Susanne Scheibler
Vier Pfoten hat das Glück - Memoiren eines Dackels
Saga
Vier Pfoten hat das Glück - Memoiren eines Dackels
Vier Pfoten hat das Glück. Memoiren eines Dackels
Copyright © 2021 by Michael Klumb
vertreten durch die AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de)
Die Originalausgabe ist 1986 im Goldmann Verlag erschienen
Coverbild/Illsutration: Shut
Copyright © 1986, 2021 Susanne Scheibler und SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726961270
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
www.sagaegmont.com
Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.
Mein liebes Frauchen!
Kann ein Hund der Hund von einem anderen Hund sein? Tessy behauptet es. Sie sagt, sie sei der Hund von Sabine und Michael und ich ihr Hund.
Ich glaube, Du kennst Tessy noch gar nicht. Wahrscheinlich wird Michael Dir von ihr erzählt haben, aber das war bestimmt gräßlich übertrieben. Dein Sohn ist nämlich dermaßen vernarrt in Tessy, daß ihn seine Frau schon damit aufzieht. Ich bin nun schon über eine Woche hier und komme aus dem Staunen gar nicht heraus, was Tessy alles darf. Jedenfalls bei Michael.
Sie kann ihn verbellen, wenn er versucht, ihr etwas zu verbieten. Sie darf beim Essen auf einem Stuhl am Tisch sitzen und betteln. Sie liegt auf der Fensterbank und schimpft alle Leute auf der Straße aus. Sie klaut die Handtücher aus dem Bad und zerrt sie durch die ganze Wohnung. Sie stiehlt Michael das Taschentuch aus der Hosentasche und wickelt ihre Knochen darin ein – und zu gehorchen braucht sie auch nur ganz wenig.
Sabine ist ein bißchen strenger mit ihr, deswegen sagt Tessy auch, sie sei der Meuteführer, aber Michael ihr, Tessys, Kumpel.
Also sieht so die Rangordnung aus: Erst kommt Sabine, dann kommen Tessy und Michael und zuletzt ich, Dein guter alter Julius. Ich frage Dich nun, liebes Frauchen, muß ein Dackel von zwölf Jahren sich das gefallen lassen?
Zwischen Dir und mir hat es so etwas nie gegeben. Da war von Anfang an alles klar. Du warst mein Frauchen, und ich war Dein Hund. Du hast mir beigebracht, was ein guter Hund darf und was nicht, und ich habe Dir gehorcht – wenn ich wollte.
Wenn ich nicht wollte, habe ich mein melancholischstes Faltengesicht aufgesetzt, Du hast mich einen dickfelligen Köter geschimpft, und dann haben wir einen Kompromiß geschlossen. Der sah dann so aus, daß die Sache im Sande verlief.
Ach ja – und ganz früher, als ich jünger war und einen rosa Bauch und eine Menge Falten mehr hatte, war noch Michael bei uns.
Michael war immer sehr lieb, so ein Mittelding zwischen Herrchen und Kumpel, aber inzwischen ist er doch älter geworden, und ich finde, ein grünes Ding wie Tessy sollte nicht so respektlos von ihm reden. Schließlich ist er jetzt ein Herr Doktor Bernhold und verheiratet.
Aber ich will Dir ausführlicher über Tessy berichten.
Also, sie ist auch ein Dackel, allerdings Langhaar, hat sehr schöne krumme Beine, rote Haare und ist viel kleiner als ich. Wenn sie um mich herumstreicht (und das tut sie oft), wackelt sie schrecklich mit dem Hintern.
Aber bei Tessy bedeutet das nicht wie bei jeder anständigen Hündin, daß sie flirten will, nein! Wenn Tessy mit der Rückseite schlenkert, führt sie was im Schilde. Entweder will sie dann an meinen Futternapf oder in mein Körbchen, oder sie springt mir auf den Rücken und kratzt mich ganz furchtbar. So, wie ich kratze, wenn ich im Garten ein frisches Mauseloch finde.
Für Mauselöcher interessiert sich Tessy gar nicht. Auch nicht für Fuchs- oder Hasenspuren. Sie sagt, sie sei kein Gebrauchshund, und sie dächte nicht daran, sich die Pfoten schmutzig zu machen.
Hast Du so was schon gehört? Diese jungen Hunde heutzutage...
Tessy ist nämlich noch sehr jung, gerade zwei Jahre alt. Aber glaub ja nicht, daß sie deswegen Respekt vor dem Alter hat.
