»Und wo soll ich den hernehmen, bitte schön? Ich sag’ Ihnen doch, ich war bei fast allen. Und ich hab’s mit jeder Masche versucht. Ich hab’ sogar ein paar Tippsen gebumst, um an ihren Boß heranzukommen. Zwei- oder dreimal hat man mich gnädig empfangen. Irgend so’n Typ im Cerrutti-Anzug, mit ’ner Patek-Philippe-Uhr am Handgelenk. ›Haben Sie gute Bilder? Wo haben Sie bisher gedreht? Ach, Sie sind noch ganz am Anfang? Ja, dann ... Tut uns leid, aber ein paar Sachen müßten Sie wenigstens gemacht haben. Für völlige Newcomer sind wir nicht die Richtigen. Es fehlt uns die Zeit, verstehen Sie, um jemanden wie Sie aufzubauen. Übrigens – Ihre Fotos sind auch nicht das, was einen vom Hocker fegt. Lassen Sie sich neue machen, am besten von Bruce Koplin.‹ Wissen Sie, was eine Fotosession bei Koplin kostet? Ich kann den nicht bezahlen. Und ich habe auch keine Ahnung, wie man an eine Scheißrolle kommen soll, damit man für so einen hochkarätigen Scheißagenten etwas vorzuweisen hat! Ich war so naiv, zu glauben, daß die dazu da sind, einem die Jobs zu beschaffen. Wenn man erst mal im Geschäft ist, braucht man keinen Agenten mehr. Dann läuft die Sache von selbst, Lady. Weil man nämlich keinen Steigbügelhalter mehr nötig hat, wenn man schon im Sattel sitzt. Oder ist das zu hoch für Sie, Miß DeCorey?«
Er war ziemlich laut geworden, und Helen runzelte die Stirn. »Himmel, Sie brüllen das ganze Haus zusammen. Was soll das? Ich bin kein Agent, der Sie abwimmeln will.«
»Verzeihung«, murmelte Rocky. »Aber ich geh’ einfach hoch, wenn ich bloß daran denke.«
»Okay, okay«, sagte sie begütigend. »Und nach New York wollen Sie auch nicht wieder zurück?«
»Warum?« fragte er mürrisch. »Glauben Sie, die warten dort auf mich? Nach anderthalb Jahren bin ich weg vom Fenster. Und bei meinen Eltern unterkriechen und kleine Brötchen backen – nein, danke! Mein Vater ist Bankbeamter, aber einer von der subalternen Sorte. Er war immer dagegen, daß ich Schauspieler werde, genau wie meine Mutter. Wenn ich jetzt als Versager heimkomme, werden sie triumphieren. Und die Genugtuung gönne ich ihnen nicht.«
»Lieber lassen Sie sich von diesem ... diesem Lenny an Frauen wie die Morris vermitteln?«
»Ja«, sagte er grob. »Es ist mein Leben, und es geht niemanden was an, was ich damit mache! Auf die ›Na-das-haben-wir-ja-kommen-sehen-Tiraden‹ kann ich verzichten.«
»Und was werden Sie in Zukunft tun?« fragte sie. »Ich fürchte, nach dem heutigen Zwischenfall wird Ihr Gönner Lenny keinen Finger mehr für Sie rühren.«
»Kann schon sein. Dann muß ich mich eben nach was anderem umsehen.«
»Und wonach?«
»Ich weiß nicht, warum Sie das interessiert! Lassen Sie mich lieber gehen. Ich hab’ Sie lange genug aufgehalten.«
»Wo wohnen Sie denn? Soll ich Ihnen ein Taxi rufen?«
»Danke, aber das ist im Budget nicht drin. Ich bin sowieso schon mit sechs Wochen Miete im Rückstand. Ich dachte, ich könnte mit dem Geld von der Morris wenigstens einen Teil bezahlen. Damit ist es nun Essig. Meine Wirtin schmeißt mich raus, wenn ich ihr nicht bald etwas gebe. Aber was soll’s! Das Loch in der Fulton Street, in dem ich hause, ist sowieso das Letzte.«
»Fulton Street«, wiederholte Helen. »Das liegt doch ganz am anderen Ende von Hollywood. Da sind sie ja mindestens zwei Stunden unterwegs.«
»Wollen Sie mich etwa hinfahren?« erkundigte er sich spöttisch.
Sie blieb ernst. »Nein. Aber Sie könnten hierbleiben, jedenfalls bis morgen früh. Und wenn Sie Arbeit wollen – mein Gärtner sucht, glaube ich, eine Aushilfskraft. Der junge Mann, der das bisher gemacht hat, hatte vor ein paar Tagen einen Unfall und liegt mit eingegipstem Bein im Hospital. Also, was ist?«
Rocky blickte sie ungläubig an. »Sagen Sie mal, sind Sie ein Scout? Von wegen – jeden Tag eine gute Tat tun?«
Sie lachte. »Nehmen Sie es ganz einfach mal an, Rocky.«
Helen erwachte, weil ihr die Sonne ins Gesicht schien. Sie hatte in der Nacht vergessen, die Vorhänge zuzuziehen.
