er schaffte es knapp, während schon der Motor des Mercedes aufheulte, und kroch auf Knien und Händen weiter auf eine Mauer zu.
Als Pat Morris anfuhr, spritzten ein paar Steine hoch, und eine Wolke aus Staub und Sand hüllte Rocky ein. Er ließ sich aufs Gesicht fallen und atmete keuchend. Dann fing er an sich zu erbrechen.
Er würgte und brach, daß ihm die Tränen kamen, und als er den Kopf hob, drehte sich alles um ihn, und ihm wurde so schlecht, daß er das Bewußtsein verlor.
Das Haus mit der Nummer 37 am Mulholland Drive gehörte Helen DeCorey. An diesem 24. Juni war sie allein in ihrem Schlafzimmer.
Es war kurz vor zwei Uhr nachts. Helen DeCorey trug ein fliederfarbenes, mit Marabufedern besetztes Negligé und hatte das Haar aus der Stirn gekämmt. Sie war abgeschminkt und betrachtete ihr Gesicht in einem der in die Wände eingelassenen bodenlangen Kristallspiegel.
Es war ein nicht mehr junges, aber immer noch sehr schönes Gesicht, da es seine Konturen behalten hatte. Eine hohe, gewölbte Stirn unter dem spitzen Haaransatz, große grau-grüne Augen, die gerade, edel geformte Nase, hohe Wangenknochen und ein voller Mund.
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