»Traue keinem über fünf«, ist ein Schlagwort von ihr. Und als ich ihr erwiderte, daß sie schließlich auch mal fünf Jahre alt werden würde, meinte sie, daß das etwas ganz anderes sei, weil sie einer anderen Generation angehöre.
Wir zum Beispiel hätten uns kritiklos von dem Wort »pfui« unterjochen lassen. Dabei sei es ein ganz willkürlich angewendeter Begriff, von der Herrchenrasse erfunden, um Hunde zu unselbständigen, knechtischen Wesen zu erziehen.
»Pfui ist eine Pauschalverdammung, die wir nicht mehr hinnehmen«, sagt Tessy. »Wir verlangen Differenzierungen, damit unsere individuellen Entfaltungsmöglichkeiten nicht manipuliert werden.«
Du siehst, liebes Frauchen, Tessy kennt unheimlich viele Fremdwörter, die ich nicht alle verstehe. Deshalb fragte ich sie auch, was sie mit Differenzierungen meine, und das hat sie mir so erklärt:
»Es gibt Leute, die schreien schon ›pfui‹, wenn ein Hund mal schnuppert. Andere tun das erst, wenn er sich in einer schmutzigen Pfütze wälzt, oder bei Sachbeschädigungen wie dem Anknabbern von Teppichen und Stuhlbeinen. Oder bei Mundraub oder beim Zubeißen in Waden und Hosenböden. Hier in der Nachbarschaft ist ein Kind, das kreischt sogar schon ›pfui‹, wenn ich nur ein bißchen Nachlaufen mit ihm spiele. Verstehst du das?«
»Natürlich«, sagte ich. »Pfui ist eben alles, was den Menschen nicht gefällt, und wir müssen uns danach richten. Wo kommt man hin, wenn man seiner Obrigkeit nicht gehorcht!«
Daraufhin hat mich Tessy einen reaktionären Trottel geschimpft, der die ihm auferlegten Verhaltenszwänge liebe, statt sie abzustreifen. Und weil ich genauso geschwollen daherreden wollte wie sie, habe ich Tessy eine progressive Gans genannt und bin auf den Balkon in die Sonne gegangen.
Daß mir ein Wort wie progressiv überhaupt eingefallen ist, hat mich mächtig stolz gemacht. Ich hatte es gerade am Vorabend in der Fernsehsendung »Aspekte« gehört.
Übrigens war dies mein erster richtiger Krach mit Tessy. Sie war noch den ganzen Nachmittag über beleidigt, aber das war mir wurst.
Du siehst, liebes Frauchen, es ist nicht ganz leicht mit Tessy. Aber eines muß man ihr lassen: Sie riecht gut. Das habe ich schon gemerkt, als Michael mich bei Dir abgeholt hat. Sein ganzes Auto riecht nämlich nach Tessy, und das hat mich ein bißchen über den Abschiedsschmerz von Dir hinweggetröstet.
Ist es wirklich wahr, daß ich ein halbes Jahr bei Michael, Sabine und Tessy bleiben soll? Michael hat es mir erzählt, als wir wegfuhren. Da hat er mir den Rücken geklopft und gesagt: »So, alter Junge, jetzt bleibst du für die nächsten sechs Monate bei uns in Düsseldorf. So lange ist dein Frauchen nämlich in England. Wegen der Quarantänebestimmungen kannst du nicht mit. Aber ich denke, daß es dir bei uns gefallen wird.«
Es gefällt mir auch wirklich ganz gut, schon weil Michael hier ist. Und gegen Sabine kann ich auch nichts sagen. Manchmal setzt sie sich zu mir auf den Boden und schmust mit mir. Ich glaube, sie hat es gern, wenn ich meinen Kopf in ihre Hand drücke. Und einen Schlecker darf ich ihr auch geben.
Doch meist taucht dann Tessy von irgendwoher auf, drängelt sich dazwischen, und ich muß zusehen, daß ich mich verkrümele. Sonst fängt sie wieder das Kratzen an.
Sie läßt mir wirklich wenig Ruhe, aber sie riecht fabelhaft. Zweimal ist sie auch schon zu mir ins Körbchen gekommen. Nur so, ohne mich zu ärgern, und hat sich zusammengerollt und getan, als ob sie schliefe.
Aber sie hat nicht geschlafen, denn als ich ihr ganz vorsichtig an die Ohren gekommen bin, hat sie gesagt: »Nase weg, du Lustgreis. Vielleicht war es in deiner Jugend ›in‹, wenn sich alte Knaben junge Freundinnen anlachten. Heutzutage gilt das als dekadent.«
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