Es war halb elf, und Helen erinnerte sich daran, daß sie zum Lunch mit Linda, der Frau ihres langjährigen Filmpartners Frank Patucci, im Bistro Gardens verabredet war.
Während sie noch überlegte, was sie anziehen sollte, erschien Martha Bronsky mit dem Frühstück.
Martha war Mitte Fünfzig, fett und plattfüßig und Helens Garderobiere. Sie war von Anfang an bei ihr gewesen, als Helen ihre erste große Filmrolle bekam – eine Komödie mit dem Titel ›The President’s Daughter‹, die sie über Nacht bekannt gemacht hatte. Martha wußte fast alles von ihr, liebte sie und verhätschelte sie wie das Kind, das sie nie gehabt hatte. Sie war durch und durch integer, verschwiegen und zuverlässig.
»Da sind ein paar Anrufe gekommen«, sagte sie, während sie das Tablett mit Orangensaft, Kaffee und gebuttertem Toast auf einen Marmortisch stellte. »Harper’s will eine Home-Story von dir machen. Ich hab’ sie an Joe verwiesen. Mrs. Hunter gibt am Freitag ein Essen im Beverly Hills und fragt, ob du kommen kannst. Und dieser Bloomington von Paramount wollte schon wieder wissen, ob du endlich das Drehbuch gelesen hast.«
Helen setzte sich auf und reckte die Arme. »Habe ich nicht«, erwiderte sie fröhlich. »Und heute werde ich es bestimmt auch nicht tun.«
Sie blinzelte in die Sonne. »Häng mir das cremefarbene Galanos-Kleid raus, Martha-Darling. Das mit den braunen Applikationen, du weißt schon. Und dann laß mir ein Bad ein.«
»Und was ist mit dem Essen im Beverly Hills? Du solltest hingehen.«
»Gina soll nachsehen, ob ich kann, und dann zusagen. Notfalls muß sie eine andere unwichtigere Verabredung absagen.«
Gina Barclay war Helens Sekretärin. Außer ihr gehörten noch Joe Leclerque, ihr Pressemanager, Jane Chong, ihre Visagistin, und Chuck Marton, der als Chauffeur und Leibwächter fungierte, zu ihrem Haushalt.
Martha Bronsky beobachtete Helen, wie sie das Bett verließ und zu frühstücken begann. »Was war denn heute nacht los? Und wer ist der Mann, der oben im Gästezimmer schläft?«
Helen setzte das Glas mit Orangensaft zurück. »Er heißt Rocky Marfield ...«
»Und?«
»Nichts – und. Er war ein bißchen unpäßlich, deshalb habe ich ihn eingeladen, hier zu übernachten.«
»Woher kennst du ihn? Hat er gestern mit dir und Mr. Bannister gegessen?«
»Nein«, erwiderte Helen einsilbig. »Vergiß mein Bad nicht, Martha-Darling.«
Die ältere Frau blieb in der Badezimmertür stehen. »Warum hast du mich heute nacht nicht gerufen? Du kannst doch nicht einen Wildfremden ins Haus lassen. Chuck hat mit den Wachmännern gesprochen. Der eine sagt, der Kerl hätte betrunken vor der Tür gelegen.«
»Er hatte einen Unfall«, sagte Helen nervös. »Tu mir den Gefallen und kümmere dich nicht weiter darum. Es ist ein armer Teufel, und er tat mir leid.«
»L. A. ist voll von armen Teufeln«, knurrte Matha. »Du kannst nicht alle ins Haus lassen. Das war sehr leichtsinnig von dir.«
»Warum? Hat er etwas gestohlen?«
»Das wird sich noch herausstellen. Im Augenblick schläft er wohl noch.«
»Na also.« Helen lächelte ihr berühmtes strahlendes Filmlächeln. »Diebe und sonstige Kriminelle pflegen nicht bis in den Vormittag zu schlafen, wenn sie etwas im Schilde führen.«
Nachdem sie gefrühstückt, gebadet und sich angezogen hatte, schlief Rocky immer noch, und Helen stieg ein wenig zögernd die Treppe zu seinem Zimmer hinauf.
Die riesige Villa verfügte über zwanzig Gästezimmer mit dazugehörigen Bädern. Rocky hatte eines, dessen Fenster zur Rückseite auf die Terrasse und den Pool hinausgingen.
Helen klopfte an und hörte ein schwaches »Herein«.
Rocky lag noch im Bett. Als er Helen erkannte, fuhr er hoch. »Entschuldigung, ich dachte, es wäre ein Hausmädchen oder so...«